| # taz.de -- Erweiterung des Brics-Bündnisses: Keine gerechtere Weltordnung | |
| > Ein alter linker Traum erfüllt sich scheinbar: die Emanzipation des | |
| > „Globalen Südens“. Angesichts der Akteure fällt es aber schwer, das als | |
| > Fortschritt zu sehen. | |
| Bild: Feiern sich und die Erweiterung als Ansage an den Westen: Staatschefs der… | |
| Selten löste ein Menschenrechtsbericht solches Entsetzen aus wie jetzt die | |
| Enthüllung von Human Rights Watch über Massaker an äthiopischen | |
| Flüchtlingen in Saudi-Arabien. Der Bericht [1][„They Fired on Us Like | |
| Rain“] offenbart die Gewalt der saudischen Diktatur, ihre Geringschätzung | |
| menschlichen Lebens und den arabischen Rassismus gegenüber Afrikanern. | |
| Direkt danach sind nun Äthiopien und Saudi-Arabien gemeinsam in das | |
| Schwellenländerbündnis Brics eingeladen worden, und beide Regierungen | |
| betonen, sie hätten miteinander überhaupt kein Problem. Aus der | |
| Fünferallianz Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wird ein | |
| Elferbündnis mit den Neumitgliedern Ägypten, Äthiopien, Argentinien, Iran, | |
| Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Weitere könnten | |
| folgen. | |
| „Brics plus“ erfüllt scheinbar einen alten linken Traum: die Emanzipation | |
| des „Globalen Südens“. Die Auflösung der europäischen Kolonialreiche gilt | |
| als epochale Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, aber für viele blieb sie | |
| unvollendet: An die Stelle kolonialer Herrschaft trat neokoloniale | |
| Abhängigkeit, begründet im US-zentrierten Finanzsystem und in der | |
| Sonderstellung der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in den Vereinten | |
| Nationen. | |
| Mit der Brics-Erweiterung erscheint nun die Alternative einer | |
| „multipolaren“ Welt zum Greifen nahe. Die Brics-Länder wollen laut | |
| [2][Gipfelerklärung] untereinander mit ihren eigenen Währungen Handel | |
| treiben statt über den US-Dollar. Sie betonen „gegenseitigen Respekt“ und | |
| „souveräne Gleichheit“. | |
| ## Das Recht des Stärkeren | |
| Aber es fällt schwer, darin einen Fortschritt zu sehen, wenn man sich die | |
| Akteure anschaut. Die multipolare Welt von Wladimir Putin und Xi Jinping, | |
| die sich keinen Regeln unterwerfen, ist das Gegenteil der multilateralen | |
| Welt, in der alle nach den gleichen Regeln spielen. Es ist ein exklusiver | |
| Klub der Bosse und Diktatoren. Zu Hause darf jeder alles und verdient dafür | |
| Respekt. Die multipolare Welt begräbt die regelbasierte Weltordnung, es | |
| gilt das Recht des Stärkeren. | |
| Natürlich fühlen sich Äthiopiens Abiy Ahmed, Saudi-Arabiens Mohammed bin | |
| Salman und andere Neuzugänge in dieser Brics-Welt wohler als in einer, in | |
| der internationale Instanzen Menschenrechte anmahnen. Aber mit Fortschritt | |
| für die Menschen hat das nichts zu tun. Linke Träumer in Brasilien oder | |
| Südafrika oder demnächst Argentinien sind nur dabei, weil ihnen der | |
| Anti-US-Reflex den Blick auf die Realitäten verstellt. Sie reduzieren den | |
| „Globalen Süden“ auf ein Feigenblatt für den autoritären „Osten“ im … | |
| Ost-West-Konflikt. Sie schenken Brics ein Mäntelchen der Verlogenheit, die | |
| freie Hand für Massenmörder zur antiimperialistischen Errungenschaft | |
| erklärt. | |
| Verlogen ist das auch aus ganz banalen Gründen. Die Brics-Mächtigen mögen | |
| gegen westliche Hegemonie und den US-Dollar wettern. Aber ihre gestohlenen | |
| Gelder legen sie nicht in Rubel oder Yuan an, sondern in Dollar, Euro, | |
| Pfund und Franken. Ihre Bankkonten halten sie im reichen Westen, ihre | |
| Geschäfte laufen über New York und London, ihre Kinder gehen auf westliche | |
| Universitäten. Chinesische und russische Unternehmen beuten Menschen und | |
| Natur in armen Länder unbekümmerter aus als westliche und wahren ihre | |
| Interessen mit der vollen Härte russischer Wagner-Kämpfer und chinesischer | |
| Überwachungsfirmen. | |
| ## Steilvorlagen | |
| Die Tragik ist, dass der „Globale Westen“ im Eintreten gegen das | |
| multipolare Recht des Stärkeren ständig Steilvorlagen gegen sich selbst | |
| liefert. Die westliche Unterstützung für den Freiheitskampf der Ukraine ist | |
| die rühmliche Ausnahme, die den desolaten Zustand westlicher Politik | |
| ansonsten eher noch deutlicher hervortreten lässt. | |
| Denn ansonsten gelten globale Regeln oft plötzlich nicht mehr, wenn | |
| westliche Länder sie brechen. Globalisierung wird ausgebremst, sobald | |
| andere Weltregionen zu schnell aufholen. Freiheit in reichen Ländern endet | |
| dort, wo Zuwanderer aus armen Ländern sie in Anspruch nehmen wollen. Und | |
| während in Johannesburg der Brics-Gipfel die „Stärkung der Kapazität | |
| afrikanischer Staaten“ forderte, behauptete in Paris [3][Emmanuel Macron | |
| in einem Interview], ohne Frankreichs Militärengagement in Afrika „gäbe es | |
| zweifelsohne Mali und Burkina Faso nicht mehr“. Besser kann man | |
| neokoloniale Ignoranz nicht ausdrücken. | |
| Die Brics-Welt glänzt – aber nur, weil die westliche Welt hinter den | |
| Ansprüchen zurückbleibt, die weltweit an sie gesetzt werden. Der | |
| Brics-Glanz ist ein falscher Glanz. Aber die Aufholjagd des Westens beginnt | |
| bei sich selbst. | |
| 26 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.hrw.org/report/2023/08/21/they-fired-us-rain/saudi-arabian-mass… | |
| [2] https://www.thepresidency.gov.za/download/file/fid/2853 | |
| [3] https://www.euractiv.de/section/innenpolitik/news/macron-verteidigt-franzoe… | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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