| # taz.de -- Hartes Urteil gegen Guineas Ex-Diktator: Guinea schreibt Rechtsgesc… | |
| > Ein Gericht in Guinea verurteilt Ex-Diktator Moussa Dadis Camara und | |
| > andere hohe Ex-Militärs. Sie haben Verbrechen gegen die Menschlichkeit | |
| > begangen. | |
| Bild: Der Hauptangeklagte: Moussa Dadis Camara, Militärdiktator von Guinea 200… | |
| Berlin taz | Pünktlich zum historischen Urteil bot Guineas Militärdiktatur | |
| all ihre Macht auf. Schwerbewaffnete Gendarmen kontrollierten am Mittwoch | |
| weiträumig alle Zugänge zum Gericht, in dem Ex-Militärdiktator Dadis Camara | |
| und seine Mitangeklagten erfahren sollten, ob sie wegen Verbrechen gegen | |
| die Menschlichkeit für den Rest ihres Lebens hinter Gitter müssen. | |
| Die Urteilsverkündung wurde [1][live im Fernsehen übertragen] und an der | |
| Schwere der Taten ließ der Richter in seinen Ausführungen keinen Zweifel. | |
| Nur sehr selten müssen sich ehemalige Militärherrscher persönlich vor einem | |
| Gericht des eigenen Landes wegen der Verbrechen ihrer Herrschaft | |
| verantworten. Hochrangige Vertreter von Menschenrechtsorganisationen aus | |
| aller Welt und sogar der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs | |
| reisten in die guineische Hauptstadt Conakry, als dieser Prozess vor knapp | |
| drei Jahren eröffnet wurde. | |
| Zur Urteilsverkündung wiederholte sich das nicht – nicht einmal die | |
| Verteidiger waren anwesend, denn Guineas Anwälte streiken gerade wegen der | |
| Menschenrechtsverletzungen des aktuellen Militärregimes, namentlich | |
| „wahllose Verhaftungen, Kidnapping und Inhaftierung an geheimen Orten“. | |
| Aber mit dem Thema des jetzt beendeten Prozesses sind die Spannungen in | |
| Guinea heute kaum zu vergleichen. | |
| ## „Mehrere hundert Tote“ am 28. September 2009 | |
| Am 28. September 2009 lösten Sicherheitskräfte eine Großkundgebung der | |
| Demokratiebewegung im Stadion der Hauptstadt Conakry gegen den damaligen | |
| Militärdiktator Moussa Dadis Camara gewaltsam auf und richteten dabei ein | |
| Massaker an. 156 Menschen starben, [2][befand später eine | |
| UN-Untersuchungskommission]; in der Urteilsverkündung war jetzt von | |
| „mehreren Hundert“ Toten die Rede. | |
| Die Präsidialgarde, erkennbar an ihren roten Baretten, schoss in die Menge | |
| und riegelte zugleich die Ausgänge ab; auch die Gendarmerie sowie Männer in | |
| Zivil mit Macheten und Messern schlachteten Fliehende ab. „Plötzlich fuhren | |
| Militärlastwagen hinein, sie überfuhren die Leute und schossen mit | |
| Sturmgewehren um sich“, berichtete hinterher Oppositionspolitiker Sorel | |
| Bangoura. Ex-Premierminister Sidya Touré berichtete abends vom Krankenbett: | |
| „Es war ein Abschlachten. Die Roten Barette (Elitegarde des Präsidenten) | |
| waren mit dem Ziel gekommen, uns zu töten.“ | |
| [3][Der UN-Untersuchungsbericht] fasst zusammen: „Im Stadion eingetroffen, | |
| feuerten die Roten Barette auf die Menge. Demonstranten, die fliehen | |
| wollten, wurden von Roten Baretten und den Gendarmen um das Gelände herum | |
| getötet. Andere wurden im Stadium und auf dem Gelände erstochen oder | |
| geschlagen und dann systematisch von den Sicherheitskräften ausgeraubt. | |
| Dutzende von Personen, die durch die Tore fliehen wollten, erstickten oder | |
| wurden totgetrampelt. Frauen wurden von den Roten Baretten aus dem Stadion | |
| geholt und dann aus dem Ratoma-Gesundheitszentrum und tagelang an | |
