# taz.de -- Kiezblock in Neukölln: Der Jochen läuft mit | |
> „Kiezblock Rixdorf“ und andere Initiativen machen Druck auf Neuköllns | |
> grünen Verkehrsstadtrat. Der will dasselbe – möchte aber keine Wunder | |
> versprechen. | |
Bild: Es könnte so einfach sein: Kinderzeichnung auf der Rixdorfer Demo | |
BERLIN taz | Auf dem Böhmischen Platz streift sich am Freitagnachmittag ein | |
halbes Dutzend Menschen weiß-rot gestreifte Maleroveralls über. Gleich geht | |
die Demo los. Der Aufruf kam erst am Morgen, die Mobilisierung könnte etwas | |
größer sein, aber dann kommt die Gruppe inklusive Kinder doch auf mehr als | |
50 Personen und darf mit polizeilicher Eskorte auf der Straße zum | |
Richardplatz laufen. „Freiräume statt Blechwüste“ oder „Mehr Platz für | |
Menschen“ haben sie mit bunter Ölkreide auf Pappschilder geschrieben. | |
Aufgerufen zur Demonstration hat [1][Kiezblock Rixdorf], eine von etlichen | |
Initiativen unter dem Dach des Vereins Changing Cities, die sich für die | |
konsequente Verbannung von motorisiertem Durchgangsverkehr aus Wohnvierteln | |
einsetzen. Die RixdorferInnen kämpfen schon eine ganze Weile dagegen, dass | |
AutofahrerInnen den Richardkiez als Schleichweg zwischen Sonnenallee und | |
Karl-Marx-Straße missbrauchen. Anfang des Jahres haben sie ein | |
umfangreiches Konzept vorgestellt und dafür getrommelt, bis eine Mehrheit | |
in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Ende Mai die Einrichtung eines | |
Kiezblocks in Rixdorf – sowie zweier weiterer im Schiller- und im | |
Reuterkiez – beschloss. | |
Umgesetzt wurde das noch nicht, das Bezirksamt stellte lediglich einen – | |
zugegebenermaßen äußerst wirkungsvollen – [2][Poller in der „Schnalle“] | |
auf: der Verbindung zwischen Richard- und Karl-Marx-Platz, durch die sich | |
täglich 4.000 Kfz von Menschen drängelten, die zumeist nicht im Kiez | |
wohnen. Tagelang gab es viel Wut und Gehupe, einmal wurde der Poller aus | |
der Verankerung gerissen und ins Gebüsch geworfen. Mittlerweile ist es an | |
dieser Stelle deutlich ruhiger geworden. Dafür rollen die Autos nun über | |
die Kirchhof-, Richard- und Braunschweiger Straße. | |
„Jedem, der hier wohnt, war klar, dass die Schließung der Schnalle keine | |
Besserung bringt“, sagt Katrin von Kotze von der Initiative, „selbst in | |
Google Maps wird man weiter durch den Kiez geleitet.“ Sie und ihre | |
MitstreiterInnen fordern den neuen Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann | |
(Grüne) zum Handeln auf: „In den ersten 100 Tagen muss hier etwas | |
passieren.“ | |
Aus Sicht der AktivistInnen ist die Sache ganz einfach: Es müssten nur an | |
drei zentralen Punkten „modale Filter“ aus Pollern oder Blumenkästen | |
eingerichtet werden. Dann könnten immer noch alle, die das müssen, in den | |
Kiez hineinfahren – aber niemand mehr hindurch. | |
Aber würden dann nicht einfach die Straßen rund um den Kiezblock noch | |
voller und gefährlicher? „Ja, an den Hauptverkehrsstraßen haben wir ein | |
Gerechtigkeitsthema, das will ich gar nicht bestreiten“, sagt Heiko | |
Rintelen von Kiezblock Rixdorf der taz. Diese Straßen erfüllten aber andere | |
bauliche Kriterien, außerdem lägen an ihnen in den seltensten Fällen Kitas | |
oder Seniorenheime. | |
Derweil spricht Daniel Reimann vom Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln | |
auf dem Böhmischen Platz zu den DemonstrantInnen: „Was Franziska Giffey als | |
Bullerbü verächtlich macht, das wünsche ich mir hier!“ Etwa, dass Kinder | |
alleine zur Schule gehen oder sogar auf der Straße spielen könnten, ohne in | |
Lebensgefahr zu geraten. | |
## Nicht einfach einen Hebel umlegen | |
Unter den Demonstrierenden steht auch Jochen Biedermann. Der Stadtrat kommt | |
aus der Bewegung und fühlt sich ihr weiterhin verbunden. Der taz sagt er, | |
er könne die Ungeduld verstehen, „und ich teile sie auch“. Kiezblocks seien | |
für die Grünen Programm, andererseits sei er erst seit einer Woche im Amt, | |
„da kann ich nicht einfach einen Hebel umlegen“. | |
Am schlimmsten fände er, wenn er eine Maßnahme wieder zurücknehmen müsste, | |
weil sie nicht nach den Grundsätzen ordentlichen Verwaltungshandelns | |
vorbereitet worden sei. „Die Anordnung muss StVO-konform sein, und die | |
öffentlichen Träger wie Polizei und Feuerwehr müssen beteiligt werden.“ | |
Biedermann – [3][Twittername @derjochen] – hat das Chaos nach Errichtung | |
des „Schnallen“-Pollers beobachtet, deshalb hält er nicht so viel vom | |
Pop-up-Prinzip für den Kiez. Trotzdem: „Drei Jahre lang zu planen und | |
auszuschreiben, diese Zeit ist vorbei.“ Er wolle gemeinsam mit der | |
Initiative und seinen Fachleuten vom Straßen- und Grünflächenamt eine | |
funktionierende Lösung suchen. Bauchschmerzen bereite ihm die kümmerliche | |
finanzielle und personelle Ausstattung des Amtes – da müsse die | |
Landespolitik umdenken und die Bezirksebene stärken. | |
Dasselbe darf der Stadtrat auch noch einmal zu den Demonstrierenden sagen, | |
nachdem der Zug zum Richardplatz gezogen ist. Während die Menschen in den | |
weiß-roten Overalls eine lebende Diagonalsperre bilden, lobt Biedermann die | |
AktivistInnen, die das progressive Programm der Neuköllner Zählgemeinschaft | |
aus Grünen und SPD durch ihren Druck erst möglich gemacht hätten. Er | |
verspricht, ein „verlässlicher und fairer Partner“ zu sein. „Aber natür… | |
könnt ihr von mir keine Wunder erwarten.“ | |
Die meisten klatschen. Nur einer kann sich nicht zurückhalten: „Seit 50 | |
Jahren soll Rixdorf verkehrsberuhigt werden!“, ruft er. „50 Jahre! Wie | |
lange sollen wir denn noch darauf warten?“ | |
12 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://kiezblock-rixdorf.de/ | |
[2] /Verkehrswende-mit-Kiezblock/!5782254 | |
[3] https://twitter.com/derjochen | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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