Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ich bin öko, und das ist auch gut so
> Kann der linksgrüne Individualist sich in diesem Leben noch auf ein
> großes Ganzes einlassen? Die sozialökologische Transformation muss
> kommen.
Bild: Liebe zum Planeten, unabhängig von der sexuellen Orientierung
Haben wir vor lauter Identitätspolitik und individuellen
Freiheitsspreizungen die wirklich entscheidenden Dinge verpasst – den
Klimawandel, die Zertrümmerung der Gesellschaft durch zunehmende
Individualisierung und neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik?
Das ist die heikle Frage, die wir in der soeben erschienenen Ausgabe von
zeozwei stellen, dem Magazin der sozialökologischen Transformation. Eine
persönliche Antwort bekam ich von Grünen-MdB Volker Beck: „Als weißer,
heterosexueller Mann können Sie ja frei von struktureller oder
institutioneller Diskriminierung die 'entscheidenden Dinge' von
’individuellen Freiheitsspreizungen‘ trennen.“
Oha.
Diskriminierte Minderheiten hatten einen weiten Weg zu gehen und sind immer
noch nicht so privilegiert wie weiße heterosexuelle Männer. Beck hat auch
völlig recht, wenn er sagt: „Weder eine geschlechtergerechte Entlohnung,
noch die Ehe für alle oder die doppelte Staatsbürgerschaft führen zu
höherem CO2-Ausstoß.“ Das Interessante ist aber, was bei ihm ankommt:
Obacht, da will einer mit der Priorisierung des „größeren Problems“ alles
andere wegwischen. Und bei mir kommt seine Replik so an: Die Frage gehört
sich nicht. Und du darfst sie schon gar nicht stellen. Also lieber weiter
schweigen?
## Die Chance ist da
Nein. Jetzt ist die Chance da, das politische Denken und Fühlen das 20.
Jahrhunderts zu transformieren. Wofür hat das damalige rot-grüne Milieu
1998 Schröder (rot) und Fischer (grün) gewählt? Ganz gewiss nicht als
linkes Zukunftsprojekt. Sondern um die kulturellen und emanzipativen
Fortschritte seit 1968 zu manifestieren. Das war kein Gedöns, das war
wichtig. Aber es war auch nach hinten gedacht, deutsch- und
Anti-Kohl-fixiert, gefühlig und wirtschaftsvergessen. Als die Gegenwart,
die Globalisierung, die Ökonomie dazwischen kam, brachten sich die
festangestellten Individualisten umgehend wieder in die Sicherheit der
moralischen Abgrenzung. Alles Opportunisten, außer mir. Leute: Der
Neoliberalismus ist doch nicht von Außerirdischen oder der FDP in die
Gesellschaft gebracht worden.
Den individuellen CO2-Ausstoß und damit den eigenen Spielraum zu
vergrößern, koste es (die anderen), was es wolle: das war auch das
linksgrüne Ungerechtigkeitsprojekt der letzten Jahrzehnte. Das steht
hiermit zur Diskussion. Klimagerechtigkeit, Energiewende, Abschalten der
Kohlekraftwerke, das betrifft Homosexuelle, Frauen, Einwanderer und weiße
Männer. Genau wie Bildungsungerechtigkeit und die Luft, die wir alle atmen.
Das Problem entsteht nicht, wenn man es prioritär angeht, das Problem ist,
dass es nicht angegangen wird. Auch nicht von den Grünen.
Die Frage ist, sagt Heinz Bude, ob die Individuen des linksgrünen Milieus
sich auf etwas großes Ganzes verpflichten können, das der Einzelne nicht
kann, eine Minderheit nicht und letztlich auch nicht der Nationalstaat. Ob
sie sich für diese Sache mit Kulturen einlassen, die in Fragen des
Adoptionsrechts, der Einwanderung, der Vielweiberei, des Folterns oder auch
nur der Kehrwoche womöglich zu anderen Antworten kommen.
Große Differenzen gibt es objektiv, aber es gibt auch Differenzobsessionen,
und dahinter steckt manchmal auch die selbstgerechte Abwertung der anderen
und der Mehrheit als stumpfe Gesellen – und damit die Verachtung der
Demokratie. Und eine unernste Nutzung von Politik als rein
moralästhetisches Accessoire.
Claus Leggewie sagt, dass wir uns für unsere ökologische Verantwortung
notfalls mit dem Teufel verbünden müssen. Wenn die sozialökologische
Transformation zu unseren Lebzeiten kommen soll, dann braucht es eine
Mehrheit und also auch weiße heterosexuelle Männer, Bio-SUV-Frauen vom
Prenzlauer Berg. CDU-Wähler. Unternehmer.
Und Schwule, die sagen: Ich bin öko, und das ist auch gut so.
26 Apr 2015
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Grüne
Schwerpunkt Klimawandel
Sexuelle Identität
Cem Özdemir
Schwerpunkt Angela Merkel
Grüne
taz.gazete
Schwerpunkt Klimawandel
taz.gazete
## ARTIKEL ZUM THEMA
Essay Konservative Grüne: Der rechte Weg zur Macht
Sozialpolitik? Geschenkt. Kriegseinsätze? Immer her damit. Reichensteuer?
Beerdigt. Die Grünen umarmen die CDU – doch der Partei droht die Spaltung.
Kolumne Macht: Hilfe! Merkel ist in uns
Warum finden Linksliberale nichts irrelevanter als das Thema „Umwelt“ und
nichts schlimmer als sogenannte „grünlackierte Schwarze“?
Kolumne Die eine Frage: Die linke Madonna
Ihr neues Buch heißt „Die Entscheidung: Klima vs. Kapitalismus". Warum
nehmen die Linken den Klimawandel nicht ernst, Naomi Klein?
Kolumne Die eine Frage: Tischtennis statt Sex
Was braucht der Mensch außer Fernsehabenden mit der Partnerin und Pingpong
mit Freunden? Eine Begegnung mit dem Autor Frank Schulz.
CO2-Emission gesunken: Hoffnung für die Welt
Die Emission klimaschädlicher Gase sank bisher immer nur, wenn die
Wirtschaft einbrach. 2014 bricht mit diesem Trend. Eine echte Überraschung.
Kolumne Wir retten die Welt: Der Komplexitätskomplex
Spotify oder CD? Was umweltfreundlicher ist, ist nicht so einfach zu
entscheiden. Unser ökologischer Fußabdruck hängt von vielen Bedingungen ab.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.