# taz.de -- Hamburger Rapperin über Fat-Shaming: „Ich definiere mich als fet… | |
> Rapperin Finna übt mit ihrer neuen Single „Overscheiß“ Kritik an den | |
> herrschenden Körpernormen. Es nervt sie, wenn Fremde ihr Äußeres | |
> kommentieren. | |
Bild: Körperbejahend: die Hamburger Rapperin Finna | |
taz: Finna, was ist Ihr Body-Type? | |
Finna: Ich definiere mich als fett. Es empowert mich als Selbstbezeichnung, | |
nicht jedoch als Fremdzuschreibung. Ähnlich wie der Begriff „Bitch“ | |
funktioniert das für mich nur, wenn man selbst entscheidet, wie man sich | |
nennen will. | |
Und wie fühlen Sie sich damit? | |
Mit der Selbstbezeichnung auf jeden Fall wohl. Schließlich ist „fett“ im | |
Sprachgebrauch häufig positiv konnotiert. Wenn Leute sagen: „Das war voll | |
fett!“, dann meinen sie häufig nichts Schlechtes damit. Das gefällt mir. | |
Jedoch ist die Zuschreibung und Diskriminierung, die damit zusammenhängt, | |
scheiße. | |
Sie hatten auch schon Kleidergröße 32. Sind Ihre Mitmenschen damals anders | |
mit Ihnen umgegangen? | |
Leute haben mir Komplimente zu meinem Aussehen gemacht, obwohl ich mich | |
selbst nicht wohlgefühlt habe. Was viele nicht wussten: Zu der Zeit habe | |
ich nur einen Apfel am Tag gegessen und viel Sport gemacht. Ich hatte eine | |
[1][Essstörung]. Heute geht es mir besser, aber andere Menschen | |
[2][reagieren negativer auf mich] – weil ich fett bin und sie denken, dass | |
dies ein Freifahrtschein für Kommentare ist. | |
Wie bekommen Sie das zu spüren? | |
Vor Kurzem war ich bei einer neuen Frauenärztin, die meinte, ich wäre eine | |
von den Schwangeren, obwohl ich wegen etwas ganz anderem da war, einfach | |
weil sie meinen Bauch falsch gedeutet hat. Häufig kommentieren auch fremde | |
Menschen auf der Straße mein Aussehen. Vor längerer Zeit habe ich in einem | |
Bekleidungsgeschäft gearbeitet, und da habe ich von Kund*innen und | |
Kolleg*innen viele verletzende Kommentare zu hören bekommen. | |
Wenn wir schon beim Thema Kleidung sind: Ihre neue Single heißt | |
[3][„Overscheiß“], eine Anlehnung an die Kleidergröße „Oversize“. Wa… | |
dieser Begriff problematisch? | |
Die Kategorie „Oversize“ impliziert, dass es eine Norm gibt und bestimmte | |
Größen dieser Norm nicht entsprechen. Die Modeindustrie meint damit meist | |
weite Klamotten, dabei kann„Oversize“, also übersetzt „Übergröße“-K… | |
auch durchaus eng und anliegend sein. Ich finde das schwierig. Wir brauchen | |
neue Kategorien, wie „vom Körper abstehend“. Dann ist nämlich egal, welch… | |
Körper diese Kleidung trägt, sondern es geht tatsächlich wieder um den | |
Schnitt der Klamotten. | |
Sind Kategorien denn gut? | |
Das kommt ganz darauf an: Menschen denken in Schubladen – das ist leider | |
häufig so. Ich finde es besser, sich selbst eine eigene Wohlfühl-Schublade | |
zu bauen, bevor das andere tun. | |
Im Deutsch-Rap wird ein sexistisches Bild von Frauen geprägt. Wie | |
positionieren Sie sich da als queere Feministin? | |
Bevor ich mit HipHop angefangen habe, hatte ich kein gutes Bild von diesem | |
Genre und wollte damit nichts zu tun haben. Dann hat mich eine Freundin zu | |
einem Konzert in Hamburg geschleppt, wo linke Rapper*innen aufgetreten | |
sind. HipHop bietet ein großes Feld für Wörter – das fand ich gut. Heute | |
ist Rap für mich ein politisches Sprachrohr. | |
Und dennoch sind die Charts voller Songs über Markenklamotten. | |
Ja, das stimmt. Aber die Werte von HipHop sind alles andere als | |
oberflächlich und kapitalistisch. Eigentlich geht es im Rap darum, sich | |
