# taz.de -- Gestrandete Backpacker in Australien: Down Under auf dem Tiefpunkt | |
> Rucksackreisende aus aller Welt waren in Australien bisher wichtige | |
> Hilfskräfte in der Landwirtschaft. Nun werden sie in der Coronakrise | |
> gemieden. | |
Bild: Drei Surfer an Sydneys berühmtem Bondi Beach nach dessen Wiedereröffnun… | |
SYDNEY taz | Party am Bondi Beach: heiße Musik, verschwitzte Körper, | |
Sprachen aus aller Welt, Flirts und Gelächter – und viel Alkohol. Kaum ein | |
Ort in Australien lockt mehr junge Rucksackreisende an als Sydneys | |
bekanntester Strand. | |
Die Feierei Mitte März aber war illegal – die Behörden hatten | |
Menschenansammlungen wegen Covid-19 verboten. Viele Backpacker kümmerte das | |
wenig. Zu Hunderten sonnten sie sich am Strand, zu Dutzenden versammelten | |
sie sich auf Dachterrassen zum Feiern. Und steckten sich gegenseitig mit | |
dem Virus an. Bis die Polizei einschritt. | |
Solches Verhalten war einer der Gründe, weshalb der Bondi Beach und andere | |
Strände wochenlang geschlossen blieben, für Gäste wie für Anwohner. Bondi | |
Beach ist auch eine der Ursachen für die Ablehnung, die vielen Backpackern | |
entgegenschlägt, die sich noch auf dem Kontinent befinden. | |
Wie Jutta Wagner*. Die 20-jährige Deutsche ist seit letztem August in | |
Australien. Nachdem sie ihren Caféjob wegen Corona verloren hat, sitzt sie | |
in der zentralaustralischen Stadt Alice Springs fest. Ohne Job, ohne Geld. | |
Sie erzählt von der Antipathie, die ihr entgegenschlug, als sie auf dem | |
Arbeitsamt um Hilfe bitten wollte: „Man wird aufgefordert, nach Hause zu | |
gehen. ‚Australia First.‘“ | |
## Plötzlich Ängste | |
Wagner kam wie Tausende Backpacker mit dem sogenannten | |
Working-Holiday-Visum ins Land. Es erlaubt jungen Menschen, bis zu drei | |
Jahre zu arbeiten – je nach Herkunft. Die meisten Länder Europas haben ein | |
entsprechendes Abkommen mit Canberra. | |
Die Ausländer arbeiten oft in Jobs, die Australier nicht gern selbst | |
machen, etwa als Erntehelfer in Obstplantagen oder als Arbeiterinnen in | |
landwirtschaftlichen Betrieben. So sind Backpacker in den letzten Jahren | |
vor allem auf dem Land zu wichtigen Arbeitskräften geworden. | |
Doch mit der Pandemie kam für die meisten Hilfskräfte die Kündigung – und | |
[1][die Aufforderung zu verschwinden]: Die Behörden einzelner Dörfer und | |
Kleinstädte wollten Backpacker und andere „Fremde“ gar verbannen oder ihnen | |
die Durchreise verbieten. | |
## Plötzlich gibt es sogar Übergriffe | |
Die Angst, junge Touristen könnten das Coronavirus im Land verbreiten, hat | |
sogar schon zu Übergriffen geführt. Eine Gruppe von Rucksackreisenden im | |
Bundesstaat Südaustralien klagte im Fernsehsender ABC, Bewohner hätten sie | |
mit Steinen beworfen und auf den Mülleimer ihrer Herberge „Geht nach Hause“ | |
geschmiert. | |
Der Brite Roan Hodgson sagte, seine Gruppe sei diskriminiert worden: „Der | |
einzige Ort, an dem wir uns aufhalten können, der nicht in unseren Zimmern | |
ist, ist der Balkon.“ Er und seine Kumpel hätten schon Monate in diesem | |
Dorf gearbeitet. | |
Laut Derry Geber, der Herbergen in den südaustralischen Weinregionen | |
Barossa Valley und McLaren Vale besitzt, hätten Gemeinden „Angst“ vor | |
Rucksacktouristen bekommen. Die Abneigung gegenüber Ausländern sei | |
gewachsen, seit Covid-19-Fälle im Barossa-Tal mit zwei Reisegruppen aus den | |
USA und der Schweiz in Verbindung gebracht worden war. | |
## Hilfsaktion „Adopt a Backpacker“ | |
Doch nicht alle Australier sehen die jungen Touristen negativ. So setzt | |
sich die Facebook-Aktion „Adopt a Backpacker“ dafür ein, jungen Touristen | |
eine Unterkunft anzubieten. Tausende seien gestrandet, weil sie keinen | |
Heimflug mehr finden konnten und sogar einige inneraustralische Grenzen | |
geschlossen seien. | |
Übergriffe werden von Politikern scharf verurteilt. Der südaustralische | |
Minister Tim Wheatstone nannte „rassistische Verunglimpfung oder | |
Beschimpfungen gegenüber Rucksacktouristen oder anderen Personen völlig | |
inakzeptabel“. Stimmen in der Tourismusindustrie fürchten, das Ansehen der | |
Destination Australien könnte langfristig leiden. Denn Rucksacktouristen | |
sind nicht nur willkommene Arbeitskräfte, sie geben meist auch den Großteil | |
des Gehalts wieder im Land aus für Reisen und Unterkünfte. | |
Doch hat auch die Antipathie wirtschaftliche Gründe. Die jungen Menschen | |
sind Konkurrenten für Hunderttausende Australier geworden, die wegen Corona | |
ihre Arbeit verloren. Im Gegensatz zu vielen Entlassenen werden bestimmte | |
Teilzeitarbeitskräfte wie die Deutsche Wagner aber nicht vom Staat | |
unterstützt – obwohl sie auch Steuern zahlen. Der wirtschaftlich stark von | |
Backpackern abhängige Bundesstaat Tasmanien hat die Situation erkannt und | |
bietet Nothilfe an. In anderen Regionen droht jungen Besuchern die Armut. | |
Weshalb also nicht einfach den Rucksack packen und heimfliegen? Für Wagner | |
ist das nicht so einfach: „Ich hatte viel zu wenig Geld für einen Flug. | |
Auch will ich nicht meine Eltern belasten. Die sind selbst in Not.“ Deshalb | |
wollte sie auch nicht das Angebot der deutschen Regierung für einen | |
Rückflug annehmen, den sie hätte selbst bezahlen müssen. | |
Doch Wagner und viele andere Backpacker harren auch deshalb aus, weil für | |
sie das Erlebnis Australien ein lebenslanger Traum ist. Auch wenn er | |
gerade eher einem Albtraum gleicht. | |
*Der Name der Protagonistin wurde auf ihren Wunsch anonymisiert. Er liegt | |
der Redaktion vor. | |
4 May 2020 | |
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[1] /Corona-in-Australien/!5674879 | |
## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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