| # taz.de -- Klimawandel und Wirtschaftswachstum: Verzicht auf Wachstum? | |
| > Alle wollen Klimaschutz – trotzdem setzen Politik und Zentralbank auf | |
| > Wachstum. Wie kann der Ausstieg aus dieser Spirale gelingen? | |
| Bild: Wer vorher Autos gebaut hat, könnte in Sozialberufen arbeiten? Diese Rec… | |
| Es ist Zufall, aber trotzdem symbolisch: In Frankfurt bündeln sich derzeit | |
| die Dilemmata unserer Zeit. Am Donnerstag beschloss die Europäische | |
| Zentralbank, dass sie demnächst wieder Anleihen aufkaufen will – um das | |
| Wachstum anzukurbeln. Zeitgleich schlenderte Kanzlerin Merkel über die | |
| Automobilmesse und sagte nichts Konkretes zum Thema Klimaschutz – um das | |
| Wachstum der Branche nicht zu gefährden. Derweil entrollte Greenpeace beim | |
| VW-Stand ein Transparent mit der Aufschrift „Klimakiller“. | |
| Für Samstag und Sonntag sind in Frankfurt weitere [1][große Protestaktionen | |
| gegen die Automesse geplant]. Denn klar ist: Die Klimaziele werden | |
| garantiert nicht erreicht, wenn weiterhin SUVs umherfahren. | |
| Es ist zwar neu, dass auf der Automesse protestiert wird. Aber die Fronten | |
| sind altbekannt: Ökonomie steht gegen Ökologie – und im Zweifel siegt der | |
| Wunsch nach Wachstum. Viele Deutsche sind zwar schockiert, dass nun schon | |
| der zweite Dürresommer zu Ende geht und die Wälder vertrocknen. Auch der | |
| Streik der Schüler hat beeindruckt. Doch substanziell ändert sich nichts. | |
| Derzeit verbraucht die westdeutsche Wirtschaft so viele Ressourcen, als ob | |
| sie drei Planeten zur Verfügung hätte – es gibt aber nur die eine Erde. | |
| Warum wird nicht umgesteuert? | |
| Der Verzicht auf Wachstum ist nicht so einfach, wie viele Klimaaktivisten | |
| glauben. Sie meinen häufig, dass es reichen würde, das Volkseinkommen ein | |
| bisschen umzuverteilen. Sehr plastisch hat es [2][Tina Velo auf den Punkt | |
| gebracht], die die Protestaktion „Sand im Getriebe“ an diesem Sonntag in | |
| Frankfurt organisiert. Sie schlägt vor, die heutigen Mitarbeiter der | |
| Automobilkonzerne umzuschulen. „Wir werden Busfahrerinnen und Busfahrer | |
| brauchen, Pflegerinnen und Pfleger, Erzieherinnen“. | |
| Keine Frage: Deutschland könnte deutlich mehr Personal in Altersheimen und | |
| Kitas gebrauchen. Trotzdem geht Velos Aussage am eigentlichen Problem | |
| vorbei, weil sie statisch denkt und den Prozess des Umbaus ignoriert. Bei | |
| ihr gibt es nur ein Vorher und ein Nachher: Jetzt arbeiten Hunderttausende | |
| in der Automobilindustrie – und dereinst sind viele von ihnen in | |
| Sozialberufen tätig. | |
| ## Kapitalismus benötigt Wachstum | |
| Das Problem taucht jedoch beim Übergang auf, und damit ist nicht gemeint, | |
| dass sich vermutlich viele Autobauer schwer damit tun dürften, plötzlich in | |
| einen Sozialberuf zu wechseln. Die Schwierigkeiten sind fundamentaler. Der | |
| Kapitalismus benötigt Wachstum, um stabil zu bleiben. Zwar gibt es immer | |
| wieder Krisen – aber sie werden nur überwunden, solange es Aussicht auf | |
| neues Wachstum gibt. | |
| Alle sind sich einig, dass wirksamer Klimaschutz verlangt, dass weniger | |
| Autos gebaut werden. Doch damit würde eine Spirale nach unten einsetzen. | |
| Etwas vereinfacht: Weniger Umsatz bedeutet, dass die Autofirmen Mitarbeiter | |
| entlassen müssten, die dann auch weniger konsumieren könnten. Kneipen und | |
| Läden würden Kunden verlieren. Ganze Regionen würden verarmen und zugleich | |
| die gezahlten Steuern und Sozialbeiträge schrumpfen. Es wäre gar kein Geld | |
| mehr da, um die einstigen Autobauer in Kindergärten zu beschäftigen. | |
| Für eine Wirtschaft ohne Wachstum gibt es kein Modell. Zwar wird das Ende | |
| der Steinkohle gern als Beispiel zitiert, wie ein Branchenwandel gelingen | |
| könnte. Doch dabei wird oft übersehen, dass die Ruhrkumpel nur neue Jobs | |
| finden konnten, weil die deutsche Wirtschaft ansonsten wuchs. | |
| Bisher hat niemand systematisch erforscht, wie der Übergang in eine | |
| Postwachstumsgesellschaft aussehen könnte, die Krisen vermeidet und ein | |
| Einkommen für alle garantiert. Es wäre eine Aufgabe für die Volkswirte, die | |
| das Thema jedoch bisher ignorieren. | |
| [3][Die Proteste der Klimaaktivisten sind sehr wichtig]. Man kann nicht | |
| drei Planeten verbrauchen, wenn man nur einen hat. Aber eine ökonomische | |
| Lösung fehlt noch, wie der Ausstieg aus dem Wachstum gelingen könnte – und | |
| muss dringend erforscht werden. | |
| 13 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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