# taz.de -- Geplanter Kiezblock in Neukölln: Poller im Getriebe | |
> Die Idee ist genial einfach: Mit ein paar Pollern wird ein Kiez vom | |
> Durchgangsverkehr befreit. Doch die Mühlen der Mobilitätswende mahlen | |
> langsam. | |
Bild: Wäre schon praktisch, hier die Poller zu erkennen: Richardplatz im Abend… | |
BERLIN taz | Tag für Tag rumpeln Tausende Pkws und Lastwagen durch die | |
verkehrsberuhigten Straßen rund um den Neuköllner Richardplatz, und | |
manchmal rasen sie auch, trotz Tempo 20. [1][In der Woche vom 17. bis zum | |
23. Oktober] waren es 16.000 motorisierte Fahrzeuge allein in der | |
Hertzbergstraße – mindestens, denn das Verkehrszählgerät, das Mitglieder | |
der Initiative Kiezblock Rixdorf dort hinter einem Wohnungsfenster | |
installiert haben, funktioniert nur bei Tageslicht. Das Bild ist aber | |
eindeutig: Ein ruhiger, lebenswerter Kiez sieht anders aus. | |
Kein Wunder, dass die Geduld vieler AnwohnerInnen langsam aufgebraucht ist: | |
Vor fast genau einem Jahr, im November 2021, zogen Dutzende von ihnen in | |
einer Demonstration unter dem Motto „Schluss mit dem Blablabla – Kiezblocks | |
jetzt umsetzen!“ [2][rund um den Richardplatz]. „Freiräume statt | |
Blechwüste“ oder „Mehr Platz für Menschen“ stand auf ihren Schildern. Im | |
Aufruf zur Kundgebung prangerte die Kiezblock-Initiative, die zum Netzwerk | |
des Vereins Changing Cities gehört, die Untätigkeit des Bezirksamts an: | |
Schließlich hatte die BVV schon ein halbes Jahr zuvor die Einrichtung | |
mindestens dreier Kiezblocks – in Rixdorf, im Schillerkiez und rund um die | |
Reuterstraße – beschlossen. Die Umsetzung ließ jedoch auf sich warten. | |
Dabei bedurfte es aus Sicht der AktivistInnen wenig mehr als etwas guten | |
Willens, um [3][das von ihnen entwickelte Verkehrsberuhigungskonzept] | |
umzusetzen – und das die Bezirksverordneten in ihrem Beschluss auch | |
gutgeheißen hatten. Ihr Vorschlag: Der Kiez rund um Neuköllns historischen | |
Ortskern wird mit wenigen, strategisch platzierten Pollern in vier Segmente | |
unterteilt. AnliegerInnen können in jeden davon mit dem Auto hineinfahren, | |
müssen ihn aber in der Richtung, aus der sie gekommen sind, auch wieder | |
verlassen. Mit dem ständigen Durchgangsverkehr von FahrerInnen, die den | |
kürzesten Weg zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße suchen, wäre es | |
vorbei. | |
Heute sind seit dem BVV-Beschluss schon anderthalb Jahre vergangen, | |
passiert ist immer noch (fast) nichts. Nur die sogenannte Schnalle – die | |
Verbindung zwischen Richard- und Karl-Marx-Platz – wurde im Sommer 2021 mit | |
einem amtlichen Poller versperrt, der anfangs mehrmals der Zerstörungswut | |
von Kfz-FahrerInnen zum Opfer fiel. Bald hatten diese sich aber damit | |
arrangiert und waren auf parallele Schleichwege ausgewichen. | |
Entsprechend frustriert sind die AktivistInnen: „Das ist alles ziemlich | |
zäh“, sagt Lisa Hillebrand von Kiezblock Rixdorf, „der Bezirk verweist | |
gerne auf fehlende Ressourcen, aber das Problem ist auch ein Mangel an | |
Entscheidungswille und Zielorientiertheit.“ Die Zivilgesellschaft müsse | |
den Druck hoch halten, in der Initiative denke man schon über neue | |
öffentliche Aktionen nach. | |
Als positiv verbucht Hillebrand andererseits, dass ihre Initiative bereits | |
mehrere Gesprächsrunden mit dem grünen Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann | |
drehen konnte – und dass das „ob“ einer Reduzierung des Durchgangsverkehrs | |
im Bezirksamt nicht mehr diskutiert wird: „Der Bedarf eines Konzepts ist | |
mittlerweile unstrittig, das ist gut.“ | |
Biedermann, selbst Radfahrer und bewegungsnah, steht als Verantwortlicher | |
und Grüner unter besonderer Beobachtung der Kiezblock-Fans. Als die letzte | |
Demo durch den Kiez zog, hatte er gerade die Zuständigkeit für die | |
Umsetzung der Mobilitätswende im Bezirk übernommen. Der neue | |
Verkehrsstadtrat müsse jetzt „ein 100-Tage-Programm vorlegen und Kiezblocks | |
mit vorläufigen Maßnahmen umsetzen“, forderten die Aktiven damals. | |
## Keine Schnellschüsse | |
Aber von Schnellschüssen hält Biedermann nicht viel. Er will, dass alles | |
verlässlich durchgeplant ist, bevor Sperren errichtet werden: „Solche | |
Verkehrsanordnungen sind wahnsinnig komplex“, sagt Biedermann der taz. Es | |
