# taz.de -- Libanons Städteplanung nach dem Krieg: Mall statt Märkte | |
> Gezwischter vom Band, Balkone ohne Pflanzen: Libanons Hauptstadt Beirut | |
> ist aus einem Guss. Ein Unternehmen hat die ganze Innenstadt neu gebaut. | |
Bild: Auch das gehört zu Downtown Beirut: ein Yachthafen für die Schönen und… | |
BEIRUT taz | Die Anomalie Beiruts liegt zwischen einer langen Betonbrücke | |
und dem Mittelmeer. Dazwischen erstreckt sich der Kern der Stadt. | |
Gepflasterte Wege mit Betonklötzen als Stolperfallen werden dort zu | |
großflächigen Gehwegen, vom Krieg gelöcherte Hausfassaden verschwinden, sie | |
weichen Beton-Hochhäusern mit Glasfassaden. | |
Neokapitalistische Ökonomie, kulturelle Vielfalt, religiöse Diversität und | |
die libanesische Geschichte bestimmen die Stadtgestaltung in Beirut. Nur | |
nicht die Innenstadt, sie ist aus einem Guss. Denn sie ist fest in der Hand | |
nur eines Unternehmens: Solidere. | |
1994, nach dem Ende des Krieges im Libanon, gab ein neues Gesetz einer | |
einzigen Immobilienfirma das Recht, die Innenstadt Beiruts neu zu planen. | |
Die Gesellschaft für die Entwicklung und den Wiederaufbau von Beirut | |
(Société libanaise pour le développement et la reconstruction de Beyrouth) | |
ist eine Aktiengesellschaft. Ihr größter Anteilseigner ist die Familie des | |
damaligen Premierministers Rafiq Hariri. Mit ihr startete Hariri das größte | |
urbane Entwicklungsprojekt der 90er Jahre. | |
Direkt hinter der Betonbrücke, in dem Viertel Saifi, sind Pflastersteine | |
säuberlich aneinander gereiht, die Häuser gelb und rosafarben angemalt. Die | |
Soziologin Rayya Haddat startet hier ihre Stadtführungen durch Downtown | |
Beirut. „Solidere hat die Vermögenswerte der Landbesitzer in Downtown | |
eingefroren. Das ist illegal“, sagt Haddat. „Sie haben gesagt: Wir geben | |
euch die Erlaubnis, euer Eigentum zu renovieren – oder, wenn ihr das nicht | |
wollt, wir geben euch Firmenanteile an Solidere.“ Früher besaßen Tischler | |
im Saifi ihre Werkstätten. Heute stehen an deren Stelle hochpreisige | |
Künstler-Galerien und Boutiquen. | |
## Die Zuständigkeiten waren unklar | |
„Viele Leute mussten ihr Land aufgeben, viele Familien konnten es sich | |
nicht leisten, zu renovieren. Sechs oder sieben Geschwister besaßen das | |
Land oder Gebäude“, sagt Haddat. Die Zuständigkeiten waren unklar, durch | |
die chaotischen Nachkriegsjahre konnte Solidere überhaupt an das Land | |
kommen. | |
Die Strandpromenade Beiruts ist dicht bebaut mit Hotels und privaten Beach | |
Clubs. Auf 20.000 Quadratmetern erstreckt sich das Zaytouna Bay, ein | |
High-End Yachtclub, in dem bis zu 186 Yachten anlegen können. Im Herzen der | |
Stadt laden die Beirut Souks zum Shoppen ein – keine Markthallen, sondern | |
eine Mall, die Marken von Armani bis Zara beherbergt. | |
In einem Teil des „Beirut Central District“, wie Solidere die Innenstadt | |
nennt, sind alle Gebäude aus Kalkstein gebaut. Die Fenster haben Torbögen | |
und gusseiserne Balkone mit Marmorböden. Menschen, die in diesen Gebäuden | |
arbeiten, dürfen nicht auf dem Balkon rauchen und keine Pflanzen darauf | |
anbauen – Solidere erlaubt es nicht. Anstatt öffentliche Plätze biodivers | |
zu gestalten, spielt ein Tonband neben einem Brunnen Vogelgezwitscher ab. | |
Das Unternehmen hat der Innenstadt einen neuen Schliff gegeben. Wie viele | |
alte Gebäude die Firma erhalten hat, ist nicht eindeutig. Solidere spricht | |
von 30 Prozent, Gegner*innen sagen, es seien nur 12 Prozent. | |
Amira Solh kommt gerne in die Innenstadt. „Ich bin in den 80ern im Libanon | |
aufgewachsen und nie nach Downtown gekommen. Für mich war es das | |
Schweizer-Käse-Viertel, in dem man durch die Gebäude sehen konnte“, sagt | |
sie. Die Einschusslöcher aus dem Krieg sind Glasfassaden gewichen. | |
