# taz.de -- Kämpfe im Südwesten von Myanmar: Offensive im Schatten von Corona | |
> Myanmars Militär geht gegen die Arakan Army in Rakhine vor. Dabei kommt | |
> es laut Menschenrechtsorganisationen zu Kriegsverbrechen gegen | |
> Zivilisten. | |
Bild: Eine junge Frau wurde Opfer bei Kämpfen zwischen der Armee und der Araka… | |
BANGKOK taz | Das Coronavirus hat weite Teile der Welt zum Stillstand | |
gebracht, doch Myanmars berüchtigtes Militär gehört nicht dazu. Ein Aufruf | |
von UN-Generalsekretär António Guterres zu einem weltweiten | |
Waffenstillstand wegen der Pandemie halten die Generäle der früheren | |
Diktatur nicht von Offensiven im westlichen Teilstaat Rakhine ab. Fast | |
täglich kursieren in den sozialen Netzen Bilder und Berichte von Verletzten | |
und Toten, zumeist Zivilisten. | |
Erst kürzlich machte der Konflikt auch international Schlagzeilen, als auf | |
ein Fahrzeug der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Sars-CoV-2-Tests | |
transportierte, geschossen worden war. Der Fahrer starb. Das Militär und | |
die Rebellen der separatistischen Arakan Army (AA) machten sich gegenseitig | |
für den Angriff verantwortlich. | |
Das zivilgesellschaftliche Arakan Information Center (AIC) in Malaysia, | |
gegründet mit einem Schwerpunkt auf Menschenrechten, hat dieses Jahr schon | |
121 getötete Zivilisten gezählt. Allein in der ersten Aprilhälfte waren es | |
45. Das ist ein starker Anstieg im Vergleich zu 2019, als insgesamt 140 | |
Zivilisten getötet wurden. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk meldet einen | |
„steilen Anstieg“ der Zahl ziviler Opfer. Der Konflikt hat schon 70.000 | |
Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. | |
## „Wahllose Angriffe auf Zivilisten“ | |
„Das Militär nutzt die Gelegenheit, um seine Operationen auszuführen, | |
während die internationale Gemeinschaft damit beschäftigt ist, das | |
Coronavirus zu bekämpfen“, sagt Nyi Nyi Lwin vom AIC. „Helikopter und | |
Kriegsflugzeuge greifen wahllos Zivilisten an, um so die Arakan Army zu | |
schwächen.“ | |
Er fürchtet, dass die Kämpfe sich weiter zuspitzen, bis Mitte Mai die | |
Regenzeit einsetzt. Ein Waffenstillstandsangebot der AA schlug das Militär | |
Anfang April aus. | |
Fast drei Jahre ist es her, dass [1][Bilder traumatisierter Rohingya] um | |
die Welt gingen, die vor einer Militäroperation im Krisenstaat Rakhine nach | |
Bangladesch geflohen waren. Myanmar wird vor dem Internationalen | |
Gerichtshof [2][Völkermord an der muslimischen Minderheit vorgeworfen]. | |
Erneut werfen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International der | |
Armee vor, [3][in Rakhine Kriegsverbrechen zu begehen], jetzt aber an der | |
lokalen buddhistischen Bevölkerung. Das Militär verhafte, foltere und töte | |
willkürlich Zivilisten. Es handele sich dabei nicht um sogenannte | |
Kollateralschäden eines Konflikts, sondern um gezielte Angriffe auf | |
Unbewaffnete. | |
Die buddhistischen Rakhine stellen im westlichen Krisenstaat die | |
Mehrheitsbevölkerung. In Myanmar sind sie aber eine Minderheit, die sich | |
vom Zentralstaat und dem von Birmanen dominierten Militär seit Jahrzehnten | |
unterdrückt fühlt. | |
Die separatistische Arakan Army attackierte im Januar 2019 mehrere | |
Polizeiposten. Seitdem ist der schon länger schwelende Konflikt eskaliert. | |
## Mehr Angst vor dem Krieg als vor Corona | |
„In Rakhine haben die Menschen Angst wegen Covid-19, aber was sie am | |
meisten fürchten, ist der Krieg“, sagte Nyi Nyi Lwin. Auch außerhalb des | |
Schlachtfelds gab es zuletzt einen Anstieg von Attacken auf Journalisten, | |
die über Konflikte mit den Minderheiten berichten. | |
[4][Nay Myo Lin, Chefredakteur von Voice of Myanmar, wurde kurzzeitig | |
verhaftet], nachdem er ein Interview mit einem Sprecher der AA | |
veröffentlicht hatte. Die Regierung erklärte die Rebellen vor wenigen | |
Wochen zu einer terroristischen Gruppierung. | |
Die Polizei durchsuchte zudem Räume der Onlineplattform Narinjara und nahm | |
vorübergehend drei Journalisten wegen Interviews mit der AA fest. Die | |
Website wurde wie viele andere gesperrt, weil sie angeblich Fake News | |
verbreite. [5][In mehreren Teilen von Rakhine und dem angrenzenden | |
Chin-Staat ist seit Kurzem das mobile Internet fast dauerhaft lahmgelegt.] | |
„Ich fühle mich hier nicht sicher“, sagt die 49-jährige Hla Hla Aye (Name | |
geändert) aus Mrauk Oo in der Konfliktzone am Telefon. Mehr als einmal | |
musste sie in einem Bunker ihres Nachbarn, einer stickigen Grube in seinem | |
Holzhaus, Schutz suchen, als die Schüsse wieder einmal näher kamen. Wie in | |
der einen Nacht im letzten Jahr. Granatsplitter trafen sie in die Hüfte, | |
als sie in ihrem Haus schlief. „Wir haben jede Nacht Angst, wir können uns | |
nirgends sicher fühlen“, sagte sie der taz bei einem Besuch im September. | |
„Bis die internationale Gemeinschaft das Militär und die Regierung zwingt, | |
einen Preis für die Tötungen und Unterdrückung unserer Leute zu zahlen, | |
werden sie damit weitermachen“, meint Naw Htoo Htoo vom Karen Peace Support | |
Network. „Die Kämpfe müssen aufhören.“ | |
28 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Verena Hölzl | |
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