| unterschiedlichen Orten als Sexsklavinnen gehalten.“ | |
| Der UN-Bericht führt im Detail aus, dass es sich um Verbrechen gegen die | |
| Menschlichkeit handelte. „Alle Akte wurden in einem klar definierten Gebiet | |
| verübt, wo die mutmaßlichen Täter sehr nahe beieinander waren, größtenteils | |
| in einem Zeitraum von weniger als zwei Stunden“, heißt es. „Die | |
| Demonstranten im Stadion wurden mit Holzknüppeln und Gewehrläufen | |
| geschlagen, erstochen, mit Kugeln aus nächster Nähe erschossen, oft von | |
| hinten aus Sturmgewehren.“ | |
| ## Jahrelang geschah nichts | |
| Auf Grundlage dieses Berichts, der im Dezember 2009 dem UN-Sicherheitsrat | |
| vorgelegt wurde, bereiteten Menschenrechtsorganisationen einen Prozess vor | |
| dem Internationalen Strafgerichtshof vor. Denn in Guinea selbst war | |
| zunächst keine Aufarbeitung zu erwarten. | |
| Als 2010 aus Guineas ersten freien Wahlen [4][der langjährige | |
| Oppositionsführer Alpha Condé] als Sieger hervorging, traute dieser sich | |
| nicht, die alten Generäle frontal herauszufordern. Dadis Camara blieb | |
| unbehelligt im Exil in Burkina Faso. Erst als er Anstalten machte, bei den | |
| Wahlen 2015 in Guinea antreten zu wollen, kam es zu Ermittlungen, die zur | |
| Anklageerhebung führten. | |
| Es brauchte dann einen weiteren Militärputsch, um die Dinge zu | |
| beschleunigen. Condé wurde im September 2021 [5][von der eigenen Garde | |
| gestürzt]. Eine junge Soldatengeneration unter Oberst Mamady Doumbouya | |
| übernahm die Macht und hatte wenig Skrupel mit den alten Generälen. Am 28. | |
| September 2022, genau 13 Jahre nach dem Massaker, begann der Prozess in | |
| einem eigens gebauten neuen Gericht. | |
| Dadis Camara reiste extra zum Prozess aus dem Exil an, selbstsicher und | |
| großzügig – und wurde zur eigenen Überraschung in Untersuchungshaft | |
| genommen. Anträge auf Prozessverschonung aus gesundheitlichen Gründen – er | |
| machte geltend, er könne nicht den ganzen Tag sitzen, das sei schlecht für | |
| die Verdauung – wurden abgelehnt. | |
| Als er im Dezember 2022 erstmals selbst aussagte, wies der Exdiktator jede | |
| Verantwortung von sich. „Ich war im Büro“, sagte er über die Stunden des | |
| Massakers am 28. September 2009. Sein Adjutant Diakité habe ihn daran | |
| gehindert, zum Stadion zu gehen. „Ich habe keinen Befehl gegeben“, | |
| behauptete er. | |
| Diakité, genannt Toumba, war nicht nur Adjutant des Präsidenten, sondern | |
| auch einer der Kommandeure der Roten Barette. Die UN-Ermittler schrieben, | |
| „dass der Großteil der schrecklichen Gewalt von Roten Baretten in der | |
| Anwesenheit und unter dem Kommando von Leutnant Toumba begangen wurde“. | |
| Auch vor Gericht bestätigten dies Zeugen. | |
| Präsident Dadis Camara habe die Gewalt „vorbereitet“, sagte hingegen Toumba | |
| Diakité aus. „Man muss sie niederschlagen, sodass sie es bereuen“, habe ihm | |
| Dadis Camara gesagt. Auch andere Angeklagte machten den Exdiktator | |
| verantwortlich: Er habe schließlich den Oberbefehl über die Streitkräfte. | |
| ## Hauptvorwurf der Anklage bestätigt | |
| Für das Gericht stehen die unterschiedlichen Aussagen nicht in Widerspruch. | |
| Das Massaker und die damit verbundenen weiteren Verbrechen – Folter, | |
| Plünderung, Vergewaltigung unter anderem – seien als „Verbrechen gegen die | |
| Menschlichkeit“ zu bewerten, das die Hauptangeklagten „in perfekter | |
