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# taz.de -- Hexenmalerei in Brügge: Eine Erfindung der klerikalen Eliten
> Das belgische Mittelalterstädtchen Brügge widmet sich der Hexenmalerei –
> mit der Kunst von Pieter Breugel dem Älteren und Kollegen.
Bild: Hexenverbrennung: zeitgenössischer Stich aus dem Jahre 1555
Eine bucklige Frau, dürr und hässlich, krumme Nase, wehendes Haar. Gern
reitet sie bei Vollmond, manchmal barbusig, auf einem Besen, flankiert von
allerlei düsterem Getier: schwarzer Katze, Fledermaus, Monstergestalten
oder gleich Luzifer. Fertig ist unser Hexenbild.
Es ist dies auch die Zutatenliste für ein Hexengemälde. Die beiden ersten
Bilder mit all diesen Nuancen stammen vom flämischen Meister Pieter Bruegel
dem Älteren. 1565 machte Bruegel damit die böse Frau für alle schlagartig
sichtbar. Und: Er setzte die Hexe als Erster jenseits von kaum gelesenen
Lehrbüchern auf einen Besen.
Seine beiden Wimmelbilder des Bösen und viele andere zeitgenössische Werke
von Kollegen wie David Tenniers und Frans Francken sind jetzt in der
Ausstellung „Die Hexen des Bruegel“ im ehemaligen Sint-Janshospitaal im
belgischen Brügge zu sehen. Düster ist es in den Speicherräumen des alten
Krankenhauses, in dem es „kaum eine Medizin gab, sondern nur das Beten
half“.
Am Eingang bekommen Besucher eine E-Kerze in die Hand. Schauderlich ist die
Welt von Bruegels Drucken und Dutzenden anderen Bildern flämischer und
niederländischer Meister, dazu viele Infos über die Geschichte der üblen
Nachrede, Denunziation, Folter und den Feuertod auf dem Scheiterhaufen.
Die Motive gehen am Ende in einem kleinen Hexenappendix nahtlos bis ins
Heute: zu ersten ironischen Hexenbildern im 18. Jahrhundert in England, zu
Darstellungen in Comics, Filmen, Märchen. Hexen standen bald nicht mehr für
die reale Gefahr, sondern waren zur Gruselgestalt geworden oder dienten der
Belustigung.
Oder für Doppeldeutigkeiten: Der Hexenkessel, in dem Satan seine Hexen
Zaubersäfte brauen ließ, hat heute nur noch in der Fußballsprache eine
Restbedeutung. Im Europa des späten16. Jahrhunderts hatte gerade die kleine
Eiszeit begonnen – mit Hagelstürmen, heftigen Wintern, Ernteausfällen,
Hungersnöten. „Vögel sind wie Steine vom Himmel gefallen“, heißt es in
einer zeitgenössischen Schrift, „und man sah Menschen, die auf Wiesen
grasten.“ Das musste Teufelswerk sein – ausgeführt von seinen Gehilfinnen,
den Hexen.
## Alles nur pure Vorstellungen
Die Zeit der Massenhysterie begann. Brügge hatte zudem gerade seine
Blütezeit als Handelsmetropole hinter sich, Antwerpen nebenan boomte. Und
während dort nur wenige Hexenprozesse belegt sind, gab es in Brügge mehr
als hundert dokumentierte Verbrennungen. Die verteufelten Frauen waren
schuld an Hunger, Unfruchtbarkeit, Kindstod, Impotenz, dem falschen Wetter,
Zwistigkeiten. Verhext halt.
Grundlage der atemberaubenden Ausstellung ist die Doktorarbeit der
niederländischen Kunsthistorikerin Renilde Vervoort. „Niemand hatte je eine
Hexe gesehen“, erläutert sie bei der Eröffnung Ende Februar, „alles war
pure Vorstellung. Es gab sie ja auch nicht.“ Und plötzlich waren die Bilder
da. Böse Frauen. Der Satan.
