| # taz.de -- Humanitäre Konzernkampagnen: Kapitalismus heißt Antirassismus | |
| > Trump sei Dank: Auch wenn es noch so naiv klingt – der US-Kapitalismus | |
| > ist derzeit eine verbindendere Kraft als die US-Politik. | |
| Bild: Nimm das, Trump! | |
| Seit Kurzem hängt über dem Union Square in San Francisco ein fünf | |
| Stockwerke hohes Plakat von Colin Kaepernick, sein Gesicht ganz nah, alles | |
| schwarz-weiß, darunter: „Believe in something, even if it means | |
| sacrificing everything.“ | |
| Kaepernick, 30 Jahre, ist Quarterback, Profifootballer, er spielte zuletzt | |
| bei den San Francisco 49ers. Im Sommer 2016, #BlackLivesMatter war groß, | |
| Rassismus und Polizeibrutalität waren es auch, blieb Kaepernick sitzen, als | |
| die US-Hymne vor dem Kick-off gespielt wurde. | |
| Er sagte: „[1][Ich stehe nicht auf, um Stolz auf eine Flagge für ein Land | |
| zu zeigen, das schwarze Menschen unterdrückt].“ Auch vor dem nächsten Spiel | |
| blieb Kaepernick sitzen. Dann kniete er. Bald kniete sein Teamkollege Eric | |
| Reid. Bald knieten ganze Mannschaften. Trump twitterte: [2][„Fire or | |
| suspend!“] | |
| Die NFL stellte den politischen Protest während der Hymne unter Strafe. | |
| Kaepernick wurde zum Ende der Saison 2016/17 von den San Francisco 49ers | |
| entlassen und fand keinen Verein mehr. Jetzt hat Nike den arbeitslosen | |
| Quarterback Colin Kaepernick pünktlich zum Start der Football-Saison zum | |
| Gesicht einer neuen Kampagne gemacht. | |
| ## Brennende Turnschuhe | |
| Die Reaktionen? Nikes Aktie fällt an der Börse. Donald Trump erklärt: „Das | |
| ist eine furchtbare Botschaft.“ Kunden posten Videos von brennenden | |
| Nike-Turnschuhen. Was ist da los? Ist Nike plötzlich ein progressiver | |
| Konzern? | |
| Klar ist: Nike will Schuhe verkaufen. Nike macht, was Konzerne so tun: | |
| Kapitalismus. Und das heißt: Antirassismus. | |
| Fangen wir mal grundsätzlich an. Marx und Engels schreiben 1848, im | |
| Kommunistischen Manifest, über die umstürzlerische Kraft des noch jungen | |
| Kapitalismus. „Alles Ständische und Stehende verdampft“, schreiben sie, | |
| alte Systeme werden aufgebrochen. Und dann: „Die Bourgeoisie reißt durch | |
| die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich | |
| erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die | |
| Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere | |
| Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, | |
| [3][mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation | |
| zwingt.“] | |
| Was das erst einmal sagt: Der Kapitalismus hat Leute dem engen Horizont des | |
| Landlebens entrissen und sie in die Stadt gebracht. Er hat Schienen aufs | |
| Land gestreut, Flüsse schiffbar gemacht, Provinzen verbunden, einen | |
| Zentralstaat entstehen lassen. Er hat Gebiete, die durch Berge, Sprachen | |
| und Kulturen getrennt waren, zusammengebracht. Fremde Leute arbeiten | |
| miteinander, kaufen einander Dinge ab – und werden sich so vertrauter. | |
| Der Kapitalismus folgt einer Ausbreitungslogik. Er verleibt sich immer | |
| mehr Märkte und Menschen ein, er ist eine homogenisierende Kraft. | |
| ## Nike-Schuhe angezündet | |
| Am Beispiel von Nike kann man das durchspielen. In den USA muss man nicht | |
| lange suchen, um den „hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren“ zu finden. | |
| Nennen wir diese Leute mal Republikaner. | |
| Es ist das Jahr 1990. Nike hat vor einigen Jahren seinen größten | |
| Werbeträger verpflichtet: Michael Jordan. 1984 kommen die „Air Jordans“ | |
| auf den Markt, legendäre Basketballschuhe. Jordan, der aus North Carolina | |
| stammt, erlebt 1990 die midterm elections. Aus North Carolina bewerben sich | |
| zwei Männer für den Senat, Harvey Gantt, ein schwarzer Demokrat, und Jesse | |
| Helms, ein weißer Republikaner, der die Segregation verteidigt. Viele | |
| bitten Jordan, den berühmtesten Sohn North Carolinas, Harvey Gantt zu | |
| unterstützen. Doch Jordan sagt zu einem Freund – so wird sich der Satz | |
| verbreiten: [4][„Republicans buy sneakers, too.“] | |
| Weißen, konservativen Amerikanern wollten Nike und Jordan damals keine | |
| Politik zumuten, um sie nicht zu verprellen. Das mag wehgetan haben, doch | |
| diese Strategie ließ Jordan zur Ikone werden, zum unpolitischen Vorbild mit | |
