# taz.de -- Popkultur: Zurück zur Musik mit neuem Chef | |
> Das nächste Kapitel der Selbstmythologisierung: Das Musikmagazin „Spex“ | |
> erhält eine neue Spitze. Torsten Groß wechselt vom “Rolling Stone“ übe… | |
Bild: Ist der Wechsel bei der Spex nur ein neuer Anstrich oder grundlegende Ver… | |
Mittlerweile ist es eine Nachricht, die recycelt werden kann. Die | |
Pop-Zeitschrift Spex bekommt einen neuen Chefredakteur, es ist der dritte | |
in fünf Jahren. Sein Name ist Torsten Groß, er kommt vom Rolling Stone und | |
wird nächste Woche offiziell vorgestellt. Ab der Juni-Ausgabe steht sein | |
Name dann als Chefredakteur im Impressum. | |
Mit Groß beginnt für die Spex das nächste Kapitel der | |
Selbstmythologisierung. In den späten 1980ern und frühen 1990ern war die | |
Spex Pflichtlektüre unter Popbegeisterten – so will es zumindest die | |
Legende. Liest man heute Ausgaben aus dieser Zeit, ist man über diese | |
Einschätzung ein wenig überrascht. Zwar war Spex die Zeitschrift, die sich | |
als erste ernsthaft mit HipHop auseinandersetzte, wo man Texte über den | |
„Black Atlantic“ und die popfemistischen Riot Grrls ebenso lesen konnte wie | |
über den marxistischen Background von Free Jazz | |
Aber neben fundierten Artikeln fand sich damals auch viel Leerlauf im Heft, | |
der durch den leicht hyperbolischen Stil gern in Richtung Dampfplauderei | |
abdriftete. Während der ersten 20 Jahre erschien die finanziell eh stets am | |
Limit agierende Spex im Selbstverlag. Doch am Ende der Neunziger reichte | |
der finanzielle Atem der Herausgeber nicht mehr – Anfang 2000 wurde die | |
Spex an den Verlag Piranha Medien verkauft. | |
Damit änderte sich auch die Ausrichtung. Die Texte waren weiterhin | |
ausführlich, die Themenwahl pendelte zwischen überraschenden | |
Neuentdeckungen und den Indie-Bands, über die man eh überall lesen konnte. | |
Und selbst wenn die Schnittstelle zur Kulturtheorie ein wenig verloren ging | |
– in der ersten Hälfte der Nullerjahre war die Spex das einzige deutsche | |
Musikmagazin, das versuchte, die gesamte Breite an Popmusik von Grime bis | |
zum Garagerock-Revival abzubilden. | |
## Phase der Orientierungslosigkeit | |
Mit dem Umzug nach Berlin im Winter 2007 stand dem Heft dann eine neue | |
Zäsur bevor. Die gesamte Redaktion hatte sich entschlossen, in Köln zu | |
bleiben, und wurde von Herausgeber Alexander Lacher ersetzt. Und damit | |
begann eine Phase der Orientierungslosigkeit. | |
In Köln war die Spex trotz leichter Auflösungserscheinungen bis zum Schluss | |
in ein Milieu aus DJs, Producern und anderen Kulturschaffenden eingebunden, | |
in Berlin wurde sie dann endgültig zum sterilen Labor. Anstatt auf Neugier | |
setzte Chefredakteur Max Dax auf große Namen und kurz gehaltene Sätze. Er | |
holte die Avantgarde-Heroen der 1980er als Thema ins Heft und | |
veröffentlichte seitenlange Plaudereien mit etablierten Namen des | |
Kunstbetriebs. | |
Er ersetzte die traditionelle Plattenkritik durch den Abdruck von Dialogen | |
zwischen den Spex-Autorinnen und stieß damit auf Unverständnis unter | |
Kollegen und Lesern. Musik- und Theorienerds hatten zu diesem Zeitpunkt die | |
Spex eh aufgegeben und je nach Fremdsprachenkenntnissen durch den | |
englischen Wire oder die französische Les Inrockuptibles ersetzt. Eine | |
Avantgarde ohne soziale Anbindung wirkt halt doch meistens eher als | |
Werbemaßnahme in eigener Sache. | |
## Doppelspitze ohne Zukunft | |
Im Herbst 2010 trat eine Doppelspitze den Dienst in der Kreuzberger | |
Spex-Redaktion an. Unter Jan Kedves und Wiebke Wetzker orientierte sich das | |
Blatt an einem jungen, akademischen Publikum, das sich gleichberechtigt für | |
Mode, Kunst, Film und Musik interessiert. Warum diese Ausrichtung nach gut | |
zwei Jahren an ein Ende kommt, ist nicht ganz klar. | |
Weder Jan Kedves noch Herausgeber Alexander Lacher waren bis | |
Redaktionsschluss für ein Statement zu erreichen. Auf die verkaufte Auflage | |
haben sich die Experimente der letzten Jahre nur geringfügig ausgewirkt. | |
Mit ca 17.800 verkauften Exemplaren ist der Gesamtverkauf leicht gestiegen, | |
die Zahl der Abonnements, die für Zeitschriften lukrativer als der | |
Kioskverkauf sind, ging jedoch zurück. | |
Fest steht jedenfalls, dass es mit dem neuen Chef Torsten Groß ein Zurück | |
zur Musik geben wird. Was genau der erklärte Bowie-Fan dem Mythos Spex | |
hinzufügen wird, steht dann im nächsten Artikel zum gleichen Thema. | |
30 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Musikzeitschrift „Spex“ unter neuer Leitung: Ein Versuchslabor auf 138 Seit… | |
Als Torsten Groß neuer „Spex“-Chefredakteur wurde, war er sehr allein. Die | |
Redaktion hatte fast geschlossen gekündigt. Nun ist seine erste Ausgabe | |
erschienen. | |
Interkultureller HipHop-Austausch: „Come on Schnitzel, don't be shy!“ | |
Jugendliche aus New York und Paris treffen in Berlin Gleichgesinnte aus der | |
HipHop-Community. Die Musik ist oft künstlerischer Ausweg aus Gewalt, | |
Drogen und Kriminalität. | |
Ex-Spex-Chef über Corporate Publishing: "Ich hatte noch nie so viele Freiheite… | |
Der frühere "Spex"-Chefredakteur Max Dax leitet nun das Telekom-Magazin | |
"Electronic Beats" - und fühlt sich darin als Avantgarde. | |
Die Zukunft der Musikkritik XII: Im Schatten des Bieber-Körpers | |
PopkritikerInnen gehört die Zukunft. Sie kennen die besten Auswege aus dem | |
Dschungel und sie steigen auf die Bremse, die das neue Gaspedal der | |
Musikkritik ist. | |
Spex-Chefredakteur geht: Ausgekocht, eingedampft | |
Spex-Chef Max Dax verlässt das Musikmagazin, an seine Stelle rückt eine | |
Doppelspitze. Viele erhoffen sich nun eine Rückkehr zu meinungsstärkerer | |
Popkritik. | |
Die Zukunft der Musikkritik V: Neue Textformate entwickeln | |
Wozu noch Popkritik, wenn man sich bei last.fm und Co "selbst ein Urteil | |
bilden" kann? Mögliche Lösung: Verknüpfungen, Analysen, lange, gut | |
recherchierte Artikel. Wer wird das bezahlen? | |
Die Zukunft der Musikkritik II: Geschmäcklerischer Schmu | |
Können Plattenrezensionen unabhängig von Erscheinungsterminen und Anzeigen | |
sein? Ist die Popkritik zum geschmäcklerischen Schmu verkommen? Der Debatte | |
zweiter Teil. |