| # taz.de -- Insel-Pop: Love & Peace bei Windstärke 8 | |
| > Vor 45 Jahren pilgerten Tausende zum Open-air-Festival nach Fehmarn. Auch | |
| > unser Autor war nass und frustriert. Ein Rückblick auf Hendrix & Co. | |
| Bild: Eintrittskarte mit Programm vom Pofestival auf Fehmatn | |
| ## Donnerstag 3. 9. 1970, 16.30 Uhr | |
| Wir sind im Gelobten Land. 28 Mark kostete die Karte. Jetzt sind wir im | |
| Zeltdorf. Der Boden: Erika. Der Untergrund: Sand. Der Strand gleich in der | |
| Nähe. Vorn in der Heide die Bühne. Circa 50 Zelte sind aufgebaut; große, | |
| dicke Plastikdecken. Sieht aus wie ein Nomadenlager. Große, einfache, | |
| orangefarbene Behausungen. Eine Aufschrift am Eingang, weiß auf schwarzem | |
| Plastik: „Jointhaus. Goofy ist ausgeflippt“. | |
| Trinke Wasser in der Waschanlage. Wird schon nicht giftig sein. Die | |
| Marienkäfer entwickeln sich zu einer richtigen Plage. Überall, im | |
| Schlafsack, im Pullover, auf dem Gepäck, an den Füßen, im Haar, in den | |
| Taschen. Hier im Zelt, das an einer Seite offen ist, liegen 9, 10 Mann. | |
| Einer liest Mickey-Maus, einer, pardon, einige trinken Wein. R. liest Henry | |
| Miller, der Typ neben ihm isst Käse, dem Geruch nach. | |
| Die Organisatoren kennt man nicht von den Leuten unterschieden. Die meisten | |
| sind langhaarig. Armeejacke, Parkas, Fellmantel, Stiefel. Der Wind weht, | |
| bläht die Plastikbahnen auf. Aber wir sind geschützt. Abgesagt hat nur | |
| Canned Heat. Bis jetzt. | |
| ## 17.15 Uhr | |
| Ein paar harte Sadistengesichter sind gekommen. Typen, ganz in Schwarz, | |
| einer mit silbernem Eisernen Kreuz. Hager, im Grunde hässlich. Quält die | |
| Marienkäfer mit Feuer und Zigarette. Mir gehen sie ja auch allmählich auf | |
| die Nerven. | |
| Wenig moderne Nomaden sind hier. Die Sehnsucht nach einem warmen Heim ist | |
| voll in allen Gammlern. Kaum sind sie hier, haben sie die Zelte zu | |
| gemütlichen Wohnungen umgestaltet. Kleider liegen herum, Musik ertönt, die | |
| Luken werden dichtgemacht. W. traf ich gerade wieder. Er hatte einen | |
| anderen Typen dabei. Schon ca. 30, Bart, Felljacke, Ledertasche. | |
| ## 4. 9., Freitag, 17 Uhr | |
| Nachts lange nicht geschlafen. Zweimal kamen Rocker: „Eintrittskarten sehen | |
| lassen.“ Wie die Schlägertrupps der Nazis benahmen sie sich. Nur dass sie | |
| nicht schlugen. Die Deutschen lieben Uniformen und Ordnerbinden. | |
| Verwunderlich, dass gerade Rocker auf solchen Festivals als Ordner | |
| eingesetzt werden. Vermutlich, weil sie billig sind. Das Ganze verspricht, | |
| eine ziemliche Enttäuschung zu werden. Eine Stunde hat Burnin Red Ivanhoe | |
| gespielt. Nebenzu Regen. Irgendwelche Typen verbrennen was. Rauch überall. | |
| Die Augen tränen. Ich im Plastiksack fühle mich wohl. Habe noch Käse und | |
| Brot. Einer verkauft hartgekochte Ostereier. | |
| ## 23 Uhr | |
| War eine ziemliche Pleite. Nach einer Pause von zwei Stunden kam | |
| Fotheringay. Nicht übel. Leicht gesoftet. „John the gun“ und „Memphis | |
| Tennessee“. In der Pause traf ich den Berliner wieder und klaute ein | |
| Fleischküchlein. Dann kam noch Renaissance, später spielte Alexis Korner. | |
| Wurde klitschnass. Im Zelt lagen alle wie Ölsardinen. Hatte eine Wut. | |
| Pop-Festivals, der einfachste Weg, reich zu werden: Viel Werbung; Gruppen, | |
| die gar nicht zu kommen brauchen; zu wenig Toiletten; Rockerbanden als | |
| Schläger. Und beim nächsten Mal kommen dieselben Leute wieder. Dazu | |
| möglichst schlechtes Wetter. Möglichst schlechte Bands. Möglichst schlechte | |
| Entschuldigungen. Möglichst kein Toilettenpapier. Möglichst ein Raum, in | |
| dem sich 100 Mann waschen müssen. Die Lautsprecher sollten wenigstens | |
| teilweise manchmal ausfallen. Und man verlange horrende Eintrittspreise: Je | |
| höher sie sind, desto mehr Leute kommen. | |
| ## 5. 9., Samstag, nachts | |
| Latschte mit dem Heidelberger vor zur Bühne. Bekam Shit von einem Typ aus | |
| Essen und Lebensmittel von einem Typ aus Göttingen. Es spielt Frumpy, die | |
