# taz.de -- „Heil“, die Nazi-Komödie: Manche mögen’s leicht | |
> Dietrich Brüggemanns Spielfim „Heil“ ist wie das quengelnde Kind, dem die | |
> ernsten Gespräche der Erwachsenen zu langweilig sind. | |
Bild: Johnny, Sven und Kalle haben den Schriftseller Sebastian Klien (2.v.r) en… | |
Dieser Film hat viele Freunde: Wer Listen schätzt und Leute kennt, sollte | |
am Schluss von „Heil“ sitzen bleiben und den Abspann studieren. Denn der | |
Subwitz der „114 Sprechrollen“, mit denen das Presseheft Dietrich | |
Brüggemanns neuen Film bewirbt, besteht darin, dass ein Gutteil davon mit | |
Leuten besetzt ist, deren Namen man kennen kann: Heinz Rudolf Kunze | |
(Musiker). Andreas Dresen (Regisseur). Heike-Melba Fendel (Agentin). | |
Gisbert zu Knyphausen (Musiker). Oliver Gehrs (Journalist). Thees Ullmann | |
(Musiker). Matthias Elwardt (Kinobetreiber). Alfred Holighaus | |
(Filmwirtschaftslobbyist). Dietrich Kuhlbrodt (Staatsanwalt, | |
Schlingensief-Performer). | |
Brüggemanns Film ist eine – einfach gesagt – Nazi-Komödie. Die fängt so | |
munter an, dass man glauben könnte, es gehe dem Film um den Überdruss an | |
den Hitler-Bildern, wie sie das Zeitgeschichtskino so gern ausstattet: ein | |
Insert, das „Deutschland 1945“ sagt; drei schnell geschnittene | |
Wochenschaubilder (eine Kanone, Hitler tätschelt Hitlerjungen, totale | |
Zerstörung); ein Insert, das „70 Jahre später“ sagt, ein Skinhead (Jakob | |
Matschenz), der deppert-langsam etwas an die Wand sprüht. Das Tempo des | |
Schnitts macht den Lacher. | |
Es geht also um Witze über Nazis. Ein afrodeutscher Erfolgsautor (Jerry | |
Hoffmann) kriegt einen Schlag auf den Kopf und plappert fortan alles nach, | |
etwa die Parolen der Nazis (die, wie in einer Zeitmaschine gefangen, | |
Springerstiefelglatzen aus den neunziger Jahren sind) aus dem fiktiven | |
brandenburgischen Städtchen Prittwitz, in deren Hände er gefallen ist. | |
Der Chef der Nazis (Benno Führmann) will einer Nazibraut (Anna Brüggemann) | |
gefallen, die von ihm als Mitgift fordert, in Polen einzumarschieren. Es | |
geht in „Heil“ aber auch um das Drumherum der Nazis, und so haben | |
Politiker, Altnazis, Linke, Journalisten, Verfassungsschutzleute, | |
Fernsehredakteure, Theaterregisseure und Polizisten ihren Auftritt. | |
## Eigentlich nie witzig | |
Das scheint komplex, und seine besten Witze macht der Film auch in diesem | |
Umfeld: Wenn der Verfassungsschutzmann büroversonnen über | |
Urlaubserfahrungen telefoniert mit einer Kollegin, während seine Klientel | |
gen Polen strebt. Wenn der Fernsehredakteur, der sich ewig nicht mehr aus | |
seiner Festanstellung nach „draußen“ begeben hat, dem freien Reporter | |
gelangweilt-zynisch das Material schlecht redet. Wenn die „Günther | |
Jauch“-Talkshowformation als extended version parodiert wird ( „Auf die | |
12“), in der tatsächlich gleich ein Dutzend Gäste auf seinen Statements | |
beharren will. | |
In dieser Runde sitzt auch eine Regisseursfigur namens Dietrich Brüggemann | |
(gespielt vom Regisseur Tom Lass), der prophylaktisch die Frage gestellt | |
wird, die „Heil“ als Problem auf sich zukommen sieht: „Darf man über Naz… | |