gegen das bestehende System aufzulehnen. Außerdem hat HipHop seinen | |
Ursprung in der Black Community, ist als politisches Medium entstanden. Es | |
ist ein Privileg, als weiße Person überhaupt mitmachen zu dürfen. | |
Haben Sie innerhalb der Szene Diskriminierung durch Kolleg*innen erfahren? | |
Nein, eigentlich eher nicht, das liegt aber auch daran, dass ich mit Leuten | |
zusammenarbeite, die ich zum angenehmeren Teil des Genres zähle. Die denken | |
alle eher ähnlich wie ich, und mit den anderen habe ich einfach kaum | |
Berührungspunkte. Dennoch fühle ich mich als fette Person mit dem, was ich | |
mache, im Deutsch-Rap eher alleine. Ich würde mir mehr queere fette | |
Rapper*innen im deutschsprachigen Raum wünschen, die mitmischen wollen. | |
Im [4][Musikvideo zu „Overscheiß“] spielen Sie mit gesellschaftlichen | |
Schönheitsidealen, wie sie von Mona Lisa und Audrey Hepburn verkörpert | |
werden. Sind diese noch aktuell? | |
Wir alle haben schon früh beigebracht bekommen, was schön ist und was | |
nicht. Die Gesellschaft reproduziert ihre Ideale immer wieder und hält sie | |
uns allen ständig vor. Deswegen ist es wichtig, das zu hinterfragen und | |
sich ein eigenes Bild von Schönheit zu machen. Im Musikvideo werfen sich | |
meine fetten Freund*innen und ich in die Rollen von in der Kunstwelt | |
angesehenen Schönheitsidealen und besetzen diese neu. Ich stehe da zum | |
Beispiel nackt wie die Venus in einer Plastikmuschel, Magda Albrecht | |
posiert als Mona Lisa, Saskia Lavaux als Marilyn Monroe. | |
Vor der Veröffentlichung von „Overscheiß“ haben Sie eine dreijährige Pau… | |
gemacht. Warum? | |
Ich bin psychisch erkrankt und habe mich deswegen zurückgezogen. Das war | |
keine kreative Auszeit, sondern eine Zwangspause. Eineinhalb Jahre lang | |
habe ich keine Musik gemacht und nichts in den sozialen Medien gepostet. | |
Gab es einen konkreten Auslöser? | |
Ja, zu der Zeit habe ich meine Single [5][„Cool ist mir zu kalt“] | |
veröffentlicht und auf dem [6][HipHop-Festival „Spektrum“] gespielt. Am Tag | |
danach hat es angefangen: Auf allen möglichen Ebenen war viel zu viel los. | |
Ich bin von Termin zu Termin gehetzt und war viel alleine. Dann kam ich | |
nach längerer Zeit wieder nach Hause zu einer Partnerperson und einem Kind, | |
die nichts mit dieser Musik-Welt zu tun hatten. Ich bin mit dem Verarbeiten | |
der vielen Eindrücke nicht mehr hinterhergekommen. | |
Nun sind Sie als Musikerin wieder auf Tour. Haben Sie Angst, dass sich das | |
wiederholt? | |
Meine Erkrankung ist vererbt. Es kann also immer wieder eine schlechte | |
Phase kommen, jederzeit. Heute bin ich aber im Vergleich zu damals besser | |
aufgestellt: Ich habe einerseits ein professionelles und andererseits ein | |
starkes soziales Umfeld, also Menschen, die für mich da sind. Das gibt mir | |
Halt. | |
Mit „Overscheiß“ haben Sie Ihr Comeback gefeiert. Wie waren die Reaktionen | |
in Ihrem Umfeld? | |
Ich hätte nie gedacht, was sich damit alles verändern wird: Viel positive | |
Aufmerksamkeit von der Presse und Veranstalter*innen. Mit der Single habe | |
ich mir aber nicht nur Freund*innen gemacht: Im Internet schreiben Menschen | |
Beleidigungen – noch häufiger als in der Zeit vor meinem Release. Heute | |
kann ich damit aber besser umgehen als vorher, als Leute mich und meinen | |
Körper kommentiert haben. Die Single war für mich eine Art Schlussstrich | |
unter dem Getuschel über mich, dass ich fett geworden bin. | |
Dennoch rappen Sie in Ihrem Song, dass die „Zweifel immer wieder kommen“. | |
Ja, die Selbstzweifel kommen immer wieder. Dann heißt es: Energie tanken, | |
