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# taz.de -- Kindesmissbrauch in Australien: Gottes rechter Feldmarschall
> In Australien wird am Mittwoch das Strafmaß gegen George Pell wegen
> Missbrauchs verkündet. Der Kardinal bleibt für Rechte weiterhin ein Held.
Bild: George Pell (Mitte) bei einer Messe für verstorbene Bischöfe und Kardin…
Canberra taz | Kaum war [1][die Verurteilung Kardinal George Pells
bekannt], klingelte beim einst höchsten Vertreter der katholischen Kirche
Australiens das Telefon. Am Apparat war der frühere Premierminister Tony
Abbott. Der erzkonservative Politiker, in jungen Jahren selbst Anwärter für
das katholische Priesteramt, sprach seinem moralischen Vorbild und
Ziehvater das Vertrauen und seine weitere Unterstützung aus. Wenig später
attestierte auch der Ex-Premierminister John Howard dem verurteilten
Pädophilen in einem Brief an das Gericht hohe Intelligenz und „einen
exemplarischen Charakter“.
In Australiens konservativen Medien, zur Mehrheit kontrolliert vom
US-Medienmogul Rupert Murdoch, reißt die Kritik am Schuldspruch bis heute
nicht ab. Eine Lawine von Vorwürfen donnert täglich auf die Geschworenen
ein, auf das Gericht, ja das Justizsystem als Ganzes. An diesem Mittwoch
soll das Strafmaß verkündet und um 10 Uhr Ortszeit live im Fernsehen
übertragen werden. Pell drohen in fünf Anklagepunkten jeweils bis zu zehn
Jahre Haft.
Der prominente Murdoch-Kommentator Andrew Bolt wetterte, Pell sei
unschuldig und Opfer eines historischen Versagens des Systems. Ohne dem
Prozess beigewohnt zu haben, behauptet er, Pell sei „aufgrund von
Vorurteilen verurteilt worden, nicht von Fakten“.
Mit dem Kurienkardinal [2][und Ex-Finanzchef des Vatikans], ist der bisher
ranghöchste Vertreter der katholischen Kirche wegen Kindesmissbrauchs
verurteilt worden. 1996 habe sich der damalige Erzbischof im Anschluss an
eine Messe in Melbournes Kathedrale an zwei 13-jährigen Chorknaben
vergangen. Pell weist die Vorwürfe vehement zurück und hat Berufung
eingelegt.
## Rechts, erzkonservativ, sozial regressiv
Eine weitere Klage gegen ihn, im Ort Ballarat zwei Jungen in einem
Schwimmbad belästigt zu haben, war von der Staatsanwaltschaft wegen
mangelnder Beweise nicht verfolgt worden. Seit dem 27. Februar sitzt der
Kardinal in Haft.
Am 7. März hat ein 50-Jähriger gegen den Geistlichen eine Zivilklage
eingereicht. Pell habe sich im Schwimmbad eines kirchlichen Kinderheims an
ihm vergangen. Dieser Vorwurf wird keinen Einfluss auf das Urteil oder das
Strafmaß haben. Trotzdem dürfte er Australiens konservative Kräfte noch
mehr in Rage bringen. Für die politisch und gesellschaftlich starke Rechte
war und bleibt der Kardinal eine Art Feldmarschall, der im Namen Gottes und
der Moral gegen progressive Strömungen in der Gesellschaft das Schwert
führt.
Im Gegensatz zu Australiens anderen Geistlichen ließ Pell nie einen Zweifel
daran, wo er politisch steht: streng rechts, erzkonservativ, sozial
regressiv „Als Erzbischof pumpte er seine Energien in die Bekämpfung der
Empfängnisverhütung, Genmanipulation, Scheidung und Abtreibung. Er baute
seine Karriere damit auf, gegen Sex zu predigen“, sagt David Marr. Der
bekannte australische Journalist verfolgt den Aufstieg von Pell seit Jahren
und hat ein Buch über ihn geschrieben. „Er war immer dogmatisch“, schreibt
Marr. „Universale Unschuld? Laut Pell ‚ein gefährlicher Mythos‘. Die
Ursünde? ‚Lebendig und florierend‘. Künstliche Befruchtung? ‚Wir schaff…
damit eine neue Generation von gestohlenen Kindern‘“, so Marr. „Er bleibt
in seinen Aussagen einfach und brutal“, meint der Autor. „Unnachgiebigkeit�…
habe Pell unter Konservativen „zu einer Berühmtheit gemacht“.
