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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Danke, Jogi
> Hat Löw mit der Niederlage im EM-Halbfinale die Transformation des
> deutschen Fußballs vollendet? Über die Umkehrung des Wankdorf-Fluches.
Bild: Sechsmal Halbfinale ist kein Zufall. Das ist Folge von Know-how auf der j…
Wenn nicht der Titel gewonnen wird, fallen Bereiche der deutschen
Fußballdiskussion ganz schnell auf ein Niveau, von dem man hoffte, es sei
überwunden. Das ist in der politischen Diskussion auch nicht anders, aber
trotzdem. Die Vorwürfe der Fußball-Boulevardmedien (Spiegel, FAZ) gegen
unseren Bundestrainer sind teilweise so kindisch, dass es quietscht.
Psychogramme aus dem Sigmund-Freud-Kindergarten. Fachkritik aus der
Waldemar-Hartmann-Akademie.
Joachim Löw habe verpasst, dass man im internationalen Fußball (wieder) mit
Mittelstürmer spielt. Ach, echt – und wieso spielte dann Mario Gómez? Es
habe aber nach dessen Verletzung ein zweiter Mittelstürmer gefehlt.
Richtig, aber wir haben derzeit keinen zweiten. Löw habe dafür zu sorgen,
dass wir Deutsche Mittelstürmer produzieren, so wie es unsere
Nationaltradition ist. Soll er sie selbst zeugen, das Volk mit der Hand am
Gemächt zur konzertierten Aktion „Kinder für den Sturmführer“ anleiten �…
oder wie stellen wir uns das vor?
Er war unmittelbar nach dem 0:2 gegen Frankreich nicht in der Lage, die
Leistung des Gegners so souverän anzuerkennen, wie es ideal wäre. Aber,
hey, schon mal andere Verlierer gesehen?
Löws Erfolgsserie der letzten zehn Jahre ist international singulär:
Sechsmal in Folge Halbfinale bei WM und EM. Für einen Titel spielt der
Zufall im Fußball eine viel größere Rolle, als das Trainer, Spieler und
auch Kritiker gerne hätten. So hat Löw vor dem WM-Sieg 2014 glücklich und
verdient gegen Frankreich gewonnen. Nun hat er unglücklich verloren. Aber
sechsmal Halbfinale kann kein Zufall sein. Das ist die Folge von Know-how
auf der jeweiligen Höhe der Zeit.
Man kann sogar sagen, dass Löw seine fundamentale Transformation des
deutschen Fußballs noch weiterentwickelt hat. Seit dem einerseits
wunderbaren, andererseits fatalen 3:2 gegen die Ungarn im Berner
Wankdorfstadion und dem WM-Titel 1954 waren die Deutschen davon
ausgegangen, dass es ihre Nationaltugend sei, gegen bessere Fußballer zu
gewinnen, weil sie flinker, härter und zäher seien.
## Fußball ist keine des Blutes
Ein unfassbarer Unsinn, noch dazu wie die Adaption eines Nazi-Ideals
daherkommend. Löw befreite die Fußballgesellschaft von diesem Fluch und
bewies, dass ästhetischer Fußball keine Frage des Blutes ist, wie Old Berti
noch angenommen hatte („Der Deutsche ist kein Brasilianer“). Sondern eine
Frage des Trainers, der das will, fühlt und zur Grundlage einer Stilcollage
macht, mit der man an der Spitze der Moderne agiert, zumindest was
Verbandsfußball angeht.
Der bessere moderne, variantenreiche Fußball gewinnt, und das mit
ästhetischer Begründung – das ist die Bedeutung von Löws WM-Sieg. Aber mit
dem besten Fußball zu gewinnen ist ja leicht wie eine Hollywoodkomödie. Mit
dem besten Fußball ein großes Turnier zu verlieren ist die letzte Tragödie,
die ein unaufgeklärtes Teilpublikum wirklich durchschüttelt und in einer
existenziellen Ratlosigkeit und auch Wut zurücklässt, dass es die
Begrenztheit des menschlichen Einflusses auf das Geschehen verdrängt und
eine erfolgreiche EM als Untergang missversteht, für den die Hybris eines
gescheiterten Helden verantwortlich sein muss.
Doch von einem Scheitern des Jogi kann keine Rede sein. Wir haben die
Vollendung der Transformation des deutschen Fußballs erlebt. So wie 1954
die Ungarn, 1974 die Holländer und 1982 die Franzosen hat nun Deutschland
den besten Fußball gespielt. Und verloren. Das ist die wahre Umkehrung des
Wankdorf-Fluches. Jetzt sind wir frei.
Und der Witz an der Sache ist: Wir können es uns wirklich leisten.
23 Jul 2016
## AUTOREN
Peter Unfried
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Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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