# taz.de -- FFF-Aktivist über Wahlen und Protest: „Jo, euer Programm reicht … | |
> Keine Partei hat eine gescheite 1,5-Grad-Strategie, kritisiert Aktivist | |
> Quang Paasch. Warum ihm die anstehenden Koalitionsverhandlungen wenig | |
> Hoffnung machen. | |
Bild: Mittlerweile in der 145. Streikwoche. Bald auch mit Sitzblockaden? | |
Es ist noch etwas früh für ein Interview mit einem Vollzeitstudierenden, | |
aber der Holzmarkt in Berlin ist an einem Dienstagmittag weniger von | |
Zugezogenen überrannt als sonst, erklärt Quang Paasch, Sprecher von Fridays | |
for Future, bei der Begrüßung. Ein Gespräch über die Bewegung, mögliche | |
Protestformen derer und wie eine klimagerechte Zukunft aussieht. | |
taz: Quang, die Wissenschaft sagt, wir müssen jetzt sofort handeln. | |
Klimagerechte Politik, die Deutschland auf einen 1,5-Grad-konformen Pfad | |
bringt wird es wohl aber nach den Ergebnissen der Bundestagswahl nicht bis | |
2030 geben. Dann lieber erst das Klima und danach soziale Gerechtigkeit? | |
Quang Paasch: Wir können Klimaschutz nur mit sozialer Gerechtigkeit | |
erreichen. Es bringt uns nichts, Emissionen zu senken und auf Technologien | |
zu setzen, wenn weiterhin Arbeiter:innen des Globalen Südens und auch | |
die Natur dafür ausgebeutet werden. Sei es, weil Teile des Globalen Südens | |
unbewohnbar werden oder Menschen hierher fliehen. Natürlich sind auch hier | |
im Land soziale Perspektiven wichtig. Gebäudesanierung, klimapolitische | |
Bildung oder Mobilität und all diese anderen Bereiche, die Klima mit | |
drinhaben, betreffen am Ende alle Bürger:innen. | |
Eine andere Sache, die alle Bürger:innen betrifft, ist die | |
Bundestagswahl. Die Würfel sind gefallen. In die richtige Richtung? | |
Es gibt ja jetzt schon keine Tendenz für eine „ordentliche | |
Koalitionsbildung“. Keine Partei hat eine gescheite 1,5-Grad-Strategie oder | |
kann Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit ordentlich verbinden. Am Ende | |
ist es immer eine Koalition, wo klimafreundlichere Parteien Zugeständnisse | |
machen müssten, und deswegen sehe ich wenig Hoffnung in der nächsten | |
Regierung. | |
Glaubst du, der globale Klimastreik kurz vor der Bundestagswahl hatte | |
trotzdem eine große Auswirkung auf die Wahl? | |
Wir machen das nicht nur, damit alle am Ende die Grünen oder eine andere | |
progressive Partei wählen. Unser Ziel ist es auch, allen Parteien zu | |
zeigen: Jo, euer Programm reicht einfach gar nicht aus. Wir werden auch | |
drei Wochen nach der Wahl noch laut sein. Demokratie bedeutet für mich | |
nicht, nur zur Bundestagswahl zu gehen, weil viele in der Klimabewegung | |
minderjährig sind, also gar nicht wählen durften. | |
Die Aktivistin Carola Rackete warf Fridays for Future unlängst in einem | |
Gastbeitrag in der taz vor, stur an der Protestform des Streiks | |
festzuhalten, obwohl die Streiks allenfalls noch symbolische Bedeutung | |
hätten. Wie positioniert sich Fridays for Future künftig zu Organisationen | |
wie „Ende Gelände“, die für radikalere Proteste wie Massenblockaden stehe… | |
Auch ziviler Ungehorsam ist demokratischer Protest und wir sind solidarisch | |
mit diesen Organisationen. Wir können aber schlecht sagen, wir besetzen | |
jetzt auch Bagger. Die Kindergarten- und Grundschulkinder, die davor auf | |
den Streiks waren, werden dadurch ausgeschlossen. Wir sind eine Plattform | |
für Menschen, die gar nicht erst von der Gesellschaft als | |
Entscheidungsträger:innen oder politische Subjekte wahrgenommen | |
werden. Und deswegen nutzen wir die Form von Bündnissen und Allianzen, | |
damit wir uns als Bewegung nicht unser Framing verwässern, aber auch zu | |
anderen Protestformen aufrufen. | |
Wäre es aber theoretisch möglich, dass es in Zukunft auch stärkeren zivilen | |
Ungehorsam von Fridays for Future geben wird? Das eine schließt das andere | |
ja nicht aus. | |
Ich glaube schon. Das gibt es ja bereits von einzelnen Ortsgruppen. | |
Die Fridays-for-Future-Bewegung, die du vertrittst, wird kritisiert, zu | |
weiß und elitär zu sein. Passiert intern wie extern etwas? | |
Soziale Bewegungen sind auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und wenn | |
eine Gesellschaft, so wie wir sozialisiert werden, diskriminierend ist, | |
dann ist es leider nur natürlich, dass eine Bewegung wie Fridays for Future | |
weiß-bürgerlich ist. Aber wir haben auch eine Verantwortung, Strukturen zu | |
schaffen, die Menschen sensibilisieren intern sowie extern Barrieren | |
abzubauen. Gleichzeitig sehe ich die Eigenverantwortung irgendwo auch | |
gestoppt, weil uns das System so viele Hürden setzt. | |
Was für Hürden? | |
Wenn eine weiße Schülerin zum Streik geht, wird ihr per se mehr geglaubt, | |
als wenn ein migrantischer Schüler das macht. Bei dem wird direkt gesagt, | |