## Der einzige Teil der Stadt mit einem Masterplan | |
Heute schwärmt Solh von dem Wiederaufbau-Projekt: „Dieser Teil der Stadt | |
hat im Krieg das meiste abbekommen. Damals gab es keinen Strom, keine | |
Wasserversorgung, Downtown war komplett zerstört. Hariri hat dann einen | |
Plan zum Wiederaufbau vorgelegt – für die Straßen, Abwasserkanäle, die | |
Telekommunikation und Elektrizität. Heute ist Downtown der einzige Teil der | |
Stadt mit einem Masterplan. Der einzige Teil, in dem keine Kabel | |
überirdisch rumhängen.“ | |
Solhs Begeisterung kommt auch daher, dass sie 16 Jahre lang das | |
Stadtplanungsbüro von Solidere geleitet hat. „Wie rekonstruiert und saniert | |
man ein Gebiet mit 70.000 Mieter*innen, von denen viele während des | |
15-jährigen Bürgerkriegs geflohen sind, und verlassene Gebäude, die von | |
30.000 Menschen besetzt werden?“, fragt sie. „Und wie bestimmt man den Wert | |
dieser Immobilien zu einer Zeit, in der es noch keine Infrastruktur gab?“ | |
Diese Fragen seien ein großer Teil der Kontroverse über die | |
Aktiengesellschaft gewesen. | |
Solidere ist für eine Fläche von 190 Hektar verantwortlich, 298 Gebäude | |
wurden zerstört, sagt Solh. „Die Gebäude und ihre Bausubstanz wurden von | |
einer externen Firma eingestuft und viele fielen fast auseinander. Solidere | |
hat ein Drittel erhalten – wie dieses Gebäude hier.“ Die Stadtplanerin | |
zeigt auf ein beigefarbenes Gebäude mit weißen Rundbögen, darin eine | |
Bankfiliale. „Dieses Gebäude von 1923 wurde komplett restauriert. Das weiße | |
Gebäude der Bank Audi gegenüber ist eine neue Konstruktion, das alte | |
Bauwerk wurde abgerissen und das neue mit der exakt gleichen Fassade wieder | |
aufgebaut.“ | |
Die Innenstadt sieht schön aus und funktioniert, doch von der Aufwertung | |
und der Verdrängung der Stadtbewohner*innen profitieren die Reichen. „Klar, | |
Solidere ist ein privates Unternehmen, das Hauptziel ist Profit“, sagt | |
Solh. Aber sie zweifelt an der Gemeinwohlorientierung der Politiker*innen. | |
„Sie sind alle auf der gleichen Seite und sich einig, wenn es darum geht, | |
Profit daraus zu schlagen, dass wir im Libanon nicht 24 Stunden lang Strom | |
haben oder dass der Müll nicht ordentlich abtransportiert wird.“ | |
„Ehrlich gesagt, als Studentin war ich entschieden gegen Solidere“, gibt | |
Solh zu. „Aber nachdem ich herausgefunden habe, wie es im Libanon um | |
Territorialität geht und darum, jedem ein Stück vom Kuchen abzugeben, denke | |
ich: Gebt dem privaten Sektor ein Stück vom Kuchen, bis ein Weg gefunden | |
ist, öffentliche Einrichtungen bestandsfähig zu machen.“ Solhs Einschätzung | |
ist, dass Solidere mit mehr Einfluss bessere Infrastruktur in der gesamten | |
Stadt schaffen könnte. | |
## Nur ein Besitzer leistet Widerstand | |
Solidere gehört nun Downtown, die Straßen, Cafés, Hotels. Nur ein Besitzer | |
leistet seit Jahren Widerstand: Fady El Khoury. Auf seinem Saint-George | |
Hotel hat er ein großes Plakat mit Stop-Zeichen anbringen lassen: „Stop | |
Solidere!“, steht in weißen Lettern darauf. | |
Khoury kämpft gegen Solidere, weil er die Firma als illegalen | |
privat-öffentlichen Hybrid einstuft, der Besitzer*innen vom Mittelmeerufer | |
vertreibt und öffentliches Eigentum privatisiert. Nach eigenen Angaben | |
versucht Khoury seit 1994, die Zulassung für Umbaumaßnahmen an seinem Hotel | |
zu bekommen – ohne Erfolg. Das fliederfarbene Gerippe des Hotels steht noch | |
immer leer neben der Marina, direkt am Mittelmeer. | |
2005 verstarb Premierminister Hariri bei einem Bombenattentat auf sein | |
Fahrzeug, auf der Straße neben dem Saint-George Hotel. Eine Statue erinnert | |
nun an Hariri, direkt vor dem Hotel seines Rivalen Khoury. | |
20 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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