| # taz.de -- Haus der Statistik am Alexanderplatz: Eine revolutionäre Zelle | |
| > Das Haus der Statistik zieht Zwischenbilanz – und alle sind begeistert. | |
| > Sollten die Pioniernutzer bleiben, ensteht hier ein Quartier der anderen | |
| > Art. | |
| Bild: Ein Ort wie ein Herbert-Grönemeyer-Song: Das Haus der Statistik am Alexa… | |
| Berlin taz | Der erste Gedanke: Hier sind sie also, die letzten Verrückten | |
| Berlins. Der zweite Gedanke: Sollte es diesen Leuten tatsächlich gelingen, | |
| sich im Haus der Statistik einzunisten – und im Moment sieht es ganz danach | |
| aus –, dann könnte hier am Alexanderplatz tatsächlich die letzte | |
| revolutionäre Zelle der Stadt entstehen. | |
| Draußen am Alex, dieser Wüste aus Shopping Malls, teuren Apartments und | |
| grauen Büros, ist funky November. Aber in der Werkstatt des Hauses der | |
| Statistik, im ehemaligen Fahrradladen, schießen derart viele Ideen hin und | |
| her, dass es richtig mollig wird. Seit Mai dieses Jahres haben sich im | |
| Rohbau, der parallel für Sanierung und Neubau vorbereitet wird, sogenannte | |
| Pioniernutzungen breitgemacht – Kreative, die dafür kein Geld bekommen, | |
| deren Organisation aber vom Land Berlin unterstützt wird. | |
| An diesem Donnerstagvormittag stellen einige von ihnen vor, was sie | |
| geschafft haben und schaffen wollen. Sie sammeln Kunststoff und geben ihn | |
| weiter; sie schaffen klimaneutrale Kunstwerke im öffentlichen Raum, die man | |
| mitbenutzen, mieten und ausleihen kann. Sie bieten Workshops an, in denen | |
| man sich Bälle selber baut, mit denen man anschließend jonglieren lernt. | |
| Anton Schünemann vom Kunstlabor Schlesische 27 berichtet mit roten Wangen | |
| vom Haus der Materialisierung, das zum Jahreswechsel entstehen soll, einer | |
| Art Zero-Waste-Zentrum. Er selbst hat Utopien ausprobiert mit | |
| Jugendlichen, die es sich nicht mehr leisten können, von zu Hause | |
| auszuziehen – ein Röhrenhotel etwa. Karin Ehrle-Host hat Schwierigkeiten, | |
| all die tollen Akteure aufzuzählen, die bei ihrem Projekt Lebensmittelpunkt | |
| mitmachen, einem offenen Ort, an dem regionale, hochwertige Nahrungsmittel | |
| angebaut, gelagert, verarbeitet und verzehrt werden. | |
| Zusammen bilden all diese Akteure ein quietschbuntes Patchwork aus Ideen, | |
| in dem es im Großen und Ganzen darum geht, diese Stadt anders zu nutzen als | |
| anderswo: Ein öffentliches, nichtkommerzielles Labor zu bauen, in dem wir | |
| Berliner über Aneignung sprechen können: Darüber, wie wir in Zukunft | |
| vernünftig und nachhaltig und selbstbestimmt zusammenleben wollen. | |
| Nach einer kurzen Vorstellungsrunde geht es raus aus der Werkstatt, rauf | |
| auf den Innenhof. Und man kann sich spontan vorstellen, wie lebendig es | |
| hier im Sommer zugegangen sein muss. Zwischen den aufragenden Gebäuden | |
| steht so etwas wie ein Autoscooter, eine Art überdachte Bühne, auf der die | |
| Nachbarn diskutieren, Tango tanzen, singen, mit Kindern Theater machen | |
| konnten und können. | |
| Es geht über knirschende Glasscherben und anderen Bauschutt, dann durch | |
| eins der Gebäude, die nicht einmal mehr Fenster haben, über einen hölzernen | |
| Steg, der alle Unwegsamkeiten überbrückt, vorbei an jungen Birken, die hier | |
| seit zehn Jahren ungestört wachsen. | |
| Dort, wo im Mai noch Löcher in den Wänden klafften, sind große Holzfenster | |
| entstanden; hier stehen Sitzbänke und Podeste aus rohem Holz, die von | |
| drinnen nach draußen ragen. Dahinter befindet sich eine Küche, in der der | |
| Verein Restlos Glücklich für die versammelten Journalisten von Äpfeln bis | |
| Zimtschnecken ein reichhaltiges Frühstück aus geretteten Nahrungsmitteln | |
| vorbereitet hat. Schade, dass der Gemeinschafts- und Experimentiergarten | |
| des Vereins Sunseeker, der aus etwa 15 Hochbeeten in einem betonierten | |
| Hinterhof besteht, bereits winterfest gemacht wurde. | |
| Bis das Haus der Statistik saniert und neu bebaut wird, dürfte es noch | |
| dauern – bis dahin, so hoffen die derzeitigen Pioniernutzer, werden sie | |
| vielleicht weiterhin im Erdgeschoss, vielleicht anderswo im Haus der | |
| Statistik immer wieder lauschige Winkel finden, die sie mit viel Engagement | |
| und Eigenkapital füllen werden, mit guten, manchmal interessanten, | |
| vielleicht manchmal sogar auch ein wenig versponnenen Ideen. Wenn es dann | |
| so weit ist, hoffen sie auf günstige Mietverträge. Auch deshalb nennen sie | |
| sich Pioniernutzer und nicht Zwischennutzer, die ja wieder raus müssen, | |
| wenn die Sanierung abgeschlossen ist. | |
| Beim Verlassen des Gebäudes fällt der Blick noch einmal zurück auf das | |
| Haus, das fast nur noch wie ein Gerüst wirkt. Ganz oben thront seit Mai der | |
| Schriftzug „Allesandersplatz“. Dieses Wort trifft sehr genau, was derzeit | |
| im Haus der Statistik geschieht. Es ist ein Gegenpart ohne Businessplan in | |
| einer Stadt, in der zunehmend verdrängt wird. Es ist eines der wichtigsten | |
| Experimente in Berlin zur Zeit. | |
| 21 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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