| # taz.de -- Heimatmuseum ohne Heimat: Kein Herz für Sankt Pauli | |
| > Das Sankt-Pauli-Museum des Fotografen Günter Zint tingelt weiter durch | |
| > den Norden – weil es zu Hause in Hamburg auf dem Kiez keinen Ort findet. | |
| Bild: Hat die Beatles-Ära auf dem Hamburger Kiez dokumentiert: Günter Zint | |
| Hamburg taz | Das Klavier des Humoristen Hein Köllisch, die Stiefel von | |
| Hans Albers, zwei Kostüme des Varietéstars und Tänzers Sylvin Rubinstein, | |
| das Esso-Schild der einst berühmten Tankstelle am Spielbudenplatz und eine | |
| Kasse aus der Kneipe „Zum Silbersack“ – sie alle gehen wieder auf Reisen. | |
| [1][Zuletzt waren sie im Schwedenspeicher in Stade als Ausstellungstücke | |
| des Sankt-Pauli-Museums zu Gast]. Bis zum 9. Oktober sind sie nun im | |
| [2][Museum in Lüneburg]. Günter Zint, der Gründer des geschichtlichen | |
| Archivs, sagt bekümmert: „Wir haben ein heimatloses Heimatmuseum.“ | |
| Seit das Museum im Oktober 2020 am Hamburger Nobistor – auch wegen der | |
| Pandemie – schließen musste, hat es keinen festen Ort mehr. Und die | |
| Hoffnung, es am Spielbudenplatz neu entstehen zu lassen, hat sich kürzlich | |
| zerschlagen. | |
| Neben dem Schmidt’s Tivoli gab es früher die Schwimmhalle St. Pauli, von | |
| dem Haus aber ist nur noch die Fassade zu sehen – wie in einem | |
| Potemkin’schen Dorf. Zint wollte das Grundstück, unter anderem mit | |
| finanzieller Hilfe seines Freundes Udo Lindenberg (der das Gutachten | |
| bezahlen wollte) mit der Historie St. Paulis neu beleben. | |
| ## Weggeschnappt | |
| Doch [3][Schmidt-Besitzer Corny Littmann] machte ihm einen Strich durch die | |
| Rechnung. Er pachtete das Areal für zunächst zwei Jahre von Besitzer Rolf | |
| Mahnke. Um dort, wie Zint vermutet, Partys feiern zu lassen. Der Groll | |
| sitzt tief: „Mahnke ist ein Spekulant, Littmann war mal links, inzwischen | |
| ist er link“, sagt er erbost. | |
| Littmann, 1980 Spitzenkandidat der GAL (Grün-Alternative Liste) für den | |
| Bundestag und 1999 Hamburger „Unternehmer des Jahres“, gilt nämlich als der | |
| Kultur-Pate St. Paulis, der im Zweifelsfall zu seinen eigenen Gunsten | |
| entscheidet. | |
| Acht Umzüge hat das Museum seit seiner Gründung 1988 über sich ergehen | |
| lassen müssen, fand sich mal im Container wieder und mal auf der Straße. | |
| 2020 musste es wegen der teuren Miete (6.300 Euro) aus der Davidstraße 17 | |
| umziehen in ein viel kleineres Etablissement am Nobistor. | |
| Dort musste keine Miete mehr gezahlt werden, weil Besitzer Tim Becker (der | |
| auch das Lokal „Bastion Hamburg“ im Museum für Hamburgische Geschichte | |
| betreibt) „Nachbarschaftshilfe“ leistete, wie Eva Decker es nennt. Es | |
| nützte nichts mehr. Eva Decker, gebürtige Wienerin und Historikerin, wurde | |
| seit 2009 Kiez-Spezialistin und die wichtigste Person des Museums neben | |
| Günter Zint. | |
| ## Udo Lindenberg half | |
| Inzwischen arbeitet sie als freie Mitarbeiterin in der neuen | |
| Günter-Zint-Stiftung, die es sich nach der Insolvenz des | |
| Museums-Trägervereins zur Aufgabe gemacht hat, [4][das Lebenswerk des | |
| inzwischen 81-jährigen „Gebrauchsfotografen“] (Eigenbeschreibung) zu | |
| sichern und zu digitalisieren. Über sechs Millionen Fotos werden derzeit | |
| von acht wissenschaftlichen Mitarbeitern archiviert, aus der Starclub- und | |
| Beatles-Ära, der 68er-Zeit, der Anti-AKW-Bewegung und von St. Pauli. | |
| Was auch das Verdienst des Architekten Andreas Heller, Jan-Philipp | |
| Reemtsmas (der den Kontakt zur „Hamburger Stiftung zur Förderung der | |
| Wissenschaft und Kultur“ empfahl) und Udo Lindenbergs ist, wie Zint | |
| hervorhebt. Sie alle gaben auch Geld, weshalb er jetzt mit einer | |
| „prächtigen Rente“ leben kann und manchen Euro an Freunde abgibt. | |
| Udo Lindenberg saß schon bei der Museumsgründung mit im Boot. Diese | |
| Freundschaft, sagt Zint, „rostet nicht“. Udo sei „politisch und mit der | |
| Kohle immer korrekt gewesen“. Doch die Zint-Stiftung habe derzeit, so | |
| Geschäftsführer Uriz von Oertzen, „für längere Zeit“ andere Aufgaben, a… | |
| das Museum neu entstehen zu lassen. So ein Vorhaben müsse „wirtschaftlich | |
| auf sehr gesunden Füßen stehen“. Es werde erst „zu gegebener Zeit wieder | |
| ein Thema für die Stiftung sein“. | |
| Immerhin hat Eva Decker durchaus Ideen, weil sie ja häufig feststellt, | |
| „dass man uns im Stadtteil vermisst“. Das merkt sie nicht nur in der | |
| Schmuckstraße, wo im Showroom der Olivia-Jones-Kieztour einige | |
| Schmuckstücke zu sehen sind. Sie sammelt weiter Fotos und Fundsachen, die | |
| ihr Zeitzeugen zustecken. Ihre Vorstellung ist, das neue Museum „mobiler“ | |
| zu gestalten und den „ganzen Kultur-Raum St. Pauli“ zu nutzen. Das | |
| bedeutet, die neuere Geschichte St. Paulis noch näher an den Menschen zu | |
| erzählen. | |
| Das 1984 von Günter Zint herausgegebene Buch „Die weiße Taube flog für | |
| immer davon“ sei ein gutes Vorbild. Darin mussten sich die Porträtierten | |
| selbst beschreiben. „Die Leute sollen sprechen. Das ist von Bedeutung“, | |
| sagt die Historikerin Eva Decker. Und die bevorzugt Geschichte von unten. | |
| 7 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sankt-Pauli-ausgestellt-in-Stade/!5846772 | |
| [2] https://www.museumlueneburg.de/ | |
| [3] /30-Jahre-Schmidt-Theater-auf-St-Pauli/!5521346 | |
| [4] /Fotograf-Guenter-Zint-uebers-Alter/!5787992 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Marwedel | |
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