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# taz.de -- Image-Politur des IOC: Eyh, Jugend der Welt!
> In Lausanne finden die Olympischen Jugend-Winterspiele statt. Das
> Großevent will moderner und nachhaltiger erscheinen – damit sich nichts
> ändert.
Bild: Ganz nach oben: Mit Skibergsteigen wird eine neue Sportart fürs olympisc…
Dimitrios Loundras gilt als jüngster Olympionike aller Zeiten. Bei den
ersten Spielen der Neuzeit, 1896 in Athen, gewann der Turner aus
Griechenland eine Silbermedaille im Teamwettbewerb am Barren; er war zu
diesem Zeitpunkt 10 Jahre und 218 Tage alt. 1936 erschwamm sich die Dänin
Inge Sörensen bei den Nazispielen von Berlin im zarten Alter von 12 Jahren
eine Bronzemedaille über 200 Meter Brust.
Was diese beiden Athleten gemeinsam haben? Sie hätten nicht bei den
Olympischen Jugendspielen starten dürfen, einem Event, das gerade im
schweizerischen Lausanne stattfindet. Sie wären zu jung gewesen für die
Jugend im 21. Jahrhundert. Nach den Regularien des Internationalen
Olympischen Komitees (IOC) müssen Athleten mindestens 14 Jahre alt sein, um
bei dem im Jahr 2010 erstmals veranstalteten Format dabei sein zu können.
Die Obergrenze liegt bei 18 Jahren, und sie wird bisweilen wegen kreativer
Passeinträge unter Zuhilfenahme eines Kernspintomografen überprüft. Es wäre
unschön, wenn bei den Jugendspielen, erklärtermaßen eine Variante des
olympischen Downsizing, so ein Fall wie bei den Olympischen Sommerspielen
von Peking aufploppte; seinerzeit wurde der chinesischen Turnerin Dong
Fangxiao ihre Bronzemedaille von Sydney weggenommen, weil sie
offensichtlich in einen Jungbrunnen gefallen war: Im Jahr 2000 war sie nach
eigener Angabe 17 Jahre alt, acht Jahre später 22.
Bisher laufen die Jugendspiele, was das angeht, reibungslos. Gut 1.000
Sportler absolvieren am Genfer See und in St. Moritz ein großes Ferienlager
mit gelegentlichen sportlichen Einlagen, die aber laut IOC nicht so wichtig
sind, weil es eigentlich um die Wertevermittlung und den Spaß am Sport
gehe, auch um „Wohlbefinden und Gesundheitsschutz“.
## Bananenbrot, Frauensport und Nachhaltigkeit
Die Sportler sollen für die Zeit der Wettkämpfe den Ehrgeiz hintanstellen
und einfach eine gute Zeit haben, denn später wird es in der Sportwelt der
Erwachsenen ja noch ernst genug mit all der Doperei, dem ätzenden
Konkurrenzdruck und den schweren Verletzungen. Im Studium generale am Rande
der Loipen, Pisten und Eisbahnen kann es schon mal passieren, dass die
„athlete role models“, also die erfahrenen Alt-Olympioniken, die vom IOC
herangekarrt werden zum Zweck der Erbauung, keine druckreifen Aphorismen
von sich geben, sondern nur wie Lindsey Vonn davon erzählen, gern
Bananenbrot mit Schokolade zu essen. Aber das ist nicht weiter schlimm,
denn mit solchen Offenbarungen trifft die US-Amerikanerin den Zeitgeist eh
ganz gut.
Und genau darum geht es: um Zeitgeist-Fangspiele. Oder wie der ehemalige
IOC-Präsident Jacques Rogge, der Herbergsvater der Jugendspiele, einst
sagte: „Wenn wir verstehen, was jetzt die Kinder wollen, können wir eine
Sportwelt mitgestalten, in der das IOC einen sicheren Platz hat.“
In den Nullerjahren galt das IOC als verstaubt und krisengeschüttelt. Rogge
suchte den Anschluss an die Moderne. Die alten Männer mussten sich locker
machen und neue Potenziale erschließen. Rogge war dafür geeignet, weil er
als Schirmherr schon die Europäischen Jugendspiele begleitet hatte. Sie
gibt es seit 1991, und Rogge sagte in den Neunzigerjahren einmal, diese
Jugendspiele seien für ihn ein wichtiger Weg, um das System vom Kopf zurück
auf die Füße zu stellen.
Rogge mag die besten Absichten mit seinen [1][Jugendspielen] gehabt
haben, aber an dieser Figur sollte er sich verheben. Die Olympischen
Jugendspiele sind zwar eine sympathische, weitgehend werbefreie und
niedrigschwellige Miniminiausgabe der großen Spiele, aber sie imitieren
letztlich doch das Erwachsenevent und haben sich auch nicht, wie von Rogge
erhofft, als Wachstumsbremse für den Gesamtbetrieb erwiesen. Im Gegenteil:
Die Spiele wachsen unvermindert, und die Jugendspiele, deren IOC-Etat im
Übrigen auch wächst – von 40 Millionen Dollar 2010 auf 64 Millionen Dollar
bei den Jugendspielen von [2][Buenos Aires] im Jahr 2018 –, sind nicht
schuldlos daran. Hier werden immer wieder neue Formate, Ideen und
Disziplinen getestet, die dann vom olympischen Großreich übernommen werden.
Bei den Olympischen Jugendspielen 2022 in Dakar rücken die Kampfsportart
Wushu sowie die Baseballvariante Baseball5 ins Programm. In Lausanne
wiederum wird der Part der Geschlechtergerechtigkeit betont: Es gibt
Mädchenwettbewerbe im Doppelsitzer-Rodeln und in der Nordischen
Kombination. Im 3-gegen-3-Eishockey gehen nicht einzelne Nationen, sondern
gemischte Teams an den Start. Gänzlich neu war das Skibergsteigen. Das IOC
dient sich in einer Mischung aus Pragmatismus, Bauernschläue und
Selbsterhaltungstrieb den postmodernen Zeiten an. Das Komitee weiß: Will es
weiter wachsen und dabei akzeptiert werden, muss es globalistischer,
feministischer und noch geschmeidiger werden.
17 Jan 2020
## LINKS
[1] /Start-der-Olympischen-Jugenspiele/!5137398
[2] /Olympische-Jugendspiele-in-Buenos-Aires/!5499961
## AUTOREN
Markus Völker
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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