# taz.de -- Kinoempfehlung für Berlin: Von Malle bis Godard | |
> Das Kino Arsenal würdigt die Filme von Gaumont, der ältesten | |
> Filmgesellschaft der Welt: Sie sind mal bizarr, mal traurig, oft witzig. | |
Bild: Still aus „Die Schönen der Nacht“ von René Clair aus dem Jahr 1952 | |
Noch bevor die Glocken läuten, gleitet ein Kahn den Kanal entlang und setzt | |
den Ton des Films. Väterchen Jules treibt den Schiffsjungen zur Kirche. | |
Jean und Juliette heiraten. Dann treibt Väterchen Jules den Schiffsjungen | |
zurück über die Dünen, um die beiden am Kahn zu erwarten, der ihrer aller | |
Zuhause sein wird. | |
Beim Abschied blickt Juliette drein wie bei einem Begräbnis – und weit | |
davon entfernt ist das Leben auf dem Kahn bisweilen nicht. Obwohl sich die | |
junge Frau redlich müht, bringt sie das Leben an Bord immer wieder an ihre | |
Grenzen. | |
„L’Atalante“, der abendfüllende Film des jung verstorbenen Regisseurs Je… | |
Vigo, zeigt das Leben auf den französischen Kanälen in seiner ganzen Härte. | |
Doch Vigos Film hat auch Gegengewichte dazu: Gemeinsam mit Bildgestalter | |
Boris Kaufman hat er Bilder geschaffen, die das Leben auf dem Kahn zeitlos | |
erscheinen lassen. | |
Figuren tauchen auf dem Nebel auf und werden wieder verschluckt, | |
morgendliche Sonne gleißt. Der Schauspielstar Michel Simon spielt den | |
ältlichen Maat Väterchen Jules mit einer Präsenz, die den Film schon tragen | |
würde. | |
„L’Atalante“ eröffnet am Donnerstag im Berliner Kino Arsenal begleitend … | |
einer Ausstellung im Institut français die Filmreihe „[1][Gaumont: Seit es | |
das Kino gibt]“ mit einer Auswahl an Filmen der legendären französischen | |
Produktionsfirma Gaumont. Seit der Gründung 1895 hat sie unzählige | |
Klassiker des Kinos mitproduziert – und das moderne französische Kino | |
entscheidend mitgeprägt. | |
Die Reihe legt ein besonderes Augenmerk auf die Komödien, die Gaumont | |
produziert hat, und bietet die schöne Gelegenheit, eine Reihe von | |
Klassikern wieder zu sehen – etwa die Hälfte davon sogar von zunehmend | |
selteneren 35-mm-Kopien. | |
Gezeigt werden Klassiker mit einem Schwerpunkt auf der Moderne der 1950er | |
und 1960er Jahre, ergänzt um zwei aktuellere Produktionen von Mathieu | |
Amalric („Barbara“) und Noémie Lvovsky („Demain et tous les autres jours… | |
deren Film die einzige Regiearbeit einer Frau ist. | |
Während einige der Filme ihr Alter schwer verbergen können, hat sich Louis | |
Malles „Zazie dans la metro“ gut gehalten. Die zehnjährige Zazie wird auf | |
einem Paris-Besuch bei ihrem Onkel Gabriel geparkt, weil ihre Mutter die | |
zwei Tage in der Stadt mit ihrem Liebhaber verbringen möchte. Alles, was | |
Zazie möchte, ist mit der Metro fahren, aber die wird bestreikt. Also | |
erkundet Zazie die Stadt im Alleingang und wirbelt die Erwachsenen um sie | |
herum ordentlich durcheinander. | |
Malles Adaption des Romans von Raymond Queneau kombiniert die Absurdität | |
der Handlung mit einem überspitzten Zeitbild des Paris der Entstehungszeit | |
und Slapstick-Elementen. In Deutschland lief der Film zunächst in einer | |
peinlich um das erbärmliche „sittliche Empfinden“ der Zeit bemühten | |
Zensurfassung der FSK, die den Film entstellte. | |
Auch wenn der Film seit einiger Zeit gelegentlich in der Originalfassung | |
läuft, ist er immer wieder aufs Neue eine Entdeckung – nicht zuletzt wegen | |
der jungen Catherine Demongeot als Zazie und Philippe Noiret als deren | |
Onkel. | |
Deutlich getragener geht es in Robert Bressons „Lancelot du lac“ zu, der | |
die Ritter von Arthurs Tafelrunde nach der gescheiterten Suche nach dem | |
Gral zeigt. Die scheppernden Rüstungen der Ritter scheinen zwischenzeitlich | |
das Einzige zu sein, was diese noch aufrecht hält. Bresson hat in seinem | |
Film das Mittelalter als Kunstwelt voller Zwänge und ohne | |
Handlungsfähigkeit rekreiert. | |
Das Gros der Filme der klassischen Moderne ist jedoch heiter: Max Ophüls | |
wählt ein wanderndes Paar Ohrringe als Grundstruktur seiner Kostümkomödie | |
„Madame de …“. Die adelige Frau eines Generals verkauft ihre Ohrringe an | |
einen Juwelier. Immer wieder wechseln sie die Hände, bis sie schließlich | |
als Geschenk eines Verehrers zurück zur ursprünglichen Besitzerin finden. | |
Im Film „Les Belles de nuit“ lässt der Regisseur René Clair seinen | |
Protagonisten – einen erfolglosen Komponisten aus der Gegenwart – träumend | |
durch die Zeiten reisen. Mal ist er ein gefeierter Opernkomponist, mal | |
findet er sich in den Revolutionswirren von 1789 wieder. Selbst der sonst | |
eher ernste Nouvelle-Vague-Regisseur Jean-Luc Godard ist mit „Bande à part“ | |
in der Reihe als beinahe humorvoll zu erleben. Im Kino lacht es sich noch | |
immer am besten. | |
27 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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Federico Fellini | |
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