herrsche die Überzeugung, dass es nicht so schwierig sein könne, ein paar | |
Poller aufzustellen. „Aber wehe, man beachtet irgendeine Auswirkung nicht. | |
Dann heißt es: Totale Fehlplanung, warum habt ihr daran nicht gedacht?“ | |
Etwas auf die Straße zu bringen, was nicht funktioniert, fände er „mehr als | |
unbefriedigend“. | |
Biedermann gibt einen Einblick in die Untiefen der Verkehrsplanung – | |
Abstimmungsprozesse mit etlichen Beteiligten wie der Polizei und der | |
Feuerwehr, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber auch Detailfragen, an | |
denen ein scheinbar genial einfaches Konzept monatelang hängenbleiben kann: | |
„Die konkrete Ausgestaltung, was den denkmalgeschützten Bereich am | |
Richardplatz angeht, ist nicht ganz trivial“, sagt er. | |
Das heißeste Eisen ist die nötige Diagonalsperre auf Höhe der | |
Richardstraße: Hier ist der Denkmalschutz auf die Barrikaden gegangen. Ein | |
halbes Dutzend oder mehr rot-weiße Poller quer durch das historische | |
Ensemble mit der Schmiede aus dem 18. Jahrhundert und der Trinkhalle von | |
1910? Geht gar nicht! Rot und weiß müssen die Pfosten laut Jochen | |
Biedermann aber wohl sein: „Es handelt sich um ein Hindernis auf der | |
Fahrbahn, da gibt es höhere Anforderungen an die Sichtbarkeit als bei einem | |
Gehweg.“ Eine feste, bauliche Sperre komme auch nicht in Frage, das sei mit | |
Straßenfesten wie dem stadtweit beliebten Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt | |
nicht vereinbar. | |
## Umsetzung im Frühjahr? | |
Wie die Lösung aussieht, ist noch unklar, aber sie wird kommen. „Ich gehe | |
davon aus, dass wir das im Frühjahr 2023 umgesetzt kriegen“, verspricht der | |
Stadtrat. Der Rixdorfer Kiezblock habe zusammen mit dem im Reuterkiez | |
„höchste Priorität“. | |
Wenn es so kommt, können viele Menschen aufatmen, für einige wird es aber | |
noch ein wenig unangenehmer als jetzt schon. Insbesondere für alle, die an | |
der Saalestraße wohnen, der südlichen Verbindungsstraße von Sonnenallee und | |
Karl-Marx-Straße, die parallel zur Ringbahntrasse verläuft. Hier ist das | |
Verkehrsaufkommen schon heute enorm hoch, und nicht selten steht der | |
BVG-Bus mitten im Stau – zusammen mit dem umgelenkten Durchgangsverkehr | |
künftig wohl noch länger. | |
Die Kiezblock-Initiative ist sich dessen bewusst und fordert Tempo 30 sowie | |
eine Vorrangregelung für den ÖPNV. Auch Jochen Biedermann findet, man könne | |
„nicht drumherumreden“, dass hier eine zusätzliche Belastung für die | |
AnwohnerInnen entstehe. Wie die AktivistInnen auch setzt er seine Hoffnung | |
auf die mittelfristigen Effekte der Verkehrswende: „Mit der wollen wir ja | |
erreichen, dass der Autoverkehr insgesamt abnimmt, weil es attraktive | |
Alternativen gibt.“ | |
27 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://telraam.net/en/location/9000002889/2022-10-17/2022-10-23 | |
[2] /Kiezblock-in-Neukoelln/!5815126 | |
[3] https://kiezblock-rixdorf.de/concept | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Mobilitätswende | |
Berlin-Neukölln | |
Kiezblock | |
Verwaltungsgericht | |
Mobilitätswende | |
Mobilitätswende | |
Verkehrswende | |
Kiezblock | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Probleme bei der Verkehrsberuhigung: Ausgebremste Kiezblocks | |
Das Verwaltungsgericht kassiert eine Durchfahrtssperre in Pankow. Der Fall | |
zeigt, warum die Umsetzung von Kiezblocks so mühselig ist. | |
Verkehrswende in Berlins Bezirken: Warten im Block | |
In Neukölln wird die Verkehrswende zu Geduldprobe: Der von Anwohnenden seit | |
Langem geforderte Kiezblock Rixdorf kommt und kommt nicht. Aber warum? | |
Bedrohte Verkehrswende in Berlin: Besorgtes Abwarten | |
Viele Bezirke treiben die Mobilitätswende voran. Mit einem schwarz-roten | |
Senat dürfte aber einiges schwieriger werden. | |
Kiezblock in Neukölln: Der Jochen läuft mit | |
„Kiezblock Rixdorf“ und andere Initiativen machen Druck auf Neuköllns | |
grünen Verkehrsstadtrat. Der will dasselbe – möchte aber keine Wunder | |
versprechen. | |
Verkehrswende mit Kiezblock: Kein Durchkommen | |
Schlupflöcher sperren, Schleichwege unterbinden: Gut platzierte Poller wie | |
der am Neuköllner Richardplatz können für Verkehrsberuhigung sorgen. |