# taz.de -- Impfkampagne in Deutschland: Corona ohne Zwang bewältigen | |
> Das Impfen bleibt freiwillig, sagen Jens Spahn und Angela Merkel auf | |
> einer Pressekonferenz. Sie appellieren an die Verantwortung aller. | |
Bild: Das Vakzin gegen Corona wurde im Mai auch in der Moschee in Köln-Ehrenfe… | |
BERLIN taz | Die angekündigte Impfpflicht für medizinisches Personal in | |
Frankreich bewegt auch die deutsche Politik. Bisher allerdings ist es eine | |
recht einseitige Debatte, die da in Berlin entbrannt ist. Bundeskanzlerin | |
Angela Merkel wandte sich am Dienstag explizit gegen die Idee. Auch sonst | |
sprachen sich mehrere deutsche Politiker:innen gegen solche Regelungen | |
aus, egal ob für einzelne Gruppen oder die gesamte Bevölkerung. | |
Merkel sagte während einer Pressekonferenz am Robert-Koch-Institut (RKI): | |
„Wir haben nicht die Absicht, den Weg zu gehen, den Frankreich | |
eingeschlagen hat.“ Es sei möglich, auch ohne Zwang die nötige Impfquote zu | |
erreichen, um gut durch Herbst und Winter zu kommen. | |
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, auf die Impfpflicht angesprochen, | |
rutschte gar ein „Die Debatte brauchen wir nicht“ heraus, und auch RKI-Chef | |
Lothar Wieler äußerte sich ablehnend. | |
Alle drei betonten, sie würden auf Freiwilligkeit setzen. Die Impfung sei | |
eine „sehr individuelle Entscheidung“, so Spahn. Umso eindringlicher warben | |
die drei am Dienstag aber dafür, sich freiwillig für die Immunisierung zu | |
entscheiden: Es gebe keine Impfpflicht, sondern „ein Impfgebot, ein Gebot | |
der Vernunft“, sagte Spahn. Merkel setzte in Sachen Pathos noch einen | |
drauf: „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein, umso | |
freier können wir wieder leben.“ | |
Hintergrund dieser fast flehentlichen Aufforderungen ist, dass die | |
täglichen Impfzahlen in Deutschland derzeit zurückgehen. Zwar sind fast | |
zwei Drittel der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, doch waren am | |
Montag nur noch rund 450.000 Dosen verimpft worden. Anfang Juni waren es an | |
manchen Tagen noch etwa 1.400.000 gewesen. Die 7-Tage-Inzidenz steigt | |
dagegen wieder – wenn auch nur leicht, zuletzt von 6,4 Infektionen pro | |
100.000 Einwohner:innen und Woche am Sonntag auf 6,5 am Montag. | |
## Konsens gegen eine Impfpflicht | |
Dennoch: Nicht nur Merkel und Spahn, auch SPD-Generalsekretär Lars | |
Klingbeil, sein Parteikollege Karl Lauterbach und der Präsident der | |
Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sprachen sich am Dienstag gegen eine | |
Impfpflicht aus. Die Vorsitzende des deutschen Ethikrats, Alena Buyx, | |
sagte, eine solche sei in Deutschland schlicht nicht nötig. „Ich glaube, | |
dass man darüber nicht nachdenken muss“, sagte sie dem ZDF. Prominente | |
Stimmen, die sich für eine Impfpflicht aussprachen, wurden am Dienstag | |
nicht laut. Zwar hatte Ethikratmitglied Wolfram Henn am Montag eine Pflicht | |
für Kitapersonal und Lehrer:innen gefordert, sein Vorstoß spielte nun | |
keine große Rolle mehr. | |
Rein rechtlich wäre eine Impfpflicht in Deutschland wohl durchaus möglich. | |
Da es sich um einen Eingriff in Grundrechte handelt, müsste eine solche | |
Pflicht für alle oder für bestimmte Berufsgruppen per Gesetz eingeführt | |
werden, [1][der Bundestag müsste das Infektionsschutzgesetz ändern]. Da die | |
Impfung mit einem Piks verbunden ist, liegt ein Eingriff in die | |
grundrechtlich geschützte körperliche Unversehrtheit vor. Auch die | |
möglichen Nebenwirkungen und Risiken sind grundrechtsrelevant. | |
Grundrechtseingriffe sind aber möglich, wenn es dafür eine Rechtfertigung | |
gibt. Im Fall einer Impfpflicht wäre das vor allem die Gesundheit der | |
Bevölkerung oder der jeweiligen Schützlinge, weil das Ansteckungsrisiko | |
verringert werden könnte. Entscheidend dürfte dann die Frage sein, ob eine | |
Impfpflicht verhältnismäßig ist. | |
Sie müsste demnach geeignet, erforderlich und angemessen sein, die Ziele zu | |
erreichen, wobei der Gesetzgeber einen gewissen Einschätzungsspielraum hat. | |
Es kommt dabei aber immer auf den Stand der Pandemie und der | |
wissenschaftlichen Erkenntnisse an, sodass der Ausgang einer zukünftigen | |
Prüfung schwer zu prognostizieren ist. Ob eine neu gewählte Bundesregierung | |
im Herbst bei womöglich explodierenden Infektionszahlen nicht doch noch | |
einmal auf die Idee einer Impfpflicht zurückkommt? Möglich wäre es. | |
## Mit sanftem Druck zum Impfen | |
Möglich wäre es wohl aber auch, dass die Politik es Impfverweigerern | |
anderweitig etwas weniger bequem macht. Da schienen am Dienstag sogar | |
Merkel und Spahn offen. Beide wollten auf Nachfrage nicht ausschließen, | |
Coronatests für Impfverweigerer in Zukunft einmal nicht mehr zu bezahlen – | |
so wie es in Frankreich nun zusätzlich zur Impfpflicht für medizinisches | |
Personal gelten soll. Weil die Tests aber nötig bleiben, um Veranstaltungen | |
zu besuchen, wäre ein Kinobesuch für Ungeimpfte deutlich teurer. Darüber | |
könne man nachdenken, so Spahn. | |
Schroff reagierten Merkel und Spahn am Dienstag indes auf Forderungen, die | |
Coronapolitik weniger von der 7-Tage-Inzidenz abhängig zu machen und an | |
andere Kennwerte zu koppeln. Diese Idee hatten am Montag etwa der | |
saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) oder der Industrieverband | |
BDI vorgebracht. Merkel sagte dazu nun, zwar bedeute der Impffortschritt, | |
dass eine hohe Inzidenz nicht mehr so schnell eine Überlastung der Kliniken | |
nach sich ziehe, der Zusammenhang bleibe in abgeschwächter Form aber | |
bestehen. Ohnehin plant die Bundesregierung, auch andere Parameter | |
zunehmend mit in Bewertungen der Coronalage mit einzubeziehen. Aber: „Die | |
Inzidenz bleibt eine wichtige Größe“, so Merkel. | |
13 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
Christian Rath | |
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