Pell habe den „Krieg gegen Sex und sexuelle Freiheit geführt, während er
selber Kinder missbrauchte“, so Marr. Der Gottesmann sei „besonders brutal
gegen Homosexuelle gewesen“. Homosexualität sei eine „größere Gefahr für
die Gesundheit als Rauchen“, habe er behauptet. Als an der Kathedrale in
Melbourne ein Kranz niedergelegt wurde für junge homosexuelle Studenten,
die sich aus Scham vor der Verurteilung durch die Kirche das Leben genommen
hatten, „war Pells Abscheu absolut“, meint Marr.
## Gegen die gleichgeschlechtliche Ehe
Der Kardinal predigte mit donnernder Stimme gegen die Legalisierung der
gleichgeschlechtlichen Ehe. Gegen jahrelangen massiven Widerstand von
Seiten konservativer Politiker – allen voran Tony Abbott – wurde sie in
Australien nach einer Volksbefragung 2017 eingeführt.
Nicht nur suchten führende Konservative wie der Ex-Premier regelmäßig Pells
Rat. Der Geistliche war als Mitglied der Organisation Institute of Public
Affairs (IPA) jahrelang einer der Architekten konservativer Politik in
Australien. Der Denkfabrik, die ihre Finanzquellen geheim hält, gehören
nicht nur führende konservative Politiker an. Auch Murdoch ist Mitglied und
andere Wirtschaftsleute. Eine IPA-Gönnerin ist die Kohle-Milliardärin Gina
Rinehart, einst reichste Frau der Welt. Das IPA wird laut Beobachtern
maßgeblich von der Rohstoff- und Kohleindustrie unterstützt.
Das Institut hat sich in den vergangenen Jahren vor allem einen Namen als
Verbreiter von Klimaskepsis gemacht. Auch bei diesem ideologischen Feldzug
nahm Pell eine führende Rolle ein. Der Geistliche ist ein virulenter Gegner
jeglicher Maßnahmen gegen vom Menschen verursachten Klimawandel – eine
wissenschaftliche Tatsache, die er bis heute kategorisch abstreitet. Schon
2011 warnte Pell als Ehrengast der britischen klimaskeptischen Organisation
Global Warming Policy Foundation (GWPF) vor „der Moral, Haushalten und
Familien Kosten aufzubürden, ganz besonders den Armen, im Namen der Rettung
des Planeten und in der Hoffnung, den Anstieg globaler Temperaturen zu
bremsen“.
## Ein führender Klimaleugner
Damit sprach er führenden Klimaleugnern in Australien aus dem Herzen. Sie
sahen sich moralisch legitimiert. Das hatte und hat bis heute Folgen für
die Politik. Als Tony Abbott 2013 Premierminister wurde, schaffte er als
erstes eine von der Vorgängerregierung eingesetzte CO2-Steuer ab. Seither
steigen Australiens Emissionen wieder.
Pell hat bis heute Einfluss auf die Politik. Auch [3][unter dem jetzigen
Premier Scott Morrison] wehrt sich die konservative Regierung – durchsetzt
mit Pell-hörigen Klimaskeptikern – [4][gegen Emissionskontrollen]. Bei
Papst Franziskus hingegen stieß der Kardinal mit seiner harten Position auf
wenig Verständnis. Der Heilige Vater, der den Kampf gegen den Klimawandel
als „wichtige moralische Verantwortung“ sieht und eine Wende von
klimaschädigender Kohle hin zu erneuerbaren Energien fordert, warf den
australischen Kurienkardinal im letzten Jahr kurzerhand aus der Gruppe der
päpstlichen Klima-Berater.
12 Mar 2019
## LINKS
[1] /Kindesmissbrauch-in-Australien/!5576757
[2] /Verdacht-auf-Kindesmissbrauch/!5425495
[3] /Machtwechsel-in-Australien/!5530476
[4] /Klimaziele-von-Australien/!5529091
## AUTOREN
Urs Wälterlin
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