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# taz.de -- Müllproblem im Libanon: Sand sieben zur Gesichtsrettung
> Erstmals legt der neue Umweltminister einen Müll-Masterplan für den
> Libanon vor. Ob dieser das Problem löst, ist umstritten.
Bild: Zumindest der Strand soll sauber werden: Müllsammelaktion im Libanon im …
Beirut taz | Joumana Ataya Jreissati siebt am öffentlichen Strand in Zouk
Mosbeh mit einem schwarzen Netz Mikroplastik aus dem Sand heraus. Sie ist
die Frau des libanesischen Umweltministers Fady Jreissati und macht bei der
nationalen Müllsammelaktion an 120 libanesischen Stränden mit, zu der ihr
Mann aufgerufen hat. Auch seine Eltern mobilisierte der Minister. Insgesamt
kamen nach Angaben des Ministeriums 7.000 Freiwillige zusammen.
„Save our face“ (Rettet unser Gesicht) ist nicht nur der Slogan des
PR-Coups, es scheint auch das Motto des Ministers zu sein. Jreissati ist
erst seit Februar im Amt und hat als erste Amtshandlung die vertrocknete
Pflanze im Büro ausgetauscht. Ein Zeichen dafür, dass man sich im
Umweltministerium endlich um die Umwelt kümmert?
Notwendig wäre das beim Müllmanagement. Allein in Beirut und seinen
Vororten fallen täglich mehr als 3.000 Tonnen Abfall an. Der Plastikkonsum
ist hoch, in kleinen Supermärkten gibt es selbst für verpackte Schokoriegel
noch eine zusätzliche Tüte. Viele Restaurants verwenden Plastikteller und
Plastiklöffel, servieren Softdrinks aus Dosen und mit Strohhalm.
Mülltrennung ist offiziell kein Thema, weil es keine staatlichen Anlagen
gibt, die die getrennten Wertstoffe recyceln könnten.
Auch thermische Müllverbrennungsanlagen wie in anderen Ländern – die den
Müll so verbrennen, dass die entstehende Wärme zu Heizzwecken genutzt
werden kann – gibt es keine. Stattdessen stapelt sich der vermischte Abfall
seit Jahrzehnten auf Deponien. 2017 gab es laut einem Bericht des
Umweltministeriums und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen
UNDP 941 offene Halden. Auf 150 davon entzünden die Kommunen wöchentlich
offene Feuer, um die Abfallmenge zu reduzieren.
## Müllberge auf den Straßen
Spätestens seit 2015 gibt es in der Öffentlichkeit ein Problembewusstsein
dafür. Damals waren Anwohnende der größten Deponie Naameh den Gestank und
die Schadstoffe aus vermutlich 12 Millionen Tonnen Abfall leid. Sie zwangen
die Regierung, die Deponie dichtzumachen.
Die Folge war aber, dass die Müllabfuhr die Müllsäcke aus Beirut und der
Umgebung nicht mehr abholte. Diese türmten sich stattdessen als Berge in
den Straßen. Dagegen gingen die Menschen wieder auf die Straße und
forderten einen landesweiten Plan zur Abfallbeseitigung – der bis heute
nicht vorliegt.
Kann die Neubesetzung im Umweltministerium daran etwas ändern? Joslyn
Kehdy, Gründerin der Organisation Recycle Lebanon, ist bereit, ihm eine
Chance zu geben. Die unabhängige Aktivistin, die seit Jahren zum
Müllsammeln am Strand mobilisiert, hat zugestimmt, den Umweltminister bei
seiner Aktion zu beraten. „Ich bin glücklich und stolz, dass die Regierung
uns endlich nach Beratung gefragt hat, um das Aufräumen so nachhaltig wie
möglich zu gestalten“, sagt sie.
Skeptischer ist Lucien Bourjeily, Filmemacher und Aktivist. 2015 hatte er
die Nase sprichwörtlich voll und organisierte die „You Stink!“-Bewegung. Er
kritisierte Korruption und Missmanagement und wurde für einen Sitzprotest
im Umweltministerium verhaftet. „Das Ministerium ist keine NGO“, sagt er.
„Das Ministerium ist die Exekutive, es implementiert Richtlinien.“
Die öffentliche Müllsammlung sei „eine Heuchelei, sie schaffen keine
nachhaltige und langfristige Lösung für die Krise, sondern eine
Wohlfühl-Kampagne“. Dabei ist Bourjeily nicht gegen die Idee, Plastik vom
Strand zu sammeln. Er fragt sich nur, ob der Minister die Abfallproblematik
tatsächlich grundlegend anzufassen gedenkt.
Schließlich sind da noch die Deponien Bourj Hammoud und Costa Brava:
Müllberge, auf denen sich Plastik, Glas, Textilien und Biomüll in einem
wilden Durcheinander türmen. Beide liegen direkt an der Mittelmeerküste. In
Bourj Hammoud fließt Sickerwasser ins Meer. Starke Gerüche signalisieren,
dass giftige Gase entstehen.
Costa Brava liegt direkt neben dem Flughafen und ist den auftreibenden
Winden ausgesetzt. Hier sollten ursprünglich 60 Prozent der Abfälle
verwertet werden – sortiert, recycelt und so verbrannt, dass die Energie
genutzt werden kann. Bislang passiert das nicht. Stattdessen erhalten die
Gemeinden jährlich 8 Millionen US-Dollar Entschädigung für die Annahme der
Abfälle. Beide Deponien wurden 2016 als Übergangslösung propagiert. Ein
nachhaltiger Masterplan fehlte bisher.
## Deponien am Meer bleiben geöffnet
Anfang Juni hat Umweltminister Jreissati diesen Plan nun dem
Ministerpräsidenten Saad Hariri vorgelegt. Brisant ist, dass die
Mülldeponien am Mittelmeer weiter geöffnet bleiben sollen. Die Deponie in
Bourj Hammoud zu vergrößern sei durchaus ein Szenario, sagte Jreissati der
taz. Weitere 25 Standorte sollen als „sanitäre Abfalldeponien“ dienen, wie
der Umweltminister sie nennt, darunter auch die Naameh-Deponie, deren
Schließung 2015 zu der Krise geführt hatte.
Der Minister beteuerte, dass zwei Verbrennungsanlagen geplant sind, eine
Umweltverträglichkeitsprüfung sei vorgesehen. Er hoffe, dass die
Auftragsvergabe bis Ende 2021 abgeschlossen ist und die Verbrennung nach
vier bis fünf Jahren beginnen kann. Der Plan sehe auch Sortieranlagen vor,
sagte Jreissati, ließ aber offen, wie konkrete Pläne zum Recycling
aussehen.
Aktivist Bourjeily bleibt kritisch – auch gegenüber einer möglichen
geordneten Müllverbrennung: „Die Verbrennungsanlagen sind ein Desaster.
Würden wir ordentlich recyceln, hätten wir nur noch 20 Prozent Restmüll.
Das ist dann wieder zu wenig, um so große Anlagen zu betreiben“, erklärt er
und mutmaßt: „Am Ende kommt die Regierung noch und fordert uns auf, mehr
Plastik zu verwenden – damit sie die Anlagen betreiben können.“
24 Jul 2019
## AUTOREN
Julia Neumann
## TAGS
Libanon
Müll
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