| Harmonie“ begangen hätten, stellte das Gericht fest und bestätigte damit | |
| den zentralen Vorwurf der Anklage. | |
| Für Expräsident Dadis Camara, seinen ehemaligen Adjutanten Aboubacar | |
| Diakité Toumba und den ehemaligen Spezialpolizeichef Moussa Tiegboro Camara | |
| stellte das Gericht eine gemeinschaftliche Kommandoverantwortlichkeit fest, | |
| auf deren Grundlage sie gemeinschaftlich schuldig sind. Ebenso wegen | |
| Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber unter ihrer individuellen | |
| Verantwortung, wurden mehrere andere Angeklagte verurteilt, aber nicht | |
| alle. | |
| Der 60-jährige Expräsident Dadis Camara sowie Tiegboro Camara erhielten | |
| jeweils 20 Jahre Haft, Diakité Toumba 10 Jahre. Das härteste Strafmaß | |
| erhielt der ehemalige Sicherheitsminister Claude Pivi, der auf | |
| individueller Grundlage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit | |
| verurteilt wurde – gegen ihn wurde lebenslange Haft ausgesprochen, mit 25 | |
| Jahren Sicherungsverwahrung. | |
| Damit blieb der Richter hinter den Forderungen der Anklage zurück. Die | |
| hatte gegen Dadis Camara und sechs Mitangeklagte lebenslange Haft | |
| gefordert, darunter 30 Jahre Sicherungsverwahrung. Die Verteidigung | |
| forderte Freispruch. | |
| ## Mehr als nur Vergangenheitsbewältigung | |
| Dass es sich bei diesem Prozess nicht bloß um Vergangenheitsbewältigung | |
| handelt, wird nicht nur dadurch deutlich, dass in Guinea das Militär jetzt | |
| wieder regiert. Erst im November 2023 wäre der Prozess fast spektakulär | |
| geplatzt, als ein bewaffnetes Kommando Dadis Camara und mehrere | |
| Mitangeklagte aus der Haft befreiten. | |
| Der Exdiktator wurde noch am gleichen Tag wieder eingefangen. Aber | |
| Ex-Sicherheitsminister Claude Pivi, neben Toumba Diakité 2009 der | |
| wichtigste Befehlsgeber der Roten Barette, ist bis heute flüchtig. Die | |
| Kommandoaktion im November leitete Pivis Sohn, der ebenso wie Dadis Camaras | |
| Sohn im Clinch mit der Militärregierung liegt. | |
| Der flüchtige Pivi ist nun in Abwesenheit am härtesten von allen verurteilt | |
| worden. Das legt die Saat für neue Machtkämpfe zwischen alten und neuen | |
| Generälen. | |
| Für die Überlebenden von 2009 kommt der Prozess zu spät. „Viele sind | |
| gestorben, manche sind krank und leben im absoluten Elend“, erklärte schon | |
| vor Prozessauftakt die Menschenrechtsorgsniation CAF-CPI (Koalition des | |
| frankophonen Afrika für den Internationalen Strafgerichtshof). „Dazu kommt | |
| die Lage der Frauen, die von ihren Männern verstoßen wurden oder an | |
| HIV-Aids erkrankten, weil sie vergewaltigt wurden, und ihre Kinder, die aus | |
| den Schulen geworfen wurden.“ | |
| Dennoch: Dass dieser Prozess überhaupt stattfand, macht Guinea zum | |
| Vorreiter in Afrika. Guineas Juristen werden daran genau studieren, wie sie | |
| nun gegen Menschenrechtsverletzungen der Gegenwart vorgehen. | |
| 31 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.facebook.com/GanganRTV/videos/485960687365487/ | |
| [2] https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6… | |
| [3] https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6… | |
| [4] /Putsch-in-Guinea/!5799245 | |
| [5] /Militaer-verhaftet-Guineas-Praesidenten/!5799173 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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