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# taz.de -- Journalistikstudium in Leipzig: Bröckelnde Traditionen
> Früher war die Leipziger Uni eine der besten Adressen für junge
> Journalisten. Dann kam die Bologna-Reform und viel interner Streit.
Bild: Die Erben einer über 350-jährigen Zeitungstradition: Leipziger Journali…
LEIPZIG taz | Wenn er daran denkt, was von all dem übrig ist, was er
jahrelang in Leipzig aufgebaut hat, kann Michael Haller nachts nicht
schlafen. Manchmal, wenn er nicht schnell genug an was Anderes denken kann.
Was dagegen hilft? „Ich halte mich so gut es geht auf Distanz“, sagt der
67-Jährige. „Ich ertrage das nicht anders.“
Die Journalistik-Ausbildung in Leipzig ist Hallers Erbe. Der Studiengang,
den er nach der Wende aufgebaut und bis zum Herbst 2010 als Professor für
Allgemeine und Spezielle Journalistik geleitet hat. Dann ging er in den
Ruhestand. Michael Haller machte aus der DDR-Journalisten-Kaderschmiede die
beste universitäre Ausbildung für Journalisten in Deutschland. Praxisnah
und qualitativ hochwertig, so das Fazit einer Umfrage unter 240
Chefredakteuren deutschlandweit in den Jahren 2004 und 2005.
Heute bröckelt das Image. Das liegt am ständigen Ärger mit einem Professor,
einer medial inszenierten Kampagne und einem Studiengang, der – so die
Meinung einiger Institutsmitglieder – nicht mehr praxistauglich ist.
Der zehnsemestrige Diplomstudiengang Journalistik – Volontariat inklusive –
ist jetzt ein sechssemestriger Masterstudiengang, von dem zwei Semester auf
die Ausbildung im Medienunternehmen fallen. Aus 60 Studienanfängern wurden
30. Die Studenten kommen ohne viel Vorbildung, denn der vorangegangene
Bachelor darf nicht artverwandt sein.
## Die Grundlagen fehlen, bemängeln einige
In vier Fachsemestern sollen die Masterstudenten zu Journalisten
ausgebildet werden. Kann das funktionieren?
Es kann, sagt Abteilungsleiter Marcel Machill, der die mittlerweile einzige
Professur für Journalistik inne hat. Exzellente Praxisseminare gebe es,
hervorragende Lehrbeauftragte und topaktuelle Forschungsseminare. Der
Master ist komprimiert, das zweite Hauptfach – früher Teil des Diploms –
wird als Bachelor vorgelagert. „Wir bilden gute Journalisten aus“, sagt
Machill.
Das sehen einige Kollegen anders. Die Grundlagen fehlen, bemängeln sie.
Handwerkliche Belange wie Recherche, Darstellungsformen und Stilistik
würden nun größtenteils Moderation und Präsentation weichen. „Insgesamt i…
die Umstrukturierung zwar gelungen“, sagt Günter Bentele, Professor für
Öffentlichkeitsarbeit/PR am Institut und Dekan der Fakultät. „Aber das
breit angelegte Basiswissen, das es im Diplomstudiengang gab, kann kaum
mehr vermittelt werden.“ Das sei eine der Schwächen des Studiengangs.
Grundlagen würden de facto gar nicht mehr stattfinden, sagt auch Haller mit
Blick auf das Vorlesungsverzeichnis: Berufsethik, textbasierte
Darstellungsformen, Sprachkompetenz – Fehlanzeige.
Machill setzt andere Schwerpunkte, forscht vor allem in den Bereichen
internationaler Journalismus und elektronische Medien, da ist er gut. Das
Studienangebot ist in weiten Teilen danach ausgerichtet. Haller nennt es
einen Etikettenschwindel. Am Ende seien die Masterstudenten für den
journalistischen Alltag nicht mehr fit.
## "Einige Bewerber sind für den Alltag kaum zu gebrauchen"
Zahlreiche Medienpartner, die Studenten als Volontäre ausbilden, sind nach
wie vor zufrieden mit den Leipzigern. Aber es gibt auch Redaktionen, die
einen Unterschied in der Qualität sehen. „Das Studium lässt zu wenig Zeit,
um praktisch zu arbeiten“, sagt etwa Olaf Kittel, stellvertretender
Chefredakteur der Sächsischen Zeitung in Dresden. Einige Bewerber seien für
den journalistischen Alltag kaum zu gebrauchen. Er sagt, er halte
grundsätzlich viel von der Ausbildung in Leipzig. Aber er hat die Sorge,
dass die Praxis und die Grundlagen weiter leiden.
Die Studenten selbst haben keinen Vergleich zu früher. Aber sie sagen, dass
sie gerne mehr Möglichkeiten hätten, sich auszuprobieren. „Die richtige
Ausbildung zum Journalisten kommt dann wohl erst im Volontariat“, sagt eine
Studentin. Die Redakteursausbildung soll eigentlich den Abschluss des
Studiums bilden – nicht Ersatz für fehlende Praxis während des Masters
sein.
