# taz.de -- Olympische Jugendspiele in Buenos Aires: Die wollten nur Spiele | |
> Den Zuschlag für Jugend-Olympia gab es für ein soziales Konzept. Davon | |
> ist nichts mehr zu erkennen. Nun will Argentinien das ganz große | |
> Spektakel. | |
Bild: IOC-Chef Thomas Bach erklärt, wie Olympia geht. Argentiniens Oberfunktio… | |
BUENOS AIRES taz | Olympische Spiele in Buenos Aires – das ist für manch | |
einen schon immer ein Traum gewesen. Zum Beispiel für Gerardo Werthein, | |
seines Zeichens NOK-Präsident Argentiniens, IOC-Mitglied und Spross einer | |
wichtigen Unternehmerfamilie des Landes. Für 2004 war eine Bewerbung | |
gescheitert, ebenso 1968 und 1956 und sogar schon im Vorfeld von 1936. Aber | |
jetzt, in diesem Oktober, da finden sie endlich statt – also zumindest die | |
Olympischen Jugendspiele. | |
2013 hatte das Bewerbungskomitee, angeführt vom damaligen Bürgermeister und | |
jetzigen Staatspräsidenten Mauricio Macri und ebenjenem Gerardo Werthein, | |
ein Budget von rund 231 Millionen US-Dollar präsentiert, 105 für die | |
Durchführung und 126 Millionen für die Errichtung des olympischen Dorfs. | |
Das Konzept setzte fast komplett auf die Nutzung vorhandener Sportstätten, | |
insbesondere jener im Cenard, dem Nationalen Zentrum für | |
Hochleistungssport, auf Anmietungen, so zum Beispiel des Stadions von | |
River Plate, und auf temporäre Sportstätten. Das war ganz nach dem | |
Geschmack des IOC. | |
Unglücklicherweise kamen die ehrgeizigen Argentinier auf ihr knappes | |
Budget, indem sie annahmen, 2018 stünde der Wechselkurs von Dollar zu | |
argentinischem Peso 1 zu 4,5. Tatsächlich lag der offizielle Kurs bereits | |
am Tag der Entscheidung bei 5,4 Peso, der auf dem Schwarzmarkt bei 7,9. Der | |
IOC-Bericht zu den Bewerbungen hatte Ende 2012 festgestellt, dass der | |
angenommene Kurs angesichts der hohen Inflationsrate Argentiniens ein | |
„Risiko“ darstelle. Heute gibt es für einen Dollar 20,7 Peso, kurzum: Die | |
Jugendspiele sind ohne weiteres Zutun gut viermal so teuer wie | |
prognostiziert. | |
Das allein wäre vermutlich nicht der Rede wert, gäbe es nicht längst ganz | |
andere Zahlen. Die hat Ernesto Rodríguez III recherchiert. „Ursprünglich | |
waren es rund 1,04 Milliarden Pesos, am heutigen Tag sind wir bei circa | |
11,5 Milliarden“, sagt der Sportjournalist aus Buenos Aires über die | |
Entwicklung der Gesamtkosten. | |
## Das Thema Transport | |
Alejandro Lifschitz, Kommunikationsdirektor des Organisationskomitees, | |
erklärt, der operative Etat „beläuft sich auf etwa 210 Millionen US-Dollar, | |
von denen 20 bis 25 Millionen vom IOC und aus unseren Lizenz- und | |
Sponsorenverträgen gedeckt werden. Den Rest finanziert die Regierung der | |
Stadt Buenos Aires.“ Auf Nachfrage erklärt er, die Errichtung des | |
Olympischen Dorfs sei ein Projekt des Ministeriums für Stadtentwicklung von | |
Buenos Aires und somit nicht Teil des Kostenplans. 2013 war der Plan ein | |
anderer. „Wir nutzten jeden Peso, den wir haben, so effizient wie irgend | |
möglich“, sagt Lifschitz auch. | |
Ein Ausflug zur Baustelle des olympischen Dorfs ist ein Ausflug in eine | |
andere Welt. Aus dem zentralen Viertel Palermo kommend, sitzen wir gut | |
anderthalb Stunden in diversen Bussen. Der IOC-Bericht 2012 hatte zum Thema | |
Transport auch bemerkt, die Aussage, der zufolge alle wichtigen | |
Entfernungen in 30 Minuten zurücklegbar seien, sei „recht optimistisch“ – | |
offenbar wurde bei der Berechnung eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 65 | |
