| # taz.de -- England vor dem Halbfinale der Rugby-WM: Der Zerstörer | |
| > Owen Farrell soll als Kapitän Englands Rugby-Auswahl im Halbfinale der WM | |
| > zum Sieg führen. Doch die Fans mögen ihn nicht. | |
| Bild: Owen Farrell wird von Fidschi-Spielern getackelt | |
| Als die englische Nationalmannschaft bei der Rugby-WM 2003 überraschend | |
| klar Argentinien schlug, da erzielte alle Punkte für die Red Roses ein | |
| Spieler: Fly Half George Ford verwandelte sechs Penalties und drei | |
| Dropkicks aus dem offenen Spiel. Kritiker nannten diese Taktik abschätzig | |
| Retro-Rugby. „Das Spiel war ein fast schon unwirklicher Trip zurück in die | |
| 1990er-Jahre“, hieß es etwa bei der BBC. | |
| Tatsächlich gewannen die Engländer auf diese Weise 2003 ihren einzigen | |
| WM-Titel und schafften es so 2007 noch ins Finale. Bei beiden Turnieren | |
| beförderte Englands Kapitän und Fly Half Johnny Wilkinson Penalties und | |
| Drop Goals mit einzigartiger Sicherheit zwischen die Malstangen und gab so | |
| seinen schwergewichtigen Kollegen die Möglichkeit, sich auf das zu | |
| konzentrieren, wofür sie in der übrigen Rugbywelt seit jeher gehasst | |
| werden: zerstören. | |
| Die Gegner taten den Engländern oft den Gefallen, die Materialschlachten im | |
| Zentrum des Spielfelds anzunehmen, und so konnte „Henker Johnny“ wieder und | |
| wieder zur Exekution antreten. | |
| 2007 verloren die Engländer das Finale nur knapp gegen Südafrika. 16 Jahre | |
| später treffen die Kontrahenten erneut im Stade de France in Paris | |
| aufeinander. Auch dieses Mal könnten es das „Kicking Rugby“ sein, das den | |
| Engländern eine Chance gegen die [1][übermächtig scheinenden Springboks aus | |
| Südafrika] gibt. | |
| ## Knurrende Arroganz | |
| Die Hauptrolle in dieser Geschichte ist dabei für Englands Kapitän Owen | |
| Farrell vorgesehen. Der hatte aufgrund einer Roten Karte in einem der WM | |
| vorausgegangenen Testspiele die ersten beiden Gruppenspiele zusehen müssen, | |
| ist aber nun wieder Trainer Steve Borthwicks erste Wahl auf der Position | |
| des Fly Half. Beim Rugby ist dies der Dreh- und Angelpunkt und er trifft | |
| die meisten taktischen Entscheidungen. Der Einfluss Owen Farrells auf die | |
| Leistung seiner Mannschaft gilt daher als immens. | |
| Aber Farrell ist es auch, der die Geister scheidet wie niemand sonst. Beim | |
| 30:24-Sieg Englands über Fidschi, das Farrell mit einem Drop Goal | |
| entschieden hatte, wurde der zum Man of the Match gewählte 32-Jährige | |
| lautstark ausgebuht, selbst von Teilen der englischen Fans. Farrell galt | |
| offenbar vielen der zahlreichen ebenfalls anwesenden australischen, | |
| schottischen, walisischen und französischen Fans im Stade Velodrome von | |
| Marseille als Verkörperung der knurrenden Arroganz des englischen Rugby. | |
| Farrells schwieriges Standing selbst bei den eigenen Anhängern wird in der | |
| englischen Presse mittlerweile schon [2][mit des Fußballers David Beckham] | |
| verglichen, der nach seiner Roten Karte im Viertelfinale gegen Argentinien | |
| bei der WM 1998 über Jahre der Buhmann der Nation auf der Insel gewesen | |
| war. Der Vergleich ist umso erstaunlicher, als Owen Farrell alles andere | |
| als eine schillernde Figur des öffentlichen Lebens ist. Dylan Hartley, | |
| langjähriger Weggefährte Farrells und vorher ebenfalls Kapitän der | |
| englischen Rugby-Auswahl, sagt: „Man könnte fast schon sagen, dass er | |
| ziemlich langweilig ist. Er ist kein offener Social-Media-Nutzer. Hat in | |
| zwölf Monaten ganze drei Twitter-Nachrichten abgesetzt. Seine Familie und | |
| seine Wurzeln im Norden Englands haben ihm die Arbeitsethik eines Arbeiters | |
| eingeflößt. Und das sollten die englischen Rugbyfans einfach zu schätzen | |
| wissen.“ | |
| Auf dem Platz ist der „Silly Boy“, wie ihn ein Reporter nach seiner Roten | |
| Karte wegen hohem Tacklings taufte, allerdings genau der Anführer, den die | |
| Engländer gegen die sehr körperlich spielenden Südafrikaner gebrauchen | |
| können. „Owen blüht im Wettbewerb auf, bei diesen großen Anlässen“, sag… | |
| auch sein Trainer Borthwick. „Er ist ein fantastischer Anführer, die Art | |
| von Anführer, von der ich weiß, dass ich ihnen gerne auf dem Platz folgen | |
| würde.“ | |
| Der einstige König des englischen „Kicking Rugby“, war einst Johnny | |
| Wilkinson. Seine Bestmarke der meisten erzielten Punkte für die englische | |
| Rugby-Nationalmannschaft hat Owen Farrell bei dieser WM bereits geknackt. | |
| Nun muss er ihm nur noch das Kunststück nachmachen, den WM-Titel zu holen. | |
| Der „schöne Johnny, mit dem tödlichen Schuh“, hatte das WM-Finale von 2003 | |
| mit einem Drop Goal in der Verlängerung [3][gegen Australien] entschieden. | |
| Am Samstag wird sich zeigen, ob Owen Farrell gegen Südafrika einen | |
| ähnlichen One-Time-Moment erleben wird. | |
| 19 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Henkel | |
| Karl-Udo Wenholt | |
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