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# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Sumy trotzt weiter dem russischen Terror
> Am Palmsonntag töteten zwei ballistische Raketen aus Russland in Sumy
> mindestens 35 Menschen. Unsere Autorin hat viele Angriffe in der Stadt
> erlebt.
Bild: Die Orchestermusikerin Olena Kohut wurde beim russischen Angriff am Palms…
Sumy/Kyjiw taz | Den [1][russischen Raketenangriff am Palmsonntag erlebten
die Teilnehmer des 3D-Clubs im Luftschutzbunker des Kongresszentrums der
Staatlichen Universität Sumy]. Dort fand ihr Unterricht statt. „Nach der
ersten Explosion haben wir nicht einmal bemerkt, dass uns ein Schlag
getroffen hatte“, sagt Witali Ivach. „Der Putz fiel herunter, der Alarm
ging los, aber wir beschlossen, nicht hinauszugehen. Nach der zweiten
Explosion war klar, dass wir evakuieren mussten. Doch die Türen klemmten.“
Beim Versuch, durch das Theater zu fliehen, fanden sich die Menschen
zwischen Trümmern und Betonplatten wieder, überall roch es nach Gas. Sie
beschlossen, umzukehren. Glücklicherweise kamen einige Stadtbewohner von
draußen und halfen dabei, die Tür zu öffnen.
Bei den Theaterräumen, von denen Witali spricht, handelt es sich um die
Bühne, auf der seit fünf Jahren das Familientheater „Njankiny“ und das
Kinderstudio „Repjach“ zu Hause sind.
Eine der beiden russischen ballistischen Raketen zerstörte all dies und
durchdrang sogar die Schutzkonstruktionen. 40 Minuten später hätte dort
eine Kindervorstellung beginnen sollen. Glücklicherweise waren die
Mitglieder der Theatertruppe jedoch nicht rechtzeitig angekommen.
## Herzlicher Empfang
Vor fünf Jahren fand im Kongresszentrum der Staatlichen Universität Sumy
meine erste Fotoausstellung statt. Sie war der visuellen Anthropologie
gewidmet – durch Fotografien wollte ich die kulturelle Vielfalt zeigen, die
ich mehrere Jahre lang in verschiedenen Ländern dokumentiert hatte. Das
Zentrum bereitete mir einen herzlichen Empfang: Es stellte zwei Wochen lang
einen Saal zur Verfügung und zwanzig Rahmen für Triptychen. Täglich hielt
ich Vorträge für Interessierte.
Für viele Einwohner von Sumy ist das Kongresszentrum zu einem Symbol für
Bildung, Kreativität und Dialog geworden. Hier fanden Tagungen,
Veranstaltungen für Kinder und Aufführungen statt, es gab eine Bibliothek
und ein Geldmuseum.
Im kommenden Sommer wollte ich mein Projekt erneut starten – und zwar genau
hier, im Kongresszentrum meiner Heimatuniversität, in meiner Heimatstadt.
Doch am 13. April, dem Palmsonntag, zerstörte eine russische Rakete das
Gebäude. Zerstört wurden auch meine Pläne sowie die Pläne Tausender
Einwohner von Sumy, für die dieses Zentrum während des Krieges zu einem
lebenswichtigen Ort geworden ist.
Am selben Tag wurde ein weiteres Gebäude der Universität beschädigt. [2][In
seiner Nähe wurden 35 Menschen getötet und mehr als 120 verletzt.] Laut
Rektor Vasyl Karpuscha werden die Verluste auf Hunderte Millionen Hriwna
geschätzt. Das Schicksal der Gebäude müssen jetzt Experten klären, aber die
beiden Medizinstudenten, die an diesem Tag starben, bringt niemand zurück.
## Persönliche Tragödie
Für jeden Einwohner von Sumy wurde dieser Terroranschlag zu einer
persönlichen Tragödie. Leider war es nicht der erste – und auch nicht der
letzte. [3][Mit erschreckender Regelmäßigkeit werden wir Zeugen, wie die
Russen unsere Stadt, unsere Menschen und unsere Universität zerstören, die
die Stadt so geprägt hat.]
„Einigen Angaben zufolge sind 75 bis 80 Prozent der in Sumy tätigen Ärzte
unsere Absolventen“, sagt der Rektor der Universität, Wassili Karpuscha.
„Hätten Spezialisten aus anderen Regionen in den Krankenhäusern der Stadt
gearbeitet, wären sie angesichts des Krieges, des ständigen Beschusses und
der Blockaden kaum geblieben. Dies hätte zum Zusammenbruch der Medizin in
der Region führen können. Aber dank unserer Absolventen funktioniert das
Gesundheitssystem weiterhin.“
Zu Beginn des laufenden akademischen Jahres verlor die Universität bereits
eines ihrer Gebäude durch einen direkten Treffer einer Bombe. Von den
Abteilungen für Pathologie, öffentliche Gesundheit, elektrische Energie und
der Sporthalle waren damals nur noch Ruinen übrig geblieben. Seit dem Ende
des Sommers 2024 ist die Region einer ständigen Bedrohung ausgesetzt. Alle
Studenten der Region sind auf Onlineunterricht umgestiegen.
Ich beneide die Studenten nicht. Den jungen Menschen wird die Möglichkeit
genommen, offline zu lernen, zu kommunizieren, Veranstaltungen abzuhalten
und Partys zu feiern. Seit drei Jahren gilt in Sumy eine Ausgangssperre
zwischen 23 und 5 Uhr morgens. Die Russen haben den Einwohnern von Sumy
jetzt auch noch die wenigen Freuden des Studentenlebens gestohlen.