Witze machen?“ Die Antwort: „Ja, aber das Lachen muss im Halse stecken | |
bleiben.“ Und wem das zu ironisch ist, der kriegt noch den | |
selbstbezüglichen Satz hinterher: „Ich finde deutsche Filme eigentlich nie | |
witzig.“ | |
Derart imprägniert sich der Film gegen eine Kritik, die nur ihre | |
Humorlosigkeit beweisen kann, wenn sie ihm vorwirft, er nehme nichts ernst. | |
Genau, grinst „Heil“ dann, ich mach mich über alles lustig, sogar über mi… | |
selbst. Diskursiv tritt Brüggemann mit seinem Rundumschlag gegen alle | |
möglichen medialen Sprecherpositionen scheinbar die Flucht nach vorn an, | |
tatsächlich ist das eine Bewegung aus der Defensive. Denn relevant ist | |
nicht die Frage, ob man über Nazis Witze machen darf, sondern wozu. | |
Und darauf hat der Film keine Antwort. Er ist das quengelnde Kind, dem die | |
ernsten Gespräche der Erwachsenen zu langweilig sind, weil es lieber | |
spielen möchte. Das zeigt sich schon im Vorspann, der die Titelcredits zu | |
dynamischer Musik und einem entsprechenden Nachrichtenbilderpotpourri in | |
alle möglichen Schriften deutscher Nachkriegsgeschichte montiert: Da wird | |
also ein Schauspieler im ikonischen Stil des RAF-Bilds vom entführten | |
Arbeitergeberpräsidenten Schleyer annonciert. Grafisch betrachtet eine | |
Mordsgaudi, bildpolitisch völlig hohl. | |
## Ein Spiel mit Befindlichkeiten | |
„Heil“ ist in diesem Sinne höchstens halbsmart. Alles, was der Film durch | |
Tempo, Gags und Überschuss reinholt, geht ihm an Reflexionskraft ab. | |
Intellektuell siedelt er auf dem Niveau seines Rausschmeißersongs „Splitter | |
von Granaten“, in dem Adam Angst unspezifisch-indifferenziert Unbehagen | |
ausdrückt (“Doch worum es gerade geht, wissen wir selbst nicht so genau“). | |
Brüggemann will wirklich nur spielen, mit „deutschen Befindlichkeiten“ | |
etwa, was für Nazis, die Menschen umbringen, aber eine, vorsichtig gesagt, | |
ulkige Kategorie ist. | |
In einer Kritik für das inzwischen eingestellte Magazin Schnitt lobte der | |
Regisseur als Kritiker 2006 an Armin Völckers Kurzfilm „Leroy räumt auf“, | |
der von ähnlich grobkomödialer Gegensätzlichkeit lebte wie „Heil“ | |
(afrodeutscher Teenager verliebt sich in Frau mit Nazi-Brüdern), „die | |
Nonchalance, mit der er dem sonst oft tonnenschweren | |
Deutsche-Skins-Ausländer-Thema einfach eine lange Nase dreht“. | |
Manche mögen’s leicht. Sosehr man sich an institutionalisierter | |
Erinnerungsroutine stoßen kann – der Wunsch, dass es mit dem Thema „Nazis | |
–Ausländer“ auch mal locker vom Hocker gehen könnte, ist auf seine Weise | |
naiv. Deutlicher gesprochen: die Nachgeborenenversion des | |
Schlussstrichwunschs. Man muss sich „Heil“ deshalb als Verfilmung einer | |
mittelmäßigen Facebook-Debatte vorstellen: Alle möglichen politischen | |
Positionen verwandeln sich in lustiges Geplapper, die vielen Promi-Freunde | |
liken und ratzfatz ist man da, worüber sich der Anfang noch lustig machen | |
wollte – bei Hitler. | |
15 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Matthias Dell | |
## TAGS | |
Film | |
Kurzfilm | |
Hitler | |
Drogen | |
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