er würde eh schwänzen und sei kriminell oder sonst was. Eine junge Person | |
of Color, die auf dem Land lebt, hat viele strukturelle Hürden, um | |
überhaupt erst mal politisch gebildet zu sein. Und dann auch noch die Kraft | |
und Zeit zu haben, sich politisch zu engagieren und sich dann für Fridays | |
for Future zu entscheiden. Das sind alles Faktoren, die mit reinspielen. | |
Fridays for Future macht aber auch viel zu wenig dafür, um selbstkritisch | |
zu sein. | |
Wie bist du selbst Aktivist geworden? | |
Ich hab aufgrund meiner eigenen Lebensrealität, die nie frei von | |
Diskriminierung war, von Anfang an gemerkt, ich bin anders als die | |
Mehrheitsgesellschaft. Mir stellte sich dann die Frage: Werd ich still und | |
lass mich so behandeln? Oder lehne ich mich dagegen auf und werde laut? | |
Durch das Internet hab ich mich dann selbst ermächtigt und aufgeklärt. Ich | |
hab das in die Schule getragen und dort drüber diskutiert, bin aber | |
angeeckt, weil meine Mitschüler:innen sehr unpolitisch waren. | |
Wie gehen deine Eltern damit um? | |
Ich komme aus einer typischen migrantischen Arbeiterklasse. Meine beiden | |
Eltern sind kurz vor und nach der Wende aus Vietnam nach Deutschland | |
migriert. Für sie stand immer im Fokus, ökonomisch abgesichert zu sein. | |
Deshalb bin ich am Anfang auf viel Angst und Unverständnis gestoßen: Angst | |
davor, nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert zu werden, weil sie ein Kind | |
haben, das plötzlich selbstbestimmt und politisch auftritt. Erst nach | |
mehreren meiner Medienauftritte wurde es leichter, dafür Verständnis zu | |
erlangen. | |
Die Linke, die ja eigentlich für die Arbeiterklasse steht, ist nur mit viel | |
Glück in den Bundestag eingezogen. Sahra Wagenknecht, die wohl | |
prominenteste Politikerin der Partei, bezeichnet die Linke, aber auch | |
Fridays for Future als Lifestyle-Linke, weil sie sich in sinnloser | |
Identitätspolitik verlören. Stimmt das? | |
Ich glaube, Identitätspolitik ist wichtig, aber nur mit der Verbindung von | |
Klasse und Ökonomie, sprich Macht und Geld. Und wenn es keine | |
materialistische Analyse gibt und Menschen nur allein auf ihre | |
Identitätskonstruktionen und der Aneignung dieser Identitäten beruhen und | |
es dabei belassen, dann ist es gefährlich. | |
Inwiefern? | |
Liberale Identitätspolitik, die rein auf Diversität abzielt, ist für mich | |
nicht das Mittel auf dem Weg zu einer befreiten Gesellschaft. Wir müssen | |
auch die unterdrückenden Strukturen hinterfragen und verändern. Genauso ist | |
die Diskussion über Sprache wichtig, weil Sprache Wahrnehmung konstruiert | |
und Machtstrukturen reproduziert. | |
Also zielt Wagenknecht in die falsche Richtung? | |
Sie ist die echte Lifestyle-Linke, weil sie so tut, als sei diese | |
vermeintliche Arbeiterklasse nur eins. Auch queere Menschen können | |
Arbeiter:innen sein. Auch Arbeiter:innen können migrantisch sein. | |
Sollte man dann nicht Politik machen, die alle einschließt? Und nicht nur | |
für den vermeintlichen bürgerlich-weißen Arbeiter, der so wenig Bildung | |
hat, dass er anscheinend nicht mehr mit den ganzen Sprachdiskursen | |
klarkommen kann? Zu behaupten, es würde sie nichts angehen und sie würden | |
es nicht verstehen, ist einfach bevormundend und zeugt von einem schlechten | |
Menschenbild. | |
Wie sollte Identitätspolitik dann aussehen? | |
Als Linke sind wir in der Verantwortung, alltagstaugliche Projekte zu | |
haben, die mehr soziale Gerechtigkeit mit sich bringen. Und das aber mit | |
der Perspektive der Identität. Ein ostdeutscher schwuler Arbeiter ist | |
anders als ein ostdeutscher heterosexueller Arbeiter. Aber in der Vielfalt | |
dieser Identitäten eint sie eins und das ist der Kampf um Gerechtigkeit. | |
Wie sinnvoll sind dahingehend konkrete politische Maßnahmen, wie zum | |
Beispiel eine Frauenquote? | |
Quoten, wie sie Liberale oft fordern, bringen leider wenig. Auch unter | |
einer weiblichen CEO arbeiten viele andere Arbeiter:innen, die in diesem | |
System ausgebeutet werden. Wieso sollte man nicht über Pflegekräfte reden, | |
über Erzieher:innen, über Putzkräfte, die weibliche Care Arbeit verrichten? | |
Wieso werden die nicht von einer sozialen feministischen Politik | |
mitbetrachtet? Wieso wird immer nur das Ziel gesehen, dass Menschen nach | |
oben kommen? | |
Apropos nach oben kommen: Was hast du eigentlich gewählt? | |
Das möchte ich nicht beantworten. | |
Eine Maßnahme, die die nächste Regierung sofort umsetzen sollte? | |
Eine gezielte Umverteilung von Reichtum und diese Gelder werden dann | |
genutzt für Klimaschutz- und Demokratieprojekte. | |
1 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Jaromir Schmidt | |
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