# taz.de -- Interview mit KZ-Forscherin: „Es wurde Columbia-Hölle genannt“ | |
> Politikwissenschaftlerin Karoline Georg über die Rolle des | |
> Columbia-Hauses für nationalsozialistische Machtstrukturen und die | |
> Situation jüdischer Häftlinge. | |
Bild: Der Rabbiner Leo Baeck gehörte zu den Häftlingen im Columbia-Haus | |
taz: Frau Georg, was war die politische Lage, als im Frühjahr 1933 erste | |
Häftlinge ins Columbia-Haus kamen? | |
Karoline Georg: Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 setzte eine | |
massive Verfolgung vor allem der Kommunistinnen und Kommunisten in Berlin | |
ein. Im Zuge dessen wurden von der SA zahlreiche Inhaftierungsstätten | |
geschaffen, die berühmten Folterkeller, die etwa in Kneipen eingerichtet | |
wurden. Das waren mehr als 200, die teils nur einige Wochen existiert | |
haben. | |
Das Columbia-Haus war aber ein Gefängnis der SS. | |
Es war zunächst vor allem die SA, die damals Terror und Angst verbreitete. | |
Die SS begann im Frühjahr 1933, Menschen in das ehemalige Militärgefängnis | |
am Columbiadamm zu verschleppen. Ich würde sagen, dass das auch ein Versuch | |
der SS war, die Verfolgung nicht komplett der SA zu überlassen, sondern | |
dabei ebenfalls eine wichtige Kraft zu werden. Das alles passierte im | |
Zusammenwirken mit der immer weiter erstarkenden Geheimen Staatspolizei | |
(Gestapo). | |
Es ging also auch um Machtkämpfe zwischen verschiedenen Apparaten? | |
Ja. Es gab beispielsweise um die „Schutzhaft“ lange Kämpfe, bei denen auf | |
beiden Seiten Nationalsozialisten standen. Es ging dabei vor allem darum, | |
wer die Kontrolle über die Anwendung solcher Mittel und damit über die | |
Verfolgung hatte. Da haben wir auf der einen Seite Heinrich Himmler und | |
Reinhard Heydrich, die im Frühjahr 1934 die Führung der Gestapo in Preußen | |
übernommen hatten. Für sie war die „Schutzhaft“ ein wichtiges Machtmittel, | |
mit dem sie definieren konnten, wer der politische Gegner ist und verfolgt | |
wird. Das weitete sich ja mit dem Verbot der SPD im Juni 1933 schnell auf | |
die Sozialdemokraten, auf Intellektuelle, Künstler, die Zeugen Jehovas aus. | |
Diese Ausweitung war für Himmler und Heydrich sehr wichtig: Sie wollten | |
Hitler zeigen, dass ihr Weg der gnadenlosen Verfolgung politischer Gegner | |
der richtige ist. | |
Und auf der anderen Seite? | |
Das waren auch Nationalsozialisten, aber mit anderen Interessen. Zum einen | |
muss hier Hermann Göring genannt werden, dem die Gestapo als preußischem | |
Ministerpräsidenten zunächst unterstellt war. Und gegen den dauerhaften | |
Einsatz der „Schutzhaft“ wandte sich zum Beispiel Innenminister Wilhelm | |
Frick, weil es mit der Gestapo eine wichtige Verfolgungsbehörde gab, die | |
ihm nicht unterstellt war. Aber er konnte sich nicht gegen die Gestapo | |
durchsetzen, deren Macht sich bis 1936 im Sinne von Himmler und Heydrich | |
immer weiter verfestigte. Auch das System der Konzentrationslager | |
entwickelte sich in engem Zusammenhang mit der Gestapo und dem Geheimen | |
Staatspolizeiamt Gestapa und setzte sich als System der Verfolgung im | |
Nationalsozialismus durch. | |
Das Columbia-Haus diente also zur Verfolgung des Widerstands gegen die | |
Nationalsozialisten und war zudem ein wichtiger Baustein für deren | |
Machtsicherung? | |
Genau. Und es war ein Ort, wo die Gestapo Männer so lange inhaftieren | |
konnte, wie sie Interesse daran hatte, sie zu verhören und zu foltern, ohne | |
sie in das reguläre Strafsystem zu übergeben. Denn wenn man gar keine | |
strafrechtlich relevanten Gründe hätte ermitteln können, um sie | |
festzuhalten, hätte man sie ja freilassen müssen. | |
Es gab furchtbare Misshandlungen von Gefangenen im Columbia-Haus, Morde und | |
Selbstmorde – warum diese ungeheure Brutalität? | |
Es war viel Rache im Spiel, es war so etwas wie ein Siegesrausch der | |