| großer Integrationskraft. Die Amerikaner kauften seine Schuhe an der | |
| Ostküste, an der Westküste und dazwischen. Als erster schwarzer Sportler | |
| war er für alle da, nicht wie früher Larry Bird für die Weißen und Magic | |
| Johnson für die Schwarzen. Farmerjungen im Mittleren Westen kauften Air | |
| Jordans und damit immerhin das Versprechen, „like Mike“ zu sein, also ein | |
| athletischer, erfolgreicher, saucooler, und: ein schwarzer Mann. | |
| Die Air Jordans, um bei Marx zu bleiben, waren ziemlich schwere Artillerie. | |
| Kann sein, dass der Redneck in North Carolina, der den Republikaner Jesse | |
| Helms in den Senat wählt, ein Rassist ist. Kann aber auch sein, dass sein | |
| Sohn sich zum Geburtstag die geilen neuen Schuhe von diesem Mike wünscht – | |
| und bekommt. | |
| Jetzt, nach dem Deal mit Kaepernick, zünden einige Amerikaner ihre | |
| Nike-Schuhe an. Es sind garantiert weniger, als es noch in den Neunzigern | |
| gewesen wären. Nike hat entschieden, dass rassistische Kunden heute nicht | |
| mehr wichtig genug sind. Denn der Konzern bedient nicht mehr nur den | |
| US-Markt, sondern längst einen weltweiten Markt. Und wie wichtig sind da | |
| wohl leicht entflammbare Trump-Anhänger, so im globalen Maßstab? | |
| ## Beyoncé und Jay Z | |
| Kapitalismus, das steckt in seiner Ausbreitungslogik, bringt Leute | |
| zusammen. Man kann das an dem Werbevideo sehen, das Nike gerade mit Colin | |
| Kaepernick gedreht hat. | |
| In dem Spot führt uns Colin Kaepernick, walk and talk, durch die Straßen | |
| einer Großstadt. Dazwischen werden eingeblendet: eine Boxerin mit | |
| (Nike-)Hidschab. Ein kleiner Junge ohne Beine, der als Ringer trainiert. | |
| Serena Williams, geboren ganz unten, genauer in Compton, jetzt | |
| Spitzentennis. Alphonso Davies, geboren in einem Flüchtlingscamp in Ghana, | |
| jetzt kanadischer Fußballnationalspieler. | |
| Das ist die humanitäre, antirassistische Variante des Erfolgsglaubens der | |
| Jordan-Generation. Früher richteten sich die Spots an den | |
| Durchschnittstypen: Mach’s einfach. Trainiere. Dann wirst du gut. Heute | |
| richten sie sich an die, die es schwerer haben im Leben: Du hast keine | |
| Beine? Du hast einen Hirntumor? Du bist Geflüchteter? Mach’s trotzdem. | |
| [5][„Don’t believe you have to be like anybody to be somebody.“ –] Denk | |
| nicht, dass du wie der Durchschnitt sein musst, um jemand zu sein. | |
| Das kann man natürlich naiv finden, aber es ist auch integrativ, weil | |
| Kapitalismus, anders als andere Systeme, an die Formbarkeit jedes Menschen | |
| glaubt: Wir sind alle gleich, weil wir alles werden können (wobei der | |
| Kapitalismus natürlich verschweigt, dass vieles leichter wäre, hätten deine | |
| Eltern Geld). Kapitalismus spricht uns nicht als Amerikaner oder Deutsche | |
| an, sondern als Mensch (und Kunde). | |
| ## Eine verbindende Kraft | |
| Interessanterweise ist der US-amerikanische Kapitalismus damit eine | |
| verbindendere Kraft als die US-Politik. Kein Konzern kann es sich leisten, | |
| mit rassistischen Statements aufzufallen. Wenn so etwas passiert, treten | |
| Chefs tatsächlich noch zurück, anders als im Weißen Haus. | |
| Und wer sind derzeit die großen linken Ikonen der USA? Keine Politiker, | |
| sondern: die Sängerin Beyoncé, der Rapper Jay Z, der Basketballer LeBron | |
| James. Beyoncé tritt vor einer gigantischen Leinwand mit dem Wort | |
| „Feminist“ auf, Jay Z spricht in Talkshows klug über Rassismus und Trump, | |
| und LeBron James gründet eine Schule in seiner armen Heimatstadt Akron, | |
| Ohio. | |
| Wenn die Linke nach Hoffnungsträgern sucht und sie in der Demokratischen | |
| Partei nicht findet, dann sollte sie sich nach diesen humanitären | |
| Kapitalisten umschauen. | |
| 9 Sep 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.nfl.com/news/story/0ap3000000691077/article/colin-kaepernick-exp… | |
| [2] https://twitter.com/realdonaldtrump/status/911904261553950720?lang=de | |
| [3] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1848/manifest/1-bourpro… | |
| [4] http://www.slate.com/articles/sports/sports_nut/2016/07/did_michael_jordan_… | |
| [5] https://twitter.com/Kaepernick7/status/1037387722107830272 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Daum | |
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