bei Freund*innen zum Beispiel. Ich ziehe mich in meine kleine Blase zurück, | |
um dann wieder mit erhobenem Mittelfinger rauszugehen. | |
Wann gelingt es Ihnen nicht, den Mittelfinger zu zeigen? | |
Letztens meinte ein Typ im Fahrstuhl zu mir, dass ich verdammt hässlich | |
sei. Da war ich erst einmal schockiert und fassungslos, das so hasserfüllt | |
zu hören. Direkt kontern konnte ich in dem Moment nicht. Persönliche | |
Beleidigungen treffen mich oft mehr als die im Netz. | |
Kann es eine Gesellschaft geben, die alle Body-Types toleriert oder sogar | |
zelebriert? | |
Wir müssen erst alle Body-Types sichtbar machen, bevor wir sie feiern | |
können, besonders auch in den Medien und der Werbung, die uns jeden Tag | |
umgibt. Da können wir alle anfangen, die Augen offen zu halten und | |
diejenigen zu supporten, die sich abseits von „Normschönheit“ zeigen. | |
Reicht das? | |
Nein, aber auf unterschiedlichen Ebenen leisten engagierte Menschen ihren | |
Beitrag. Sie schreiben Bücher wie [7][„Fa(t)shionista“] oder machen Welle | |
auf Demos oder in sozialen Medien. Problem ist nur: Ähnlich wie bei allen | |
politischen Themen gibt es einen Trend, der geht in den Medien viral und | |
danach gerät er in Vergessenheit. Wir können also immer wieder von vorne | |
anfangen und Sichtbarkeit schaffen für die Gesamtscheiße und die vielen | |
verschiedenen Facetten. | |
Klingt frustrierend. | |
Ich bin optimistisch: In meinem Umfeld gibt es einige queere | |
Feminist*innen, die nun nach und nach mit ihren Projekten an die | |
Öffentlichkeit gehen. Ob das irgendwann im Mainstream ankommen wird, weiß | |
ich nicht, aber ich wünsche es mir sehr. | |
15 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Essstoerungen/!t5291185/ | |
[2] https://jungle.world/artikel/2010/11/ueber-gewicht | |
[3] https://w.audiolith.net/de/release/al318/ | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=yoVi1Cy8icc | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=foQ4Qv4Nk3E | |
[6] https://spektrum.ms/ | |
[7] https://magda-albrecht.de/fatshionista/ | |
## AUTOREN | |
Anastasia Trenkler | |
## TAGS | |
fat shaming | |
Body Positivity | |
Diskriminierung | |
Deutscher Hip Hop | |
Körper | |
Rap | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Kolumne Habibitus | |
Rap | |
fat shaming | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rapperin Finna über ihr erstes Album: „Gefühle sind geil“ | |
Die Hamburger Rapperin Finna plädiert dafür, Gefühlen Raum zu geben. | |
Sensibilität sieht sie als Stärke. | |
Die AfD und ihr Normalitätsbegriff: Deutschland brutal | |
Die AfD-Wahlkampfkampagne bezieht sich auf den Begriff der „Normalität“. | |
Dieser ist aber alles andere als harmlos. | |
Corona und Übergewicht: Nach der Fat-Tax das Impfprivileg | |
Wer dick ist, erlebt oft Diskriminierungen und wird vielerorts abgelehnt. | |
Jetzt gibt es allerdings zum ersten Mal ein Privileg. | |
Deutschrap aus Berlin: Der freshe Sound der Stadt | |
Vergiss Seed und Sido: Junge Rapper*innen haben in den letzten Jahren | |
reihenweise neue Berlin-Songs geschrieben. Das hier sind die besten. | |
Fatshaming trifft vor allem Frauen: Deine Mudder ist so fett | |
Frauen, die nicht dünn sind, bekommen oft hässliche Kommentare zu hören. | |
Wieso maßen sich Menschen das Recht an, den Körper anderer zu beurteilen? | |
„Feminist Zinefest“ in New York: Print is not dead | |
Gefaltet, zusammengetackert und queerfeministisch: Am Wochenende | |
präsentierten mehr als 50 Künstler*innen ihre selbst produzierten Hefte. |