nationalen Revolution: „Wir haben jetzt die Macht und wir nutzen sie.“ Und | |
die Täter wurden in ihrer Brutalität, ihrem Sadismus ja auch nicht | |
gebremst. Sie konnten morden, foltern und misshandeln, ohne Strafverfolgung | |
zu befürchten. | |
Die Gewalt diente ja auch zur Einschüchterung, musste also nach außen | |
bekannt werden. Wussten die Berliner*innen damals vom Columbia-Haus und | |
dem, was dort passierte? | |
Eher nicht, die Gestapo hat schon versucht, das geheim zu halten. Aber | |
unter den politischen Gegnern der Nazis war das Columbia-Haus sehr schnell | |
bekannt, über Mund-zu-Mund-Propaganda, es wurde als Columbia-Hölle | |
bezeichnet. Jeder Häftling, der entlassen wurde, musste zwar | |
unterschreiben, dass er absolutes Stillschweigen über das bewahren würde, | |
was dort geschehen war. Viele haben ihren Genossinnen und Genossen aber | |
dennoch nachher berichtet, was ihnen dort widerfahren ist, und oft sah man | |
ihnen das ja auch an, weil sie so schwer misshandelt worden waren. | |
Interessant ist aber, dass über das Columbia-Haus relativ viel im Ausland | |
berichtet wurde. | |
Wie kam das? | |
Viele Insassen verließen nach ihrer Haft Deutschland und verfassten im Exil | |
dann teils selbst Berichte über ihre Haft oder berichteten anderen darüber. | |
Kurt Hiller war ein prominentes Beispiel, er war im Juli 1933 als einer der | |
ersten Häftlinge im Columbia-Haus. Andere Häftlinge haben ihre Erfahrungen | |
in Romanform verarbeitet. Es hat aber auch die ausländische Presse über das | |
Columbia-Haus berichtet, das prominenteste Beispiel ist der Manchester | |
Guardian, der hatte einen deutsch-britischen Korrespondenten in Berlin, | |
Frederick A. Voigt, der von 1933 bis 1934/35 zahlreiche Artikel geschrieben | |
und dafür offenbar auch mit ehemaligen Häftlingen gesprochen hat. Das | |
heißt, im Ausland war das Columbia-Haus möglicherweise bekannter als im | |
Inland, was auch dazu führte, dass es 1935 auf dem Broadway die Premiere | |
eines Theaterstückes gab, „Till the Day I Die“ von Clifford Odets. Darin | |
geht es um die Verfolgung einer kommunistischen Gruppe und die Inhaftierung | |
eines Kommunisten, der dann im Columbia-Haus schwer misshandelt wird. | |
Aktuell beschreibt Volker Kutscher in seinem neuen Krimi „Olympia“, wie | |
Columbia-Häftlinge das KZ Sachsenhausen mit aufbauen. Ist das historisch | |
richtig? | |
Ja, und es sind wohl sogar auch Planungszeichnungen für das | |
Konzentrationslager Sachsenhausen von Häftlingen im Columbia-Haus | |
angefertigt worden. Es wurde dort auch ein Zellenbau errichtet, der die | |
Funktion des Gestapogefängnisses weiter erfüllte. Dorthin wurden einige | |
Häftlinge aus dem Columbia-Haus dann überstellt. | |
Das Columbia-Haus wurde für den Bau des Flughafens restlos beseitigt. Wurde | |
es auch deshalb zum „vergessenen Lager“ – weil schlicht nichts mehr zu | |
sehen war? | |
Natürlich macht es das Erinnern schwerer, wenn da gar nichts mehr steht. | |
Doch was die NS-Geschichte des Tempelhofer Feldes betrifft, hat man sehr | |
schnell sehr viel vergessen. Da geht es nicht nur um das Columbia-Haus, | |
sondern auch um die Zwangsarbeit, die dort stattgefunden hat, oder auch die | |
riesigen Naziaufmärsche, die es dort seit 1933, etwa zum 1. Mai gab, wo | |
dort vermutlich eine Million Menschen waren. Es hatte als Ort also | |
eigentlich eine stark nationalsozialistische Prägung. Aber mit der | |
Luftbrücke kam es ab 1948 dann zu einer sehr positiven Besetzung des | |
Tempelhofer Feldes. | |
Hatte das Vergessen vielleicht auch mit den Insassen zu tun, Homosexuelle, | |
die ja weiter verfolgt wurden, Kommunisten, die man in Westberlin | |
vielleicht nicht so schätzte, weil sie später teils wichtige Funktionäre in | |
der DDR waren? | |
Wir können nicht genau beziffern, wie viele der Gefangenen im Columbia-Haus | |
