Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Verpackungen im Supermarkt: Berührungsängste mit rohem …
> Die britische Supermarktkette Sainsbury's verpackt Hühnerfleisch jetzt
> für zart besaitete Millennials – und zwar so, dass man es nicht anfassen
> muss.
Bild: Fleich essen, ohne es zubereiten zu wollen? Kann man machen, ist aber abs…
BERLIN taz | Es ist ohnehin schon skurril, wie sehr wir uns von der
Produktion und Herkunft von Lebensmitteln entkoppelt haben. Besonders wir
unter 35-Jährigen, die seit einer gefühlten Ewigkeit von der medialen
Öffentlichkeit mehr oder weniger liebevoll als „Millennials“ bezeichnet
werden, haben es einfach schwer. Wir haben keine Festanstellung, bekommen
keine Rente, arbeiten aber trotzdem so viel, dass wir gezwungen sind
[1][dauernd auswärts Sushi zu essen] und deswegen kaum noch Zeit haben,
selbst den Kochlöffel zu schwingen.
Glücklicherweise bietet die britische Supermarktkette Sainsbury's ab dem 3.
Mai eine kreative Lösung für wenigstens eines unserer vielen Probleme:
Fleischverpackungen, die erlauben, das tote Tier direkt in die Pfanne zu
befördern – ohne es vor dem Verzehr anfassen zu müssen.
Laut einer von Sainsbury's in Auftrag gegebenen Marketingumfrage gaben
nämlich über ein Drittel der Befragten Millennials an, sich vor der
Berührung mit rohem Fleisch zu ekeln. Eine Produktentwicklerin der
Supermarktkette sagte [2][gegenüber der Sunday Times], dass gerade die
jüngere Kundschaft Angst vor der Berührung hätte. Aus unternehmerischer
Sicht ein Glücksfall, denn natürlich gibt es eine kund*innenfreundliche
Lösung: kontaktloses Braten.
Sainsbury's wird zunächst für Hühnerfleisch sogenannte [3][„doypacks“], …
deutsch Siegelrandbeutel oder Stehbeutel, testen, aus denen das mundgerecht
zerkleinerte Huhn ganz einfach herausgeschüttet werden kann. Diese
tütenähnlichen Plastikbehältnisse sind bisher vor allem für flüssige und
pulverbasierte Produkte wie Waschmittel oder Seife im Handel erhältlich,
aber auch für rohes Fleisch geeignet.
## Millennials sind keine Kinder mehr
Der angeblich zielgruppenorientierte Marketingcoup aus Großbritannien steht
symptomatisch für die Beziehung zwischen Mensch und Lebensmittel. Die ist
heute genauso komplex und schlecht nachvollziehbar wie unsere Warenketten –
und das ist ethisch besonders herausfordernd, wenn es um tierische Produkte
und den Umgang mit Fleisch geht.
Beispiele dafür gibt es viele: Wir finden es in Ordnung, regelmäßig
Wildschweine und Hirsche zu schießen, um den Bestand zu kontrollieren, aber
wenn der Zoo Kopenhagen öffentlich eine junge Giraffe in futtergerechte
Stücke für die Löwen zerlegt, ist das grenzüberschreitend. Unseren Kindern
müssen wir heute in Ernährungskursen beibringen, woher das Fleisch kommt,
das so schön abgepackt und befreit von Knochen und allem Unansehnlichen in
der Gefriertruhe liegt – obwohl wir das manchmal selbst gar nicht so genau
wissen wollen.
Aber wir Millennials sind eben keine Kinder mehr. Wir hatten immerhin schon
mindestens 20 Jahre Zeit, uns durch diese Welt zu schlagen und uns dabei
wenigstens ein bisschen mit Produktionsketten auseinanderzusetzen und über
Massentierhaltung aufzuregen. Behandelt werden wir aber trotzdem noch oft
wie die unmündige Generation: Im Englischen hat sich mittlerweile sogar die
Kategorie der „Snowflake-Millennials“ eingebürgert, was auf unseren
zerbrechlichen und zarten Charakter hinweisen soll.
Zugegeben: Fleisch anfassen ist auch keine meiner Lieblingsbeschäftigungen.
Aber für den absurden Verpackungsvorstoß von Sainsbury's gibt es durchaus
Alternativen. Konsequenter wäre es da zum Beispiel, einfach kein Fleisch zu
essen. Oder ab und an ein Stückchen Fleisch zu streicheln – wem das
schwerfällt, der kann erstmal mit Veggie-Würstchen anfangen.
Und für alle Millennials, die trotz Ekel vor der Berührung mit rosarotem
rohen Fleisch nicht auf ihr Schnitzel verzichten wollen, bleibt immerhin
noch die Möglichkeit, Kochabende mit über 35-Jährigen zu veranstalten. Die
sind bekanntermaßen ein bisschen härter im Nehmen.
30 Apr 2018
## LINKS
[1] https://www.businessinsider.de/heimlicher-geldkiller-fuer-diese-ausgabe-zah…
[2] https://www.thetimes.co.uk/article/squeamish-millennial-cooks-get-touch-fre…
[3] http://www.packagingdigest.com/pouches/doy-pack-s-pouch
## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
Fleischkonsum
Supermarkt
Großbritannien
Verpackungen
Palmöl
Fleischkonsum
Fleischkonsum
Ernährung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Petition gegen TV-Werbeverbot: Wenn Werbung zu politisch ist
Eine britische Supermarktkette wollte mit einem TV-Spot auf die Abholzung
von Regenwäldern hinweisen. Doch das Video wird nicht freigegeben.
Fleischkonsum vs. Veganismus: Selbst schlachten? Nein, danke
Ein veganer Koch geht auf Konfrontationskurs. Das ist vielleicht
öffentlichkeitswirksam, trägt aber nicht zu einer sinnvollen Diskussion
bei.
Debatte Künstlicher Fleischgenuss: Klassische Selbstentfremdung
Kunstfleisch gilt als Alternative zur Massentierhaltung. Doch auch für
dessen Herstellung bedarf es einiger Tiere. Ist das ethisch vertretbar?
Schau über Ernährung der Zukunft: Fauliges kultivieren
Transhumanismus lautet das Zauberwort der Ausstellung „Food Revolution 5.0“
in Hamburg. Sie will kritisch auf Essgewohnheiten blicken.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.