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# taz.de -- Fußball-Bundesliga: Was Kahn ausflippen lässt
> Anthony Modeste sorgt durch sein 2:2 in der 95. Minute für Dortmunder
> Glücksgefühle. Für die Bayern eine Krise, für Fans die Hoffnung auf
> Spannung.
Bild: So sieht 95. Minute aus: mitgelaufener Torwart, hektisch verteidigende Ba…
Vermutlich ist es noch nie passiert, dass das Publikum im Dortmunder
Westfalenstadion voller Inbrunst ein Lied anstimmte, das einst von den
Gelsenkirchener Erzrivalen erfunden wurde. Schalker haben einst zu Ehren
ihres Stürmers Ebbe Sand Dutzende Strophen über die außergewöhnlichen
Fähigkeiten dieses Spieler gedichtet, zum Beispiel: „Wer köpft den Nagel in
die Wand? Ebbe Ebbe Sand!“ Jahre später klauten Anhänger des 1. FC Köln
dieses Lied, um ihren Helden [1][Anthony Modeste] zu huldigen, der
Ballermann-Star Ikke Hüftgold machte einen Schlager daraus.
Aber derart berauscht von spontaner Stadioneuphorie wie am Samstagabend in
Dortmund ist der Song wohl nie geschmettert worden. „Wer sorgt fürs späte
Fußballfest? Anthony Modeste!“ wurde spontan gedichtet und: „Wer gibt dem
Klassiker den Rest? …“ Der Stürmer, der in den Wochen zuvor mehr und mehr
zum schwarz-gelben Krisenfall geworden war, hatte in der fünften Minute der
Nachspielzeit eine furiose Aufholjagd mit dem 2:2 gegen den FC Bayern
gekrönt und Tausende Menschen in Ekstase versetzt.
Das Stadion sei in diesem Augenblick „mal kurz auseinandergerissen worden“,
sagte der Dortmunder Sportdirektor Sebastian Keh, weil ihm keine
passenderen Worte für die wilde [2][Explosion der Gefühle] einfielen.
Sieger waren die Dortmunder zwar nicht, aber der Gewinn, den sie aus diesem
krachenden Schlussakkord ziehen können, ist vielleicht sogar wertvoller als
zwei Punkte: Das Publikum erlebte die intensivste Ausschüttung von
Glücksgefühlen seit Beginn der pandemischen Jahre. Der BVB befindet sich
tabellarisch weiterhin auf Augenhöhe mit dem FC Bayern, der nun schon zum
vierten Mal in dieser Bundesligasaison Unentschieden gespielt hat.
Die Dortmunder konnten sich für ihre vielfach kritisierte Mentalität feiern
lassen, weil sie einen 0:2-Rückstand aufgeholt hatten, mit „wahnsinnig viel
Engagement, mit wahnsinnig viel Moral“, sagte Kehl. Zudem taugte das in
spontanem Entsetzen verzerrte Gesicht des Bayernchefs Oliver Kahn, das
TV-Kameras im Moment des Ausgleichtors einfingen, als kleine Kirsche auf
der Torte des Glücks. Und nicht zuletzt erhielt die Dortmunder
Stürmerdiskussion an diesem Tag eine vollkommen neue Richtung.
## Der eingewechselte Modeste
Wie schon unter der Woche beim 4:1-Sieg in der Champions League in Sevilla
saß Modeste nun auch in der Bundesliga erstmals seit seinem Wechsel aus
Köln nur auf der Bank, zu kläglich waren seine Auftritte zuletzt gewesen.
Am Samstag aber hatte er Youssoufa Moukokos Tor zum 1:2 vorbereitet (74.)
und das Nachspielzeitdrama mit dem 2:2 gekrönt. Wobei er bis zu seinem
finalen Kopfballtor akut davon bedroht war, abermals zur tragischen Figur
zu werden.
Denn in der 83. Minute war er sechs Meter vor dem Tor völlig frei zum
Abschluss gekommen, noch günstigere Torgelegenheiten sind selten. Doch
Modeste traf den Ball nicht sauber. „So nah liegt das oft beisammen“, sagte
Kehl, „jetzt wurde er gefeiert, das tut uns allen gut, das tut ihm gut, und
das war vor allem für die Mannschaft extrem wichtig.“
Aufgrund der guten Leistungen des 17 Jahre alten Moukoko in Sevilla und nun
gegen die Bayern lindert sich das Angriffsproblem merklich. Das Duo
Modeste/Moukoko hat jetzt in zwei Spielen zwei Tore geschossen und zwei
weitere vorbereitet, das ist eine ordentliche Bilanz. Und die beiden
scheinen sich bei aller Konkurrenz auch irgendwie zu mögen. „Ich bin sein
Vater, das kann man so sagen“, erklärte der 34 Jahre alte Modeste und
berichtete davon, dass er sich in der vergangenen Woche in der Kabine „ein
bisschen beschwert“ hat: „Wir flanken nicht genug und wir können nicht nur
sexy spielen“, hatte er seinen Kollegen gesagt.
Tatsächlich war diese betörende Schlussphase vom Samstag, in der ein hoher
Ball nach dem nächsten in den Münchner Strafraum flog und in der sich sogar
BVB-Torhüter Alexander Meyer dauerhaft vor dem Tor von Manuel Neuer
aufhielt, wie gemalt für Modeste. Die entscheidende Flanke schlug
schließlich Nico Schotterbeck, und später sagte Oliver Kahn: „Es ist eine
erstaunliche Saison, wie wir es immer wieder schaffen, uns um den
verdienten Lohn zu bringen.“ Denn die Bayern waren nach Treffern von Leon
Goretzka (33.) und Leroy Sané (53.) deutlich überlegen, vergaben jedoch
beste Möglichkeiten, ein drittes und viertes Tor zu schießen.
Zudem hatten sie Pech, dass Schiedsrichter Deniz Aytekin sich kurz vor der
Halbzeit entschied, den bereits mit einer gelben Karte verwarnten Jude
Bellingham nach einem zwar versehentlichen, aber doch sehr heftigen Tritt
an die Schläfe von Alphonso Davies nicht vom Platz zu stellen. „Er tritt
ihm einfach volle Kanne ins Gesicht, das ist nicht Gelb, das ist eine rote
Karte, aber Minimum Gelb“, sagte Trainer Julian Nagelsmann. Nachdem zuletzt
mehrere Spiele der Bayern in Dortmund aufgrund von
Schiedsrichterentscheidungen zugunsten der Münchner kippten, lief es
diesmal eben andersrum, und selbst Bayern-Fans müssen zugeben: Zur
Erfüllung des auch in München existierenden Wunsches nach einem möglichst
spannenden Titelkampf war das genau richtig.
9 Oct 2022
## LINKS
[1] /Spielerwechsel-in-der-Fussball-Bundesliga/!5870391
[2] https://www.youtube.com/watch?v=BByFKXB8foE
## AUTOREN
Daniel Theweleit
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