homosexuelle Männer waren. Anhand der vorliegenden Quellen können wir aber | |
sagen, dass 1935 mehr homosexuell als politisch verfolgte Männer | |
eingeliefert wurden, vielleicht geht das in die Tausende. Dass es nach dem | |
Krieg durch die weitere Verfolgung männlicher Homosexualität keinerlei | |
Anerkennung dieser Verfolgung im Nationalsozialismus gab, führte auch dazu, | |
dass zum Ersten kein gesellschaftliches Klima bestand, über diese | |
Verfolgung zu sprechen, und zum Zweiten diese Männer sich in Gefahr begeben | |
hätten, wenn sie über ihre Verfolgung als Homosexuelle gesprochen hätten. | |
Denn sie konnten ja weiter verfolgt werden. | |
Und die Kommunisten? | |
Möglicherweise wäre man mit einem Ort, an dem so viele Kommunisten und auch | |
später bekannte DDR-Funktionäre inhaftiert gewesen sind, in Ostberlin | |
anders umgegangen. Man hätte sicher nicht wie hier erst 1994 nach der | |
Wiedervereinigung ein Mahnmal aufgestellt. Aber es gibt noch einen anderen | |
Aspekt, der das Erinnern an das Columbia-Haus erschwert: Es war für viele | |
Männer der Beginn einer Odyssee durch viele Lager, oft bis 1945, wenn sie | |
das überlebt haben. Wenn diese Männer später ihre Erinnerungen | |
aufgeschrieben haben, stand das Columbia-Haus, wo sie meist eher kurze Zeit | |
verbrachten, oft im Hintergrund. Wer danach noch fünf Jahre in | |
Sachsenhausen gesessen hat, erwähnt das Columbia-Haus eher als Beginn | |
dessen, was noch kommen sollte. Deswegen wurde das Lager lange nicht so | |
wahrgenommen wie Sachsenhausen. Selbst geschichtsinteressierte Menschen | |
wissen oft gar nicht, dass es das Columbia-Haus gegeben hat. | |
Sie haben sich in Ihrer Dissertation speziell den jüdischen Gefangenen im | |
KZ Columbia gewidmet, was sind Ihre Erkenntnisse? | |
Es gab damals noch keine spezielle Kennzeichnung jüdischer Häftlinge und | |
keine physische Trennung von den nichtjüdischen Gefangenen. Und die | |
jüdischen Häftlinge im Columbia-Haus waren oft doppelt verfolgt: Es waren | |
Kommunisten, Sozialdemokraten oder intellektuelle Pazifisten wie Kurt | |
Hiller, sie wurden aus verschiedenen Gründen verschleppt. Aber was wir | |
sehen können, ist, dass sie noch deutlich härteren Haftbedingungen | |
ausgesetzt waren als die nichtjüdischen Gefangenen – das beginnt bei | |
antisemitischen Beschimpfungen und Demütigungen und geht bis zu besonders | |
schweren Misshandlungen, die meist auch antisemitisch aufgeladen sind. | |
Antisemitismus war also Praxis. | |
Ja, und wir sehen auch, dass es von Anfang an Häftlinge gab, die aus genuin | |
antisemitischen Gründen verfolgt wurden: weil die NSDAP eine antisemitische | |
Partei war, die zunächst die Vertreibung aller Juden aus Deutschland zum | |
Ziel hatte, was auch mit Terror verfolgt wurde. So wurde etwa Max Naumann, | |
der Leiter des Verbandes nationaldeutscher Juden, im Columbia-Haus | |
inhaftiert, der eigentlich selbst rassistisch dachte. Er trennte zwischen | |
den eingesessenen deutschen Juden, die seiner Auffassung nach ein Teil der | |
deutschen Volksgemeinschaft werden sollten, und den sogenannten Ostjuden. | |
Da er sich damit gegen die Politik der Gestapo stellt, die die Juden zu der | |
Zeit aus Deutschland vertreiben will, während Naumann sie aufruft, in | |
Deutschland zu bleiben, wird er inhaftiert. Und dann haben wir die dritte | |
Gruppe jüdischer Häftlinge, die als Homosexuelle inhaftiert wurden. Ein | |
Artikel, der 1936 im Stürmer erschienen ist, zeigt die Verwicklung von | |
antisemitischen und homosexuellen Narrativen: Dass Juden nämlich in | |
besonderem Maße andere Männer zu homosexuellen Handlungen anstiften würden. | |
Ansonsten kann man aber relativ wenig zu dieser Gruppe sagen, weil die | |
Forschung zu homosexuellen Häftlingen wegen der Quellenlage schwieriger | |
ist. | |
12 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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