Dass die Bologna-Reform Veränderungen mit sich bringt, ist nicht weiter
verwunderlich. Die Diskussion darüber ist das eine. Der Ruf, der dem
Studiengang inzwischen anhängt, ist das andere. Marcel Machill hätte gerne,
dass man beides voneinander trennt. Er dürfte wissen, dass ihn nicht wenige
Mitarbeiter, Absolventen und Studierende dafür mitverantwortlich machen,
dass das Ansehen der Ausbildung leidet. Der 44-Jährige gilt nicht erst seit
der Umstellung auf Bachelor und Master am Institut als schwierig. Das merkt
man schon daran, dass sich kaum ein Mitarbeiter oder Student traut, mit
Namen in der Zeitung zu stehen.
Ihm fehle jedes Gespür für eine sachliche und konstruktive Kommunikation,
sagen die einen. Machill sagt, er könne gut mit Kritik umgehen und sei
einfach direkt. Er arbeite vor allem mit Druck und Drohungen, werfen ihm
andere vor. Machill sagt, er sei fordernd. Ein Taktiker, unfähig zur
Teamarbeit, erzählen ehemalige Mitarbeiter. Machill sagt, er arbeite gerne
mit vernünftigen Leuten zusammen. Da werde ein völlig falsches Bild von ihm
gezeichnet.
## Ein offener Brief, der zu einer Medienkampagne wurde
Das Institut hat heftige Jahre hinter sich. Konflikte zwischen den
Professoren gab es auch schon zu Hallers Zeiten – und nicht jeder hatte mit
Machill zu tun. Auch Haller galt nicht unbedingt als einfach, auch er stand
gerne im Mittelpunkt, auch er war eitel, wenn es um seinen Studiengang
ging. Nach seinem Weggang wurde die Stimmung am Institut aber nicht besser,
ein Kampf um Ressourcen und Stellen begann. Die Idee: Umverteilen. Dass
ausgerechnet die Abteilung Journalistik, jahrelang Aushängeschild des
Instituts, kleiner werden sollte, wollten die Mitarbeiter – allen voran
Machill – nicht hinnehmen.
Sie wehrten sich, am Ende mit einem offenen Brief, aus dem eine
Medienkampagne wurde, die Günter Bentele heute als „irritabel“ bezeichnet.
In der Öffentlichkeit entstand der [1][Eindruck, das Institut wolle die
Journalistik abschaffen]. Unfug, sagt Bentele. Davon sei nie die Rede
gewesen, nur von einer Verleinerung und einer Neuausrichtung aller
Kommunikationsstudiengänge.
Am Ende stand ein Kompromiss, Machill bekam eine Stelle mehr als
vorgesehen. „Die Vereinbarung mit ihm war: Er bekommt einen etwas
’kleineren Garten‘, kann dort dann aber schalten und walten, wie er will“,
sagt Günter Bentele heute. Was wolle man auch machen, im Zweifelsfall müsse
man mit Machill ja noch 20 Jahre am Institut auskommen.
Aus Hallers Professur wurde eine Juniorprofessur, deren offizielle
Besetzung unmittelbar bevorsteht. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man
sich, dass einer von Machills engsten Mitarbeitern die Stelle so gut wie
sicher hat. Machill quittiert das mit einem Lächeln.
## Hallers Prognose: Der Ruf wird sich weiter verschlechtern
Der Zwist hat Spuren hinterlassen. „Natürlich hat dieser Konflikt zu einer
Rufschädigung des Instituts geführt“, sagt Bentele. Und das habe auch an
Machill gelegen.
Ihm fehlt das Charisma von Haller. Machill ist keiner, vor dem die
Studenten Ehrfurcht haben – eher Angst. Ob es nicht schwer für ihn sei,
eine Abteilung zu leiten, die immer noch mit dem Namen Michael Haller in
Verbindung gebracht wird? Heftiges Kopfschütteln bei Machill. „Haller ist
seit zweieinhalb Jahren pensioniert. Wir benutzen nach wie vor seine
Lehrbücher“, sagt er. Mehr nicht. „Haller ist allgegenwärtig“, sagen
hingegen die Studenten. Sie hören von ihm in den Vorlesungen, lesen seine
Bücher, reden über ihn. Es sei klar, wer hinter dem guten Ruf des Instituts
stecke, sagen sie.
Da wird Michael Haller ein wenig wehmütig. Seine Prognose: Der Ruf der
Ausbildung werde sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern.
„Medienpartner werden abspringen, die Redaktionen werden merken, dass die
Volontäre aus Leipzig nicht mehr das Wissen und Können mitbringen, das in
den Redaktionen gebraucht wird“, sagt er.
Unsinn, sagt Marcel Machill.
Die Autorin hat von 1999 bis 2006 Diplom-Journalistik in Leipzig studiert,
dabei aber keine Kurse bei Marcel Machill belegt. Die taz vergibt im Rahmen
einer Kooperation in der Regel jährlich mindestens einen Volontariatsplatz
an Leipziger Studenten
11 Mar 2013
## LINKS
[1] /Professorenkrieg-an-der-Uni-Leipzig/!64754/
## AUTOREN
Steffi Dobmeier
Steffi Dobmeier
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Leipzig
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taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
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