# taz.de -- Friedensnobelpreise verliehen: Nicht länger wegsehen! | |
> Die Überlebenden sexualisierter Kriegsverbrechen auf der Welt brauchen | |
> mehr als Mitleid. Das mahnen Nadia Murad und Denis Mukwege. | |
Bild: Denis Mukwege und Nadia Murad, Nobelpreisträger | |
BERLIN taz | Es war allen Berichten zufolge eine ergreifende Zeremonie, es | |
flossen viele Tränen – und ein Scheck über neun Millionen schwedische | |
Kronen (871.000 Euro). Am Montag haben in Oslo die 25-jährige Jesidin Nadia | |
Murad aus dem Irak und der 63-jährige Gynäkologe Denis Mukwege aus der | |
Demokratischen Republik Kongo den Friedensnobelpreis entgegengenommen – | |
eine Überlebende fürchterlicher sexualisierter Verbrechen und ein Heiler | |
solcher Überlebenden. | |
„Heute ist für mich ein guter Tag“, sagte die Irakerin, sichtlich | |
überwältigt. „Es ist der Tag, an dem das Gute über das Böse siegt.“ | |
Beide Preisträger betonten in ihren Dankesreden die Notwendigkeit für die | |
Weltgemeinschaft, [1][nicht länger untätig zu bleiben] angesichts einiger | |
der brutalsten Verbrechen der Gegenwart: die Verschleppung, Versklavung und | |
systematische Vernichtung jesidischer Frauen durch den „Islamischen Staat“ | |
(IS) im Irak und die systematische Folter, Misshandlung und Vergewaltigung | |
kongolesischer Frauen durch bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte im | |
Osten des Kongo. | |
„Nicht nur die Urheber von Gewalt sind für ihre Verbrechen verantwortlich“, | |
mahnte Mukwege. „Sondern auch die, die sich zum Wegsehen entscheiden. Wenn | |
ein Krieg geführt werden muss, dann ist es der Krieg gegen die | |
Gleichgültigkeit, die unsere Gesellschaften zersetzt.“ | |
## „Gerechtigkeit und Strafverfolgung“ | |
Der Schutz der Jesiden, Opfer eines „Völkermordes“, obliege der | |
internationalen Staatengemeinschaft, mahnte Nadia Murad, die selbst 2014 im | |
Irak verschleppt wurde und später in Deutschland Zuflucht fand. „Ohne | |
diesen internationalen Schutz ist nicht garantiert, dass wir nicht erneut | |
denselben Massakern derselben terroristischen Gruppen zum Opfer fallen.“ | |
Murad verlangte auch internationale Maßnahmen zur Verfolgung der Täter. | |
„Tatsache ist, dass der einzige Preis der Welt, der unsere Würde | |
wiederherstellen kann, Gerechtigkeit ist und die Strafverfolgung von | |
Verbrechern“, sagte sie. | |
„Junge Mädchen in der Blüte ihres Lebens werden täglich verkauft, gekauft, | |
gefangengehalten und vergewaltigt. Es ist unvorstellbar, dass das Gewissen | |
der Führer von 195 Ländern weltweit nicht aufgerüttelt wird, um diese | |
Mädchen zu befreien. Was wäre, wenn es sich um einen Handelsvertrag, ein | |
Ölfeld oder eine Waffenladung handeln würde? Sicherlich wäre keine | |
Anstrengung zu groß, um sie freizubekommen.“ | |
Der Kongolese Mukwege, der mit seinem Team in seiner Frauenklinik in der | |
ostkongolesischen Stadt Zehntausende Überlebende sexualisierter | |
Kriegsverbrechen behandelt und gerettet hat, forderte ebenfalls Handeln von | |
der Weltgemeinschaft. | |
„Ich bestehe auf Reparationen, auf Maßnahmen, die Überlebenden | |
Entschädigung und Genugtuung bieten und ihnen den Beginn eines neuen Lebens | |
ermöglichen“, sagte er. „Ich rufe die Staaten zur Unterstützung der | |
Initiative auf, einen globalen Fonds für Reparationen für Opfer sexueller | |
Gewalt in bewaffneten Konflikten einzurichten.“ | |
## Sanktionen gegen mitschuldige Staatsführer | |
Mukwege, der in seiner Heimat als Oppositioneller gilt und seinen | |
Nobelpreis knapp zwei Wochen vor sehr kontroversen Wahlen im Kongo erhält, | |
hielt sich auch nicht mit Kritik an der eigenen Staatsführung zurück. „Mein | |
Land wird systematisch ausgeplündert, mit der Komplizenschaft von Leuten, | |
die sich für unsere Führer halten“, schimpfte er. Die Weltgemeinschaft | |
sollte eine „rote Linie“ ziehen gegen „Führer, die sexuelle Gewalt | |
toleriert oder, noch schlimmer, eingesetzt haben, um die Macht zu | |
ergreifen“. | |
Diese „rote Linie“ bestünde in „ökonomischen und politischen Sanktionen | |
gegen diese Führer sowie sie vor Gericht zu stellen“. Vor seinem Auftritt | |
warnte Mukwege in einem Interview, der Kongo stünde möglicherweise vor | |
einem neuen Krieg statt vor Neuwahlen: „Was ich sah, als ich mein Land | |
verließ, beruhigte mich nicht. Es gibt sehr wenig Wahlvorbereitung und viel | |
militärische Vorbereitung.“ | |
Viel Prominenz war bei der stark abgesicherten Preisverleihungsfeier | |
zugegen, und das Lob für die beiden Preisträger war einhellig. | |
„Diese Auszeichnung verpflichtet Denis Mukwege und Nadia Murad, ihr | |
lebenswichtiges Werk fortzuführen, aber es verpflichtet auch uns, an ihrer | |
Seite zu stehen, um sexueller Gewalt im Krieg ein Ende zu setzen“, sagte | |
Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobelpreiskomitees und Leiterin der | |
Feier, und pries „zwei der mächtigsten Stimmen der Welt heute“. | |
10 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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