# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: D'r Manne | |
> Baden-Württembergs neuer Gesellschaftsminister: Wer ist Manfred Lucha? | |
> Über die erstaunliche Geschichte der grünen Eroberung Oberschwabens. | |
Bild: „Gesellschaftsminister“ Manfred Lucha | |
Und Gott wollte, dass in Oberschwaben die CDU regiert. Die Pfarrer sagten | |
das ja auch. So war es halt. Bis d’r Manne kam. Manfred „Manne“ Lucha hat | |
im März dieses Jahres Ravensburg erobert: 33 Prozent, zwei mehr als der | |
CDU-Kandidat. Seit diesem Donnerstag ist er der erste | |
„Gesellschaftsminister“ des Landes Baden-Württemberg. So betitelt zumindest | |
sein Ministerpräsident den Chef des neu zugeschnittenen Ressorts Soziales | |
und Integration. „Ein Geschenk“ nennt er den Job kurz vor der Vereidigung | |
am Telefon. An diesem Freitag hat er sein erstes Krankenhaus eröffnet. | |
Lucha, 55, steht exemplarisch für Winfried Kretschmanns Klassikersatz, dass | |
die Grünen in Baden-Württemberg „dicke Bretter bohren“ müssten. 1979 hat… | |
die Partei in Altötting mitgegründet. Danach klassische | |
Widerstandsbiografie. 1996 kandidierte er erstmals in dem katholischen, | |
barocken und rabenschwarzen Wahlkreis Ravensburg für den Landtag. Dreimal | |
vergeblich, 2006 holte er 13 Prozent. Erst 2011 zog er erstmals ins | |
Parlament ein, nach einem Sprung auf 26 Prozent. | |
Luchas die Öffentlichkeit überraschende Berufung hat damit zu tun, dass | |
Kretschmann seine Minister – anders als der kleine Koalitionspartner CDU – | |
weitgehend nicht nach Proporz oder identitätspolitischer Symbolik aussucht, | |
sondern nach fachlicher Kompetenz. Das zeigt die Wiederberufung von | |
Untersteller (Energie), Bauer (Wissenschaft), Hermann (Verkehr). Dafür | |
stehen auch Lucha, der gelernte Krankenpfleger und studierte Sozialarbeiter | |
und seine Staatssekretärin Bärbl Mielich. Strategisch geht es auch darum, | |
durch Lucha den Verlust des Ministeriums für ländlichen Raum und | |
Geldverteilung zu kompensieren, mit dem der folkloristisch gewandete | |
Alexander Bonde die Machtbasis der CDU erodiert hat. | |
## Ein bayerischer Migrant | |
Der bayerische Migrant Lucha wurde am Anfang von der damaligen | |
Mehrheitsgesellschaft Oberschwabens als doppelt fremd empfunden. Erstens | |
seltsamer, also unschwäbischer Sound, zweitens seltsame politische Inhalte. | |
Dann arbeitete der auch noch in der Psychiatrie. Aber d’r Manne kam zu | |
jedem Heckenfest, redete mit allen und saß bis zum Schluss dabei. Was will | |
man da machen? Schadete ja auch nicht groß, denn auf allen | |
Entscheiderposten saß sowieso CDU. | |
Seit 2011 dann in Stuttgart plötzlich nicht mehr. Aber da sind die | |
Schwarzen halt so pragmatisch, dass sie seither ihren Manne anrufen, wenn | |
sie was wollen. Der grinste sich eins und sah die neue Machtteilung | |
zwischen Grün und Schwarz als gesellschaftlichen Fortschritt in einer | |
Realität, in der fast alle Landratsämter und Rathäuser weiter mit | |
CDU-Leuten besetzt sind. Das sind keine Feinde, das sind Leute, mit denen | |
er zusammenarbeiten muss, kann und will. „Dafür stehe ich“, sagt er. Das | |
lebt er, das strahlt er aus, dafür braucht er keinen Trachtenjanker | |
anzuziehen. | |
Es ist kein Geheimnis, dass Kretschmanns Politik stark vom Bewahren | |
progressiver sozialer und identitätspolitischer Fortschritte geprägt ist. | |
Wer ihn im Wahlkampf erlebt hat, weiß, wie bedroht er den Zusammenhalt der | |
EU und auch der deutschen Gesellschaft sieht. Und dass sich jegliches | |
classic-grüne Spalten verbietet. Luchas Arbeitsauftrag lautet, etwas | |
pathetisch: den Zusammenhalt der Gesellschaft bewahren. | |
Der Oberschwabe Lucha ist selbst übrigens auch ein bisschen barock. Das | |
sieht man, wenn er nach dem Essen auf seinem Bauch herumklopft. „Mein | |
Ranza“, sagt er dann zufrieden, „alles öko.“ Das mag selbstironisch | |
klingen, aber es ist eindeutig programmatisch im Sinne eines Rezzo | |
Schlauch. Das Land, das gute Miteinanderleben und Grüne wie er – das gehört | |
für Lucha zusammen. | |
16 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Baden-Württemberg | |
Winfried Kretschmann | |
Jogi Löw | |
Kanzlerkandidatur | |
Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
Alexander Van der Bellen | |
Baden-Württemberg | |
Grüne | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Die eine Frage: Danke, Jogi | |
Hat Löw mit der Niederlage im EM-Halbfinale die Transformation des | |
deutschen Fußballs vollendet? Über die Umkehrung des Wankdorf-Fluches. | |
Kolumne Die eine Frage: Gestern-rechts gegen Gestern-links | |
Die einen nach hier, die anderen nach dort: Warum wollen Sie die | |
Gesellschaft spalten, Sigmar Gabriel? Über den Lagerkoller des | |
SPD-Vorsitzenden. | |
EMtaz: Fansein und Patriotismus: Die Nation war nicht wieder da | |
Mit wem identifiziere ich mich, wenn ich bei der Europameisterschaft für | |
Deutschlands Fußballteam bin? Und ist das patriotisch? | |
Kolumne Die eine Frage: Blau gegen Grün | |
Was sind „richtige“ Grüne? Warum Alexander Van der Bellen österreichischer | |
Bundespräsident werden kann. Obwohl er Grüner ist. | |
Kolumne Die eine Frage: Mit Verlaub, Sie sind kein Arschloch | |
Was den Wahlerfolg der Kretschmann-Grünen ausmacht: Sie sind | |
Post-Realo-Fundis. Und sie sprechen anders als Classic-Grüne. | |
Kolumne Die eine Frage: Der platte Wolf | |
Was für ein Grün-Schwarz erwartet uns in Baden-Württemberg? Es wird auf | |
jeden Fall etwas mit Winfried Kretschmann zu tun haben. |