# taz.de -- Fellini-Filmreihe im Kino Arsenal: Glücklich ohne Happy End | |
> Für den Regisseur Federico Fellini war die Wirklichkeit Material, das | |
> ausfranst. Eine Reihe im Arsenal würdigt seinen radikal poetischen | |
> Erzählstil. | |
Bild: Aus einer Zeit vor den Selfies: Filmstill aus „La dolce vita“ (1960) | |
„Schon wieder Marcello? Oh bitte, Maestro!“, kichert eine Frau, als der | |
Vorspann den Hauptdarsteller Marcello Mastroianni in „Fellinis Stadt der | |
Frauen“ des italienischen Regisseurs Federico Fellinis ankündigt. | |
Der „Maestro“ besetzt in diesem Film von 1980 Mastroianni das erste Mal | |
seit über zehn Jahren wieder – und wieder spielt er eine Rolle, die das | |
Alter Ego des Regisseurs erkennen lässt. Mit der Figur des Klatschreporters | |
Marcello Rubini in „Das süße Leben“ gelang Mastroianni 1959 der | |
internationale Durchbruch und besiegelte Fellinis Status als einer der | |
originellsten Filmkünstler. | |
Fellini stand für ausuferndes Kino und war Italiens filmisches | |
Aushängeschild. Als er 1993 starb, trauerte die Filmwelt. Die Nachrufe auf | |
Mastroianni, der drei Jahre später starb, standen zumeist im Zeichen | |
Fellinis. Während zu Fellinis Lebzeiten sein Name als Inbegriff des Kinos | |
galt, ist er heute verblasst. In seiner Heimatstadt Rimini, wo er 1920 | |
geboren wurde, finden anlässlich „100 Jahre Fellini“ etliche Ausstellungen | |
und Filmreihen statt, in Deutschland wird er kaum geehrt. | |
Um so schöner, dass das Kino Arsenal begleitend zur Ausstellung | |
„Fellini/Mastroianni/Alter Ego“ im italienischen Kulturinstitut das Bild | |
vom Giganten Fellini hinter sich lässt und das Duo Fellini/Mastroianni mit | |
einer Filmreihe würdigt. Gezeigt werden alle Filme, in denen die beiden | |
zusammenarbeiteten. | |
Nach seinen ersten Erfolgen in den 1950er Jahren radikalisierte sich | |
Fellini mit dem Film „Das süße Leben“. Der von Mastroianni gespielte | |
Journalist treibt ziellos durch Rom, trifft Frauen, Freunde und folgt Anita | |
Ekberg in einer weltberühmten Szene in das Becken des Trevi-Brunnens. Eine | |
solche lockere Aneinanderreihung einzelner Episoden zerfasert Fellini 1963 | |
in seinem Hauptwerk „Achteinhalb“ noch entschiedener. | |
## Alles beginnt mit Albtraum | |
Darin will dem Regisseur Guido Anselmi (Mastroianni) sein Film nicht | |
gelingen. Er kann seinem Team keine Anweisungen geben, schwankt zwischen | |
Ehefrau (Anouk Aimée) und Geliebter (Sandra Milo) und verliert sich in | |
Träumen und (Kindheits-)Erinnerungen. | |
Unvermittelt beginnt der Film mit einem Albtraum Guidos, um ihn später in | |
einem Sanatorium aufwachen zu lassen. Es ist in gleißendes Licht getaucht | |
und wirkt wesentlich irrealer als der Traum. Mit diesem Ausfransen von | |
Realität und subjektivem Erleben, von Welt und Traum, schuf Fellini sein | |
eigenwilliges Bilduniversum. Mit seinem fast starren Gesicht wurde | |
Mastroianni zum zerstreuten, handlungslosen Helden des modernen Kinos. | |
1980 zog der überdrehte Spielfilm „Fellinis Stadt der Frauen“ heftige | |
Proteste auf sich, diesmal nicht wie bei „Das süße Leben“ von der | |
katholischen Kirche, sondern von feministischen Gruppen, die sich von | |
Fellini verraten fühlten. Angezogen von einer flirtenden Mitreisenden, | |
folgt Snàporaz (Mastroiannis Spitzname) ihr aus dem Zug in einen Wald, um | |
sie schließlich auf einem feministischen Kongress zu finden. Dort herrschen | |
floskelwütige Männerhasserinnen und der Protagonist trifft auf Hippies, | |
einen faschistischen Casanova und seine Frau und rutscht ins Unbewusste, | |
das bevölkert ist von den vollbusigen Leinwand-Diven seiner Kindheit. | |
Im Kino schuf Fellini eine eigene, unmäßige Welt. Um so wehmütiger fällt | |
sein Blick in den 1980er Jahren auf eine vom Fernsehen zersetzte | |
Konsumkultur. | |
## Kein Unterschied zwischen Fiktion und Realität | |
In „Ginger und Fred“ sind Müllberge so allgegenwärtig wie bizarre | |
TV-Werbespots. In einer grotesken TV-Show darf ein gealtertes Tanzduo noch | |
einmal auftreten. Vom Latin Lover ist nicht viel übrig, Mastroianni wirkt | |
abgehalftert. Dennoch ist sein Tanz leicht und berührend. | |
Bereits während „Das süße Leben“ habe ein Produzent ihn gebeten, ein Hap… | |
End zu finden, wie Fellini am Ende von „Intervista“ erzählt, ein | |
fiktional-dokumentarischer Film von 1987. Er wirbelt mehrere Erzählebenen | |
durcheinander und beleuchtet die Illusionskunst des Kinos. Fellini will | |
Hoffnung geben und schaltet in einem leeren Studio einen Scheinwerfer an. | |
Die Landschaft des Films ist nur aus Licht gemacht, jenseits liegt nur das | |
Filmstudio. Als Magier verkleidet kommt Mastroianni gerade von einem | |
Werbedreh in den Film gestolpert und Fellini fährt mit ihm zu seiner | |
Schauspielerkollegin Anita Ekberg. Dort zaubert Mastroianni eine Leinwand | |
hervor, auf der sich die alten Schauspieler ihre berühmte Szene am | |
Trevi-Brunnen ansehen. | |
Ein ebenso fantasievoller wie realer Moment, wobei Fellini den Unterschied | |
zwischen Wirklichkeit und Fiktion längst hinter sich gelassen hat. Doch | |
statt Realitätsflucht bleibt Fellinis Fantasie immer der Welt treu und | |
lässt uns die Welt immer wieder neu sehen. | |
16 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Stephan Ahrens | |
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