bis 70 Stundenkilometer zugrunde gelegt. | |
Der Busfahrer hat von einem olympischen Dorf oder irgendwelchen Spielen | |
noch nie etwas gehört, obwohl er diese Strecke tagein, tagaus fährt. Die | |
wenigen Menschen, die hier am südwestlichen Zipfel von Buenos Aires mit uns | |
aussteigen, sind jung, einige Mädchen haben Kinder auf dem Arm, die | |
Gesichter lassen auf ihre Herkunft aus Paraguay oder Bolivien schließen. | |
Sie biegen bald rechts ab, Richtung Villa 20. | |
Die Villa 20 ist eines der vielen illegal entstandenen Elendsviertel in | |
diesem Teil der Stadt. Das Gros der bis zu fünfstöckigen prekären | |
Behausungen ist nicht ans reguläre Wasser- und Stromnetz angeschlossen, | |
verfügt nicht über Abflusskanäle und kennt keine städtische Müllentsorgung. | |
Die Villa 20 ist von der Bushaltestelle aus zu sehen. Um genau zu sein: Es | |
ist jener Teil mit dem klingenden Namen Papst Francisco. Die Villa 20 | |
gehört zur Comuna 8, der ärmsten und größten der insgesamt 15 Gemeinden von | |
Buenos Aires. Hier leben rund 200.000 Menschen. Nach verschiedenen | |
Schätzungen leben 70 Prozent der Bewohner oder über 11.300 Familien der | |
Comuna 8 in Elendsvierteln oder auf extrem beengtem Wohnraum. | |
## Die Nachnutzung des olympischen Dorfs | |
Auch deshalb war das ursprüngliche Projekt zur weiteren Nutzung des | |
olympischen Dorfs eine gute Idee: Es sah vor, ein Drittel der geplanten | |
1.200 Wohnungen direkt an Menschen aus den Villas zu vergeben, die auf dem | |
normalen Wohnungsmarkt völlig chancenlos sind, kurzum: sie zu verschenken. | |
Ein weiteres Drittel sollte an bedürftige Menschen mit Anrecht auf | |
bestimmte Bankkonditionen vergeben werden und das letzte Drittel über | |
günstige Kredite einer öffentlichen Bank. Alle Wohnungen sollten an | |
Menschen aus der Comuna 8 gehen. | |
Wir biegen von der Bushaltestelle links ab und gelangen durch ein offenes | |
Türchen in einem Gartenzaun auf das Baustellengelände und an die | |
siebenstöckigen Gebäude des olympischen Dorfes. Ein Wachmann schläft in der | |
Sonne auf einem Schreibtischstuhl. Die Häuser sind quasi fertig, es gibt | |
bunte Platten an den grau-weißen Außenwänden, mal blau, mal grün, mal rot. | |
Das sieht alles sehr nett aus. | |
Alejandro Lifschitz sagt, dass die Wohnungen größtenteils noch vor Beginn | |
der Spiele verkauft werden sollen. Bis Mitte dieses Monats konnten sich | |
Interessenten tatsächlich online registrieren. Auf der Website heißt es | |
explizit, man ziele auf „Familien der Mittelklasse“. Nun wird für maximal | |
50 Prozent der Einheiten Bewohnern der Comuna 8 Priorität eingeräumt, | |
jeweils 10 Prozent sollen an Polizisten und Dozenten gehen. | |
## Der neue Olympiapark | |
Von den Bewohnern der Villas ist keine Rede mehr. Der Preis für die | |
Wohnungen, die momentan weder über eine Küche noch über einen Gasanschluss | |
verfügen, liegt deutlich über dem aktuellen Quadratmeterpreis in dieser | |
Gegend. Nach den Recherchen von Ernesto Rodríguez III sind die Kosten für | |
das Dorf um 73 Prozent gestiegen, weshalb man letztlich auf den Bau von 164 | |
Wohnungen schlicht verzichtet hat. Rodriguez III erläutert auch, dass für | |
einige Ausschreibungen „Angebote ausgewählt wurden, deren Kostenvoranschlag | |
bis zu 20 Prozent über der ausgeschriebenen Höchstsumme“ lag. Den Zuschlag | |
erhielten nicht selten Firmen, die zuvor die Wahlkampagne von Mauricio | |
Macri unterstützt hatten. Der ist seit Ende 2015 Präsident Argentiniens, | |
