# taz.de -- Israelische Geiseln in Gaza: Zwischen Hoffnung und Verzweiflung | |
> Erstmals sprachen in Tel Aviv Angehörige von Geiseln, die freigelassen | |
> worden sind. Laut Israel seien noch immer mindestens 15 Frauen in Gaza. | |
Bild: Waffenruhe beendet: Israels „Iron Dome“ musste am 1. Dezember wieder … | |
Berlin taz | Es waren Momente der Hoffnung: Zum ersten Mal sprachen auf der | |
samstäglichen Demonstration auf dem „Platz der Geiseln“ vor dem Tel Aviv | |
Museum Familienangehörige [1][von Geiseln, die freigelassen] worden sind. | |
Zehntausende hörten zu, als Hadas Calderon, deren 16-jährige Tochter und | |
12-jähriger Sohn Anfang vergangene Woche freigelassen wurde, auf der Bühne | |
sagte: „Mir ist ein Wunder geschehen – und ich hoffe, euch allen wird | |
dieses Wunder geschehen.“ | |
Doch noch sind längst nicht alle zurück. 140 Geiseln sollen sich noch im | |
Gazastreifen befinden – und seit dem Ende der Feuerpause am Freitag kehrten | |
vorerst keine weiteren zurück. Und so mischt sich [2][in die Hoffnung] auch | |
Verzweiflung. Michael Levys Hoffnung ist geblieben. Etwas anderes kann er | |
sich nicht erlauben. | |
Am 7. Oktober wurde sein Bruder Orr entführt, als er sich auf dem Rückweg | |
vom [3][Nova-Festival] gemeinsam mit seiner Frau in einem Schutzraum | |
versteckte. Kurz darauf warfen Hamas-Terroristen Granaten in den Bunker, | |
eine tötete Orrs Frau. Diejenigen, die im Bunker überlebten, verschleppte | |
die Hamas in den Gazastreifen. Der zweijährige Sohn der beiden, Michaels | |
Neffe, war bei den Großeltern untergekommen. Dort ist er bis heute und | |
wartet auf die Rückkehr seiner Eltern – gemeinsam mit dem Rest der Familie. | |
Das Ende der Waffenruhe hat Levy nicht überrascht: „Vom ersten Tag an hat | |
die Hamas versucht, uns in den Wahnsinn zu treiben und zu manipulieren. Für | |
mich ist der Freitag ein weiteres Beispiel davon.“ Seine Forderung an die | |
israelische Regierung: „Bringt alle Geiseln zurück. Bringt meinen Bruder | |
zurück.“ Wie das passieren soll, das sei die dringende Aufgabe der Politik. | |
Für die meisten Familienangehörigen dürfte es eine schwere Enttäuschung | |
gewesen sein, als der israelische Geheimdienst am Samstag sein | |
Verhandlungsteam aus Katar abrief. Die Gespräche mit der Hamas steckten in | |
einer „Sackgasse“, hieß es aus dem Büro des Ministerpräsidenten. Die | |
[4][Angehörigen von Geiseln] forderten ein baldiges Treffen mit dem | |
israelischen Sicherheitskabinett. Die Zeit werde knapp, „um diejenigen zu | |
retten, die noch von der Hamas festgehalten werden“, erklärte das Forum | |
Abducted and Missing Families am Sonntag. | |
Israel vermutet, dass sich unter den Geiseln noch mindestens 15 Frauen und | |
zwei Kinder befinden. Zu ihnen zählt Israel auch einen Teil der | |
Bibas-Familie, zwei Kinder und ihre Mutter. Die Hamas behauptet, diese | |
seien in israelischem Bombardement getötet worden. Die Terrormiliz Hamas | |
veröffentlichte am Freitag ein Video, in dem der Vater der Familie, Yarden | |
Bibas, Netanjahu beschuldigt, seine Familie in den Bombardements getötet zu | |
haben. Wie bei allen Propagandavideos der Hamas ist unklar, unter welchen | |
Bedingungen sie entstanden sind. Das israelische Militär hat den Tod der | |
zwei Kinder und der Mutter noch nicht bestätigt. | |
Gleichzeitig häufen sich in diesen Tagen die Meldungen, dass einige der | |
Geiseln in der Geiselhaft verstorben oder getötet worden seien. Bislang | |
sind es sechs Personen. „In der aktuellen Ausnahmesituation sei es möglich, | |
jemanden ohne eine ärztliche Leichenschau für tot zu erklären“, erklärte | |
das israelische Gesundheitsministerium. Die Expert*innen stützen sich | |
dabei auf Videoaufnahmen und Aussagen von freigelassenen Geiseln. | |
Großbritannien kündigte an, Israel bei der Suche nach den noch im | |
Gazastreifen verbliebenen Geiseln, unter denen sich auch britische | |
Staatsangehörige befinden, zu helfen. Das britische | |
Verteidigungsministerium werde im Luftraum von Israel und Gaza | |
Überwachungsflüge operieren. Diese seien unbewaffnet und dienten | |
ausschließlich der Ortung von Geiseln. | |
Ob die Verhandlungen noch eine Chance haben, ist völlig unklar. Auch die | |
Terrormiliz Hamas erklärte die Gespräche mit Israel über die weitere | |
Freilassung von Geiseln für vorerst beendet. Eine Freilassung der | |
verbliebenen Geiseln werde es nur geben, wenn der Krieg beendet wird und | |
alle palästinensischen Gefangenen freigelassen würden, sagte Saleh | |
al-Arouri, einer der Köpfe der Hamas, in einem Interview mit dem | |
[5][arabischen Sender Al Jazeera]. Alle palästinensischen Gefangenen – das | |
wären rund 7.000. Dass Israel dem nachkommt, ist extrem unwahrscheinlich. | |
Umstrittener Deal | |
Selbst der bisherige Preis, also die Freilassung von 210 palästinensischen | |
Gefangenen, ist für einige wenige der Familienangehörigen schon zu hoch. | |
Zvika Mor aus der Siedlung Kiryat Arba im besetzten Westjordanland macht | |
sich Sorgen um seinen Sohn, der in Gefangenschaft der Hamas ist – „mehr | |
aber noch um mein Volk“, sagt er am Telefon gegenüber der taz. Er ist Teil | |
einer kleinen Gruppe von Familienangehörigen von Geiseln, die trotz ihrer | |
persönlichen Betroffenheit gegen den Austausch von Geiseln gegen | |
palästinensische Gefangene sind: „Ein solcher Deal bedeutet, | |
palästinensische Gefangene kommen frei und ermorden Juden in unseren | |
Straßen.“ | |
Was diese in seinen Augen marginale Gruppe unter den Familienmitgliedern | |
sagt, genauso wie die Behauptungen der Hamas, ist für Levy nur | |
Hintergrundrauschen. Er fokussiert sich nur auf eins: seinen Bruder – und | |
damit auch den Vater seines kleinen Neffen Almog – zurückzubringen. „Als | |
wir Almog ein Buch vorlasen, an dem am Schluss das Kind seine Mutter | |
wiederfindet und umarmt, umarmte Almog das Buch“, erzählt Levy: „Er ist | |
zwei, er wartet auf seine Eltern.“ Seine Mutter wird nicht mehr | |
zurückkommen können, sein Vater hoffentlich schon. | |
3 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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