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# taz.de -- Homöopathie als Kassenleistung: Trostmedizin für schlechte Tage
> Es ist zu einfach, sich über Homöopathie, Ayurveda und
> Komplementärmedizin lustig zu machen. Wichtig sind die Bedürfnisse, die
> dahinterstehen.
Bild: Komplementärmedizin ist eine Trostmedizin, ein Angebot an ordnenden Erz�…
Wer sich Videos über die Herstellung von Globuli anschaut, der staunt über
den Hokuspokus. Da werden Zwiebeln klein geschnitten, in Alkohol eingelegt,
die Flaschen nach genau festgelegten Verfahren auf Lederkissen geschlagen,
es wird verdünnt und verdünnt. Man wähnt sich beim Druiden Miraculix aus
den Asterix-Comics. Lustig. Doch mit Lächerlichmachen wird das Phänomen der
Homöopathie nicht erfasst. Denn es verweist auf darunterliegende Wünsche an
die Medizin, die man sich genauer anschauen muss.
Es gibt einen Antrag für den Parteitag der Grünen Mitte November, die
Finanzierung der Homöopathie durch die gesetzlichen Krankenkassen zu
untersagen, weil deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist.
Auch Gegenanträge dazu existieren schon.
[1][Warum streiten BildungsbürgerInnen über ein Verfahren], das auf einem
Glaubenssystem mit esoterischen Elementen beruht? Weil der Wunsch nach
Alternativen zur Schulmedizin so groß ist, weil die Schulmedizin Wünsche
nach Heilung, nach persönlicher Zuwendung der Ärzte vielerorts nicht
erfüllt. Diese Sehnsucht ist ein Phänomen, dem ein vielfältiges Angebot der
sogenannten Komplementärmedizin, der ergänzenden Medizin, gegenübersteht.
Es umfasst neben der Homöopathie die Traditionelle Chinesische Medizin,
Ayurveda und viele andere Verfahren.
Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen die meisten Verfahren nicht. Einige,
wie die Barmer Ersatzkasse und die Techniker Krankenkasse, finanzieren
homöopathische Behandlungen, aber nur begrenzt und nur bei entsprechend
zertifizierten Ärzten, nicht bei Heilpraktikern. Bei der Barmer wurden im
Jahre 2018 nur 0,007 Prozent der Leistungsausgaben für Homöopathie
aufgewandt, heißt es bei der Kasse. Es geht also gar nicht ums Geld.
Sondern um die dahinterliegende, ungeklärte Frage: [2][Welche Medizin
sollte man gutheißen, welche grenzt an Scharlatanerie?]
Als Maßstab für eine „gute“ Medizin gilt seit den 90er Jahren in
Deutschland die sogenannte evidenzbasierte Medizin (EBM). Diese Medizin
stützt sich vor allem auf klinische Studien mit Patientengruppen,
getesteten Wirkstoffen, den Vergleich mit Scheinpräparaten, auf
Behandlungen, Scheinbehandlungen, unbehandelte Kontrollgruppen. Es geht
darum, Wirksamkeit empirisch nachzuweisen. Seitdem tobt der Krieg der
Studien, er bezieht auch Wirkstoffe und Verfahren aus der
Komplementärmedizin mit ein. Gingko etwa ist inzwischen als ein Mittel bei
Demenz anerkannt, die Misteltherapie bei Krebs gilt hingegen als unwirksam.
Die evidenzbasierte Medizin fokussiert sich auf empirisch nachweisbare
Wirksamkeit. Nebenwirkungen, die Gefahr von Resistenzen (etwa bei
Antibiotika), die Frage der Lebensqualität (bei manchen Krebsbehandlungen)
spielen eine untergeordnete Rolle. Viele Verfahren können nicht überprüft
werden, weil ethische Gründe dem entgegenstehen, weil man etwa keine
Scheinbehandlungen inszenieren kann. Die Bedeutung des
Arzt-Patienten-Verhältnisses, die Bedeutung von Hoffnung, die beim Konsum
vieler Arzneimittel einen positiven Effekt auslöst, dies wird von der
evidenzbasierten Medizin nur als Placeboeffekt erfasst.
Dieser Placeboeffekt durchzieht aber auch die Arbeit von konventionell
arbeitenden KassenärztInnen, ohne dass sich irgendjemand deswegen
beschwert. Eine Hausärztin, die einer Patientin gegen ihre Schlafstörungen
Baldrian empfiehlt, rät zu einem Präparat, dessen Wirksamkeit nicht
eindeutig nachgewiesen ist. Das gilt auch für den Frauenarzt, der Präparate
mit Stoffen aus der Traubensilberkerze gegen Wechseljahresbeschwerden
befürwortet. Diese selbst bezahlten Heilmittel sind nicht besonders
wirksam, haben aber auch nicht die Nebenwirkungen von rezeptpflichtigen
Schlafmitteln oder Hormonpräparaten. Der Arztbesuch gibt der Patientin
immerhin das Gefühl: Hier ist einer oder eine, die mir hilft, ich kann was
tun gegen meine Beschwerden. Aus der Psychologie weiß man, dass Zuwendung
und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entscheidend sind für das
Wohlbefinden.
Was aber sollen nun die gesetzlichen Krankenkassen mit dem Geld der
Versichertengemeinschaft finanzieren? Es ist richtig, die Kassenleistungen
auf Verfahren zu begrenzen, deren unmittelbare Wirksamkeit empirisch
nachgewiesen ist – wozu die Homöopathie nicht gehört – weil alles andere
uferlos ist. In Ordnung ist allerdings auch, wenn die gesetzlichen
Krankenkassen Angebote der Komplementärmedizin, etwa Maltherapien oder Qi
Gong, im stationären Bereich zahlen, zum Beispiel in Krebszentren. Damit
wird zwar kein Krebs geheilt, aber die Lebensqualität verbessert.
Ansonsten braucht man auch für die Komplementärmedizin eine Ethik: Diese
Medizin sollte niedrigschwellig sein, keine Geldschneiderei und ein Gefühl
von Selbstwirksamkeit fördern. Gurus sind mit Misstrauen zu betrachten.
Kostenlose Ratschläge gibt es auch im Internet, etwa Ayurvedatipps für
depressive Phasen: Man trinkt morgens ein warmes Glas Ingwerwasser, isst
vorwiegend warme Speisen mit etwas Zimt, geht täglich mindestens eine halbe
Stunde in der Natur spazieren und liegt nach einem Glas Milch mit Honig
spätestens um halb elf Uhr abends im Bett. Schon fühlt man sich irgendwie
selbstfürsorglich.
Komplementärmedizin ist eine Trostmedizin, ein Angebot an ordnenden
Erzählungen, ob es sich nun um Yin und Yan (chinesische Medizin), die
Typenlehre von Kapha, Pitta und Vata (Ayurveda) oder eben das
„Ähnlichkeitsprinzip“ der Homöopathie handelt. Deswegen darf sie nie
diktatorisch sein, sondern immer nur als Ergänzung zur Schulmedizin gelten.
Unsere alternde Gesellschaft hat kaum Konzepte für den Umgang mit Abbau und
Verfall. Auch die Komplementärmedizin kann nicht retten. Aber immerhin
begleiten. Das muss man respektieren.
28 Oct 2019
## LINKS
[1] /Homoeopathie-Streit-bei-Gruenen/!5629658
[2] /Streit-um-Kuegelchen/!5631699
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Homöopathie
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Grüne
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