„Hexen waren Erfindungen der klerikalen Eliten, die Sinnbilder brauchten
für die Arbeit des Satans. Bald glaubte man sogar, Hexen haben Sex mit dem
Teufel.“ Vervoort ist sicher: „Die Künstler damals haben unser Hexenbild
geschaffen und sind der Schlüssel zum Hexenverständnis.“
## Bruegel, der Helfershelfer
Bruegel gab dem Aberglauben als Pionier eine augenfällige Vorstellung. So
wurde er, wohl unfreiwillig, zum Helfershelfer der geschmeidigen Koalition
aus kirchlichen und weltlichen Hetzern.
Die Hexenhistorikerin erzählt, sie habe seit den 90er Jahren „immer neue
Bildnisse“ über den Wahn um die bösen Frauen gefunden. „Immer mehr, es war
wie eine Explosion. Und niemand hatte je mit System darüber geforscht. Da
hab ich mir gesagt: Dann mach ich das.“
Bald, so Vervoort, wurden Verbrennungen „zu einer Art Mode“. Etwa 50.000
Opfer waren es in Europa. Deutschland, so erklärt eine Schautafel, hält mit
20.000 Frauen den Europarekord. Schon Frauen ohne Hexenverdacht, hieß es im
Gelehrtenbuch Hexenhammer (lat.: Malleus Maleficarum) des Dominikaners
Heinrich Kramer, seien „begehrenswerte Katastrophen“. Und steckt nicht in
femina mit -mina ein Minus, also minderwertig?
Das heute so prachtvolle mittelalterliche Brügge hat immer noch mehr
Pflastersteine als TouristInnen (über fünf Millionen im Jahr), keine
Satellitenschüsseln, wenig Reklamezumutungen im Stadtbild. Die vielen
hexenhaften Hutzelhäuschen, nur zum Teil aufgehübscht, dienen dazu, den
wenigen Raum zwischen den zahllosen Kirchen, Schokolademanufakturen und
Museen auszufüllen.
Eines der Museen, in den Kellergewölben eines ehemaligen Gefängnisses
untergebracht, widmet sich der Folter. Hier sieht man, wie man vor 500
Jahren aus Hexen und anderen unbotmäßigen Menschen Geständnisse
herauspresste – mit Schädelpressen, Rattenkesseln, Daumenschrauben,
glühenden Knochenbrechern und allerlei mehr mittelalterlichem
Sadistenwerkzeug.
## Stundenlange Folter
Schon Alltagsstreit konnte Hexenprozesse auslösen. In der Bruegel-Schau
wird eine Frau gefesselt durch die Stadt zum Pranger getragen. Es ist die
Brüggerin Maycken Karrebrouck. Eine Nachbarin hatte sie angezeigt, weil
ihre Tochter epileptische Anfälle hatte. Fünf Stunden Folter und die
geifernde Gaudi der Gaffer hielt die Beschuldigte durch. Dann gab sie zu,
eine Hexe zu sein – und kam auf den Scheiterhaufen. Von Verbrennungen
selbst gibt es fast keine Bilder. „Warum, weiß man nicht“, sagt
Kunsthistorikerin Vervoort.
Billige Mythen, Angst vor dem Fremden, vor Außenseitern, die Suche nach
Sündenböcken – man kennt das bis heute. Über die Bedeutung der Hexen des
Pieter Bruegel mit ihren Besen sagt Relinde Vervoort: „Tja, die konnten
also fliegen! Was für eine Waffe, welche Macht. Dagegen ist der IS als
unser Feind heute nichts.“
Und wo passierte das alles in Brügge? Ein Spaziergang an Orte von
öffentlicher Folter und Verbrennungen sollte aufklären. Doch die Frau vom
Touristenbüro muss kurzfristig passen. „Ich kann kaum laufen“, sagt sie,
„der Rücken …“ Diagnose: Hexenschuss. Sie sind also doch noch unter uns.
30 Apr 2016
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Reiseland Belgien
Hexen
Norwegen
Hexenverfolgung
Hexen
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