## Im Basketballteam
Ich hingegen hatte, was das angeht, Glück. Seit meiner Schulzeit, seit der
neunten Klasse, habe ich im Basketballteam der Universität gespielt. Bis
heute ist das Uni-Team mein wichtigster Freundeskreis. Russlands
Angriffskrieg hat jeden von uns betroffen.
Olga Maiboroda hat die Fakultät für Mechanik und Mathematik absolviert und
arbeitete anschließend in einer Fabrik, die im August 2024 bombardiert
wurde. Sie kam mit Kratzern und einem Schock davon, doch zwei ihrer
Kollegen wurden getötet.
Lilja Snagoschchenko, die Mittelstürmerin unseres Teams, wurde Neurologin
im Bezirkskrankenhaus. Wir wohnen Tür an Tür. [4][Als an einem
Samstagmorgen im September zwei russische Kamikaze-Drohnen dieses
Krankenhaus angriffen] – nur 300 Meter von unseren Häusern entfernt – eilte
sie ihren Kollegen zu Hilfe, und ich ging als Reporterin einer Lokalzeitung
mit meiner Kamera dorthin.
Wir trafen uns mitten im Chaos: Blut, Verwundete, Schreie, Feuer. Zehn
Minuten später wurde gemeldet, dass eine dritte Drohne im Anflug sei. Die
Menschen versuchten, irgendwo Schutz zu finden. Es gelang mir, etwa 150
Meter Abstand zu gewinnen. Lilja hatte weniger Glück.
## Zehn Meter weit geschleudert
„Ich rannte und es schien, als würde die Drohne direkt auf mich zufliegen“,
erinnert sich Lilja. „Die Anweisungen besagten, ich solle mich auf den
Boden legen, aber etwas sagte mir, ich solle weiter laufen.“ Diese wenigen
Meter retteten ihr das Leben.
Die Drohne traf eine Menschenmenge und Rettungskräfte, und Lilja wurde
durch die Druckwelle zehn Meter weit geschleudert. An der Stelle, wo sie
sich ursprünglich hatte fallen lassen wollen, starben fünf Menschen. Als
ich zu ihr rannte, humpelte sie, war etwas geschockt, versuchte aber immer
noch, anderen zu helfen. „Noch einen Monat danach empfing ich Verletzte in
meinem Behandlungszimmer – diejenigen, die meine ‚Kameraden im Unglück‘
geworden waren. Zwischen den Patiententerminen habe ich ein Hämatom an
meinem Oberschenkel behandelt“, sagt Lilja.
Ein weiteres Mitglied unseres Basketballteams, Switlana Rybaltschenko,
blieb auch nach ihrem Abschluss innerhalb der Mauern ihrer Alma Mater.
Heute ist sie Kandidatin der Wirtschaftswissenschaften und Assistentin am
Institut für Management.
Der Raketenangriff vom Sonntag brachte für Switlana zusätzliche Arbeit mit
sich, allerdings nicht in ihrem Fachgebiet: Die gesamte Belegschaft des
Instituts für Finanzen, Wirtschaft und Management war damit beschäftigt,
die Trümmer ihrer ehemaligen Abteilungen aufzuräumen.
## Erster Platz
Trotz des Krieges hat sich die Universität die Qualität ihrer Ausbildung
bewahrt. Im vergangenen Herbst belegte sie im internationalen „Times Higher
Education“-Ranking den ersten Platz unter den ukrainischen Hochschulen. Im
Oktober wurde sie assoziiertes Mitglied der Europäischen
Universitätsallianz E³UDRES², wodurch die akademischen Verbindungen
ausgebaut und ein Zugang zu internationalen Bildungs- und
Wissenschaftsinitiativen, einschließlich Studenten- und Fakultätsaustausch,
möglich wurden. Nach der Tragödie vom 13. April haben die Mitglieder der
Allianz bereits Sitzungen abgehalten und suchen jetzt nach möglichen Formen
der Unterstützung der Hochschule.
„Die Rakete hat unser Haus und alles, was darin war, zerstört: Lichter,
Tontechnik, Möbel, Dekorationen, Kostüme, Requisiten – alles, was wir im
Laufe von acht Jahren geschaffen hatten“, erzählt die Gründerin des
Familientheaters „Njankiny“, Tetjana Njankina. „Doch unsere 25 Schauspiel…
und über 90 Kinder und Jugendliche geben nicht auf – genauso wenig wie die
Teilnehmer unseres jugendinklusiven Theaters ‚Wir sind da‘.“
Dem Schauspieler- und Regisseurpaar Njankin ist klar, dass jetzt nicht die
Zeit ist, der Verzweiflung nachzugeben, damit der Elan der Kinder und ihrer
Eltern aufrechterhalten wird. Bis zum Ende der Woche wollen sie einen neuen
sicheren Ort finden und ihr Stück trotzdem aufführen. Die Kinder stünden
unter Schock und vermissten ihr Theater, sagt Tetjana. „Eine unserer
kleinen Schauspielerinnen bittet uns, in den Ruinen ihren
Lieblingsspielzeugdrachen zu suchen, den sie früher auf die Bühne
mitgenommen hat.“
Die Einwohner von Sumy kämpfen weiter und bleiben optimistisch. Auch unsere
Universität. Ihr Kongresszentrum war für viele ein wichtiger Ort der
Selbstverwirklichung. Wir glauben an einen Wiederaufbau – und werden mit
Fotoausstellungen, Performances, Vorträgen, Konferenzen und Filmen dorthin
zurückkehren. Ich hoffe, dass sie sich nicht nur dem Krieg widmen werden.
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
18 Apr 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Anna Klochko
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