| ehemaligen City Preachers: warfen Orgeln um, wirbelten Mikrofone usw., dann | |
| Ginger Bakers Airforce mit einem guten Schlagzeugsolo bei „Do what you | |
| like“. Fat Matress auch nicht übel. | |
| Windstärke 8 wurde angesagt, wir latschten in die Zelte und schon regnete | |
| es. Nachts spielten noch die Faces und Canned Heat mit einem neuen | |
| Sologitarristen. Der alte hatte sich zwei Tage vorher umgebracht. Ich war | |
| froh, im Trockenen zu sein. Der Wind deckte einige Zelte ab. Den besten | |
| Anblick bieten die Toiletten. Vollgeschissen bis obenhin, setzt immer noch | |
| einer einen Haufen drauf. Hier im Zelt versorgt ein Verheirateter, der ohne | |
| Frau hier ist, alle mit Essen. Wind. Malraux habe ich fertig und dem | |
| Heidelberger geschenkt. | |
| ## 6. 9., Sonntag, 12 Uhr | |
| Warten auf Jimi Hendrix. Alexis Korner spielt zur Überbrückung der Zeit. | |
| Alles sitzt dicht gedrängt. Plakate werden verkauft. Platten. Vorne | |
| Raubdrucke. Und Hendrix lässt sich Zeit. | |
| ## 14.30 Uhr | |
| Das war es also mit Hendrix. In violetter Hose, buntem Hemd und Stirnband | |
| bot er die übliche Schau: Gitarre mit den Zähnen. Orgasmusvorführungen. | |
| Purple Haze, Hey Joe und ein paar unbekannte Songs. Aber spielen kann er. | |
| Vorher eine echt deutsche Szene. Vorne steht stur eine Gruppe Leute und | |
| setzt sich nicht. | |
| Von hinten kommen erst Rufe, dann Abfall, schließlich Dosen. Die vorderen | |
| stolz auf ihre Stärke. Die hinteren in ohnmächtiger Wut. Jetzt wandern | |
| viele Leute ab. Wenn es vorher mal nach Woodstock aussah, dann jetzt nach | |
| Abfallhaufen. Einmal regnete es zwischendurch strömend. Ließ mich zuerst | |
| durchnässen, dann unter die Plane. Dazu Hendrix. Fürwahr nicht übel, diese | |
| Stimmung. | |
| ## 7. 9., Montag, 14.30 Uhr | |
| Junge, Junge. Seit halb zehn gelaufen. Jetzt bei Großenbrode. Stehen noch | |
| einige mit dem Daumen raus. Gestern Nacht: Feuer auf Fehmarn. Nach Jimmy H. | |
| spielte Floh de Cologne mit ganz guten Texten vom „Fließbandbaby“. Dann kam | |
| noch Embryo mit Psychorock. Flöte und so. Dann latschten wir ins Zelt. Als | |
| wir wiederkamen, brannte das Organisationszentrum. Man hatte angesagt, Ten | |
| Years After spiele nicht. Flaschen und Eier flogen. Daraufhin wurde das | |
| Festival für geschlossen erklärt. | |
| Nun stürmten sie die Bühne und legten hinten Feuer. Die Roten, die Linken | |
| versuchten die Macht an sich zu reißen. Misslang. Es wurden Gruppen | |
| gebildet, die Anzeige stellen wollten und neue Popfestivals aufziehen | |
| wollten. Ich latschte nochmal ans Feuer. Aß Eier und zog am Shit. Dann | |
| verirrte ich mich. Im Dunkeln, im Schilf keine Zelte mehr gesehen und fast | |
| Horror. | |
| ## 15 Uhr | |
| Jetzt haben mich 2 junge Polizisten mitgenommen, die auch von Fehmarn | |
| kamen. Sie gaben mir 2 Zigaretten. Hatten mich heute morgen schon gesehen. | |
| Hatte das Peace-Zeichen gemacht, als die Bullenkolonne vorbeifuhr. | |
| 29 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Franz Lerchenmüller | |
| ## TAGS | |
| Popfestival | |
| Fehmarn | |
| Hannover | |
| Fehmarn | |
| Fehmarnbelt-Querung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Ich meld‘ mich: Ein Herz für’n Harz | |
| Es muss nicht immer der Times Square oder Sankt Moritz sein. Das Glück kann | |
| auch einen ganz anderen Namen haben. | |
| Wasservogelreservat auf Fehmarn: Ganz allein mit Chip und Chap | |
| Ein Besuch im Wasservogelreservat Wallnau ginge ohne Freiwillige gar nicht. | |
| 25 Naturschützer halten hier den Betrieb am Laufen. | |
| Verzögerter Tunnelbau im Fehmarnbelt: Ohne Plan und ohne Geld | |
| Der Tunnel in der Ostsee wird frühestens 2024 eröffnet – wenn überhaupt. | |
| Zeit und Kosten laufen Dänemark davon. | |
| Insel-Lichtspiele: Kino und Meer | |
| Während auf dem Festland die nächste Schließungswelle rollt, lebt auf den | |
| Inseln eine Kino-Kultur, die auch von besonderen Spielstätten profitiert. |