| # taz.de -- Ex-Präsident von Argentinien: Carlos Menem ist tot | |
| > Der „König von Argentinien“ liebte die Macht und den Glamour, mehrfach | |
| > stand er vor Gericht. Jetzt ist er nach langer Krankheit gestorben. | |
| Bild: Argentiniens Präsident von 1989 bis 1999: Carlos Menem | |
| Buenos Aires taz | Carlos Saúl Menem ist tot. Argentiniens ehemaliger | |
| Präsident starb am Sonntag im Alter von 90 Jahren. Bereits im Dezember war | |
| er ins Krankenhaus eingeliefert worden und hatte sich seither in einem | |
| kritischen Zustand befunden. Er hatte das Präsidentenamt von 1989 bis 1999 | |
| inne. | |
| Menem kam 1930 als Sohn einer syrischen Einwandererfamilie in der | |
| argentinischen Provinz La Rioja zu Welt. Vor seiner Wahl zum Präsidenten | |
| konvertiere er vom Islam zum Katholizismus. Die damalige Verfassung ließ | |
| nur einen Katholiken auf dem Präsidentensessel zu. | |
| „König von Argentinien“ nannte ihn einmal die linksliberale Tageszeitung | |
| Pagína/12. Keiner stieg wie er aus der Präsidentenmaschine, die buschigen | |
| Koteletten perfekt gestylt vom immer mitfliegenden Frisör, um dann in die | |
| Mikrofone der wartenden Journalist*innen zu fragen, wie sein | |
| Lieblingsfußballclub River Plate gespielt habe. | |
| Er tanzte Tango mit Hillary Clinton im Weißen Haus, spielte [1][Fußball mit | |
| Maradona] und Golf mit George Bush Senior, lud die Rolling Stones zu sich | |
| in die Präsidentenresidenz in Olivos ein und nahm mit Charly García eine | |
| Platte auf. | |
| ## „Er schuf eine neue Kultur“ | |
| Seinen politischen Aufstieg begann der gelernte Rechtsanwalt in seiner | |
| Heimatprovinz La Rioja. Dort hatte er sich in jungen Jahren der | |
| peronistischen Partei angeschlossen. Zweimal hatte er das Gouverneursamt | |
| der Provinz inne: Erstmals von 1973 bis zum Militärputsch 1976. Zwei Jahre | |
| verbrachte Menem in verschiedenen Arrestzellen, danach zwei Jahre unter | |
| verschärftem Hausarrest. | |
| Nach dem Ende der [2][Militärdiktatur 1983] wurde er wiederholt zum | |
| Gouverneur gewählt, schloss sich dem rechten Flügel der peronistischen | |
| Partei an, schloss Allianzen mit der mächtigen Gewerkschaftsbürokratie und | |
| baute seine Präsidentschaftskandidatur auf. | |
| „Schon wenige Monate nach der Übernahme der Präsidentschaft wurde Menem von | |
| der Kirche und den Militärs wie der eigene Sohn behandelt“, sagte der 2010 | |
| verstorbene renommierte Schriftsteller und Journalist Tomás Eloy Martinez. | |
| „Die Unternehmer schmeichelten ihm und versuchten, sich im Licht seines | |
| Heiligenscheins fotografieren zu lassen. Für Menem war der Zweck wichtiger | |
| als die Mittel, der Erfolg zählte mehr als die zu bringenden Opfer, | |
| Privilegien mehr als Solidarität. Er schuf eine neue Kultur und das Land | |
| applaudierte ihm.“ | |
| Dass ihn die Militärs weggesperrt hatten, hinderte ihn nicht daran, die | |
| obersten Schergen der Militärdiktatur per Dekret zu begnadigen. Nie hat er | |
| die Mütter der Plaza de Mayo empfangen, die auch während seiner | |
| Präsidentschaft unermüdlich nach ihren während der Diktatur verschwundenen | |
| Kindern suchten. | |
| Menem liebte die Macht, den Glamour und schnelle Autos. Und seine | |
| Untertanen liebten ihn, hatte er doch nach Jahren der extremen Unsicherheit | |
| für Stabilität gesorgt. Mit der Koppelung des Peso an den Dollar wurde 1991 | |
| die Hyperinflation von über 2.000 Prozent auf nahezu Null gesenkt. Und weil | |
| ein Peso fortan ein Dollar wert war, waren Reisen und Wareneinkauf im | |
| Ausland so billig wie nie zuvor. | |
| ## Menem stand mehrfach vor Gericht | |
| Dass zur Finanzierung die Staatsbetriebe verscherbelt wurden und die | |
| heimische Industrie an den Billigimporten zugrunde ging, scherte lange | |
| niemanden. Erst als die Schlangen der Arbeitslosen vor den geschlossene | |
| Werkstoren länger und die Aufrechterhaltung der Dollarbindung immer | |
| schwieriger wurde, begann Menems Abstieg. | |
| Mit seinem Tod endet auch sein Mandat als Senator, das er noch bis 2023 | |
| inne gehabt hätte. Seit 2005 saß er als ständig wiedergewählter Senator | |
| seiner Heimatprovinz La Rioja im Kongress. Die parlamentarische Immunität | |
| hat ihn stets vor dem Aufenthalt in einer Gefängniszelle bewahrt. Mehrfach | |
| wurde er von Ermittlungsrichtern vernommen, stand vor Gericht oder wurde | |
| verurteilt – so 2013 zu sieben Jahren Haft wegen illegaler Waffenverkäufe | |
| nach Ecuador und Kroatien und 2015 zu vier Jahren und sechs Monaten | |
| Gefängnis wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder. Als gewählter Senator | |
| blieb er stets auf freiem Fuß, bis die Urteile zudem in einer höheren | |
| Instanz aufgehoben wurden. | |
| Zuletzt hatte er [3][im März 2019 vor Gericht gestanden] und wurde vom | |
| Vorwurf der mutmaßlichen Verschleierung der Aufklärung des | |
| [4][Bombenattentats auf das Gebäude des jüdischen Hilfswerkes AMIA] | |
| freigesprochen. Bei dem Anschlag im Juli 1994 waren 85 Menschen getötet und | |
| 300 verletzt worden. Er fiel ebenso in die Zeit von Menems Präsidentschaft | |
| wie der Anschlag auf die israelische Botschaft in Buenos Aires gut zwei | |
| Jahre zuvor, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen. | |
| Auch sein Sohn Carlos Jr. starb 1995 bei einem mysteriösen | |
| Hubschrauberabsturz. Hartnäckig hält sich die Vermutung, die drei | |
| Ereignisse seien Racheakte gegen Menem gewesen, hinter denen Syrien stecke. | |
| Von dort, dem Ursprungsland seiner Familie, seien immense Gelder in seinen | |
| Präsidentschaftswahlkampf geflossen. Menem habe dafür Zusagen gemacht, die | |
| er dann nicht eingehalten habe. Lange hatte Menem die These vom Unfalltod | |
| seines Sohnes vertreten. Am Ende glaubte auch er an ein Attentat. | |
| 14 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürgen Vogt | |
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