während in Buenos Aires seitdem sein neoliberaler Parteifreund Horacio | |
Rodríguez Larreta regiert. | |
Dieser Mann ist auch dort im Spiel, wo es um den neuen Olympiapark geht. | |
Der war im Gegensatz zum olympischen Dorf ursprünglich überhaupt nicht | |
vorgesehen. Doch in der armen Comuna 8 entstehen nun auch fünf neue Hallen, | |
zwei Hockeyfelder, die Leichtathletikanlage und das Schwimmstadion. Nur 4 | |
der 32 Sportarten finden im Oktober an jenem Ort statt, der im | |
Bewerbungskonzept 2013 vorgesehen war. Selbst Alejandro Lifschitz sagt: | |
„Die Spiele, die hier in sieben Monaten stattfinden werden, und die Spiele, | |
die anfänglich geplant waren, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge, so | |
als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen.“ Die Ausgaben der Stadt seien | |
unter anderem deshalb gestiegen, weil man „auf dem Weg entschieden habe, | |
die Matrix zu verändern und Spiele zu veranstalten, die 100 Prozent | |
Vermächtnis hinterlassen“. In Absprache und mit Zustimmung des IOC, wie | |
Liftschitz hinzufügt. Die Frage, warum eine Stadt, in der knapp 20 Prozent | |
der Bevölkerung als arm oder bedürftig gelten, plötzlich Millionen in | |
Sportstätten investiert, drängt sich auf. | |
## Ein enormes Immobilienprojekt | |
Und damit wären wir wieder beim Cenard, dem Nationalen Zentrum für | |
Hochleistungssport. Es ist im Vergleich zum olympischen Dorf schon heute | |
ein Ausflugsziel mit Historie: Die zentrale Sporthalle, Anfang der 1950er | |
entstanden, trägt seit je den Namen von Carl Diem, einem deutschen | |
Sportfunktionär und Organisator der Spiele 1936, und auf dem über elf | |
Hektar großen Gelände versammeln sich Trainingsanlagen, Lehrinstitute, | |
Internate, Sportmedizin und vieles mehr. Dabei liegt der Cenard nicht | |
irgendwo weit außerhalb, sondern gleich am Rio de la Plata, mitten im | |
wohlhabenden Viertel Nuñez im Norden von Buenos Aires. | |
Die Urbanisierung genau dieses Teils der Stadt ist eines der | |
Lieblingsprojekte von Rodríguez Larreta. Das Gelände gehört der Stadt, und | |
der Quadratmeter Wohnraum kostet hier mehr als viermal so viel wie in der | |
Comuna 8. „Der Paradigmenwechsel zur Errichtung des Olympiaparks vollzog | |
sich, als Larreta entschied, auf dem Gelände des Cenards Luxuswohnungen zu | |
bauen“, sagt Ernesto Rodríguez III. Er ist überzeugt, dass die Jugendspiele | |
nichts weiter sind als ein Vorwand für ein enormes Immobilienprojekt. Die | |
Werthein-Gruppe, also die Firma des NOK-Präsidenten und argentinischen | |
IOC-Mitglieds, war übrigens laut eigener Website in der Vergangenheit an | |
Immobilienprojekten in Nuñez beteiligt. | |
Die Schließung des Cenard, die OK-Präsident Gerardo Werthein bereits im | |
Herbst 2016 befürwortete, ist mittlerweile besiegelt. Einen Termin für den | |
Auszug aus den historischen Stätten in den neuen Olympiapark im Süden der | |
Stadt gibt es laut Alejandro Lifschitz nicht: „Das hängt auch nicht von den | |
Organisatoren der Jugendspiele ab, das ist eine Entscheidung des | |
Sportministeriums.“ | |
Gerardo Werthein mag sich übrigens mit den Jugendspielen nicht | |
zufriedengeben. Bereits im letzten Jahr erklärte er sie mehrfach zu einer | |
Art Generalprobe für eine erneute Bewerbung von Buenos Aires für die | |
Olympischen Sommerspiele 2032. | |
22 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Sandra Schmidt | |
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