# taz.de -- Egotronic-Sänger über die Natur: „Plötzlich ist man kaputtbar�… | |
> Torsun hat die neue Egotronic-Platte „Die Natur ist dein Feind“ genannt �… | |
> ein Verweis auf seine Rheumaerkrankung. Und er ist besorgt über die | |
> Pogromstimmung im Land. | |
Bild: Die Jungs von Egotronic: Heutzutage eher gemütlich auf'm Sofa. Ganz rech… | |
taz: Herr Burkhardt, Sie haben keine Lust mehr, mit Ihrer Band Egotronic | |
Partymusik zu machen. Warum? | |
Torsun Burkhardt: Zum einen ist für mich diese Party-Elektropunk-Geschichte | |
ein wenig ausgelutscht, und es wurde langweilig. Deshalb habe ich wieder | |
mehr „normale“ Instrumente benutzt, das neue Album ist mehr ein Indie- und | |
Punkrockalbum. Es ist aber auch textlich düsterer als die Vorgänger, weil | |
für mich auch die Stimmung im Moment eher so ist. | |
Inwiefern? | |
Ich meine die politische Stimmung. Für mich waren die Ereignisse in | |
Berlin-Hellersdorf im vergangenen Sommer prägend. Ich glaube, zurzeit sieht | |
es wieder vielerorts so aus: Sobald irgendwo ein Flüchtlingsheim hin soll, | |
hast du ’ne Bürgerinitiative dagegen. Das hat für mich Déjà-vu-Momente, da | |
denke ich sofort an die Zeit Anfang der 1990er, an Rostock-Lichtenhagen und | |
Mölln. | |
Hat sich in dieser Hinsicht nichts gebessert? | |
Nein, ich denke, die Situation ist vergleichbar. Es ist nur ’ne Frage der | |
Zeit, bis es wieder Tote nach Anschlägen durch Nazis gibt. Die Stimmung ist | |
jetzt schon zum Teil pogromartig, da muss man sich nur mal die Kommentare | |
auf den Facebook-Seiten der Bürgerinitiativen anschauen. | |
Wie haben Sie die Ereignisse in Berlin-Hellersdorf erlebt? | |
Da bin ich zu den Demos häufiger rausgefahren. Es ist furchtbar, dass es | |
notwendig ist, da rauszufahren und sich schützend vor die Leute zu stellen. | |
Seit dem 1. Januar ist die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Bulgaren | |
und Rumänen in Kraft. Nimmt seither die Zahl der Hetzer zu? | |
Manche Politiker reden schon wieder von Armutseinwanderung, und bei den | |
Bürgern ist es mal wieder so, dass sie ja nichts gegen Ausländer haben, | |
solange sie nicht in der Nachbarschaft wohnen – ähnlich wie damals. Das | |
macht mir schlicht und ergreifend Angst. Auf dem Album macht sich das | |
bemerkbar. | |
Haben Sie mit Ihrer Band eigentlich irgendwann mal den Anspruch gehabt zu | |
agitieren? | |
Nein, mit einer früheren Band hatte ich den mal, da haben wir Politpunk | |
gemacht. Bei Egotronic war das nie Programm. Ich habe nur über Sachen | |
gesungen, die mich persönlich beschäftigen – und diese Dinge beschäftigen | |
mich eben. Ich selbst bin zwar politisiert worden, als ich anfing, in die | |
AZs oder auf Punkkonzerte zu gehen, aber mit dem Zeigefinger sollte Musik | |
sowieso nie kommen. Musik kann ja kein Buch ersetzen oder so. Und auch | |
keine Partei, um Einfluss zu nehmen. Aber von Parteien würde ich mich auch | |
nie vereinnahmen lassen. Ich habe mich immer außerhalb von Parteienpolitik | |
bewegt. Das heißt, mit 14 war ich einmal ganz kurz in einer | |
Parteijugendgruppe. Da wollte einer ’ne Grünen-Gruppe gründen. Hat er aber | |
schnell wieder aufgelöst, weil wir Kids zu radikal waren. Die einen gingen | |
zu den radikalen Tierschützern, andere landeten so wie ich bei den | |
Autonomen. | |
Wäre in Deutschland Platz für eine neue linke Partei? | |
Es gäbe wahrscheinlich keine, die die Leute bündeln könnte. Es gab ja mal | |
einen kurzen Run auf die „Linke“, aber ich bezweifle auch, dass es eine | |
linke Partei gäbe, die vernünftige Inhalte durchsetzen würde, wenn sie in | |
der Verantwortung wäre. Wenn du eine tiefgreifende Veränderung willst, geht | |
das nicht über Parteienpolitik. Die SPD ist das Paradebeispiel, gerade wenn | |
die an der Macht sind, drücken sie die schlimmsten Dinge durch. Ich finde, | |
Rot-Grün hat das gezeigt. | |
Hat sich das Land in der Zeit unter Rot-Grün nicht trotzdem liberalisiert? | |
Nein, ich glaube es nicht wirklich. Und Rot und Grün sind auch immer weiter | |
nach rechts gewandert, deshalb kommt einem die CDU jetzt auch so links vor. | |
Andererseits sagt die Kanzlerin heute noch zum Thema Gleichstellung von | |
Schwulen und Lesben in Sachen Adoptionsrecht sinngemäß: „Ich bin nicht | |
homophob, aber ich bin homophob.“ | |
Sind Sie selbst heute – mit fast 40 – weniger radikal als früher? | |
Ich bin vielleicht nicht mehr ganz so aufbrausend wie früher, aber ich bin | |
noch genauso radikal. Das Hass-Level ist noch ähnlich hoch wie als | |
Teenager. | |
Auf Ihrem Blog sieht man Sie mit einem T-Shirt posieren: „Still loving | |
linke Gewalt“. | |
Ach, das war nur diese Steilvorlage der Hamburger SPD, die ja eine Demo | |
gegen linke Gewalt ansetzen wollte. Da musste man reagieren. | |
Wann ist Gewalt denn als politisches Instrument sinnvoll und wann legitim? | |
Grundsätzlich bin ich kein gewalttätiger Mensch. Wenn Dinge anders zu lösen | |
sind, dann ist das positiv. Aber wenn irgendwo Faschos patrouillieren, dann | |
muss man auch schlagkräftig sein. So gibt es ja mittlerweile auch Viertel, | |
wo die sich nicht reintrauen. Da ist die Lebensqualität doch gleich besser. | |
Bei Demos sehe ich es so: Wenn die Cops anfangen, wehre ich mich. Meinen | |
ersten Stein habe ich geworfen, weil ein Polizist damals – wir waren 16 | |
Jahre alt – meiner Freundin einen Knüppel von hinten über den Kopf gezogen | |
hat. | |
Wie sehen Sie die Auseinandersetzungen am 1. Mai? | |
Das ist affig. Man trifft sich, um Krieg zu machen. Das find’ ich Quatsch, | |
genauso wie Hooligantum oder so. Anders war es etwa 1993 nach der | |
Asylgesetzänderung, da sind wir damals nach Bonn gefahren mit dem ganz | |
klaren Ziel: Hier muss es krachen. | |
Ihr neues Album handelt auch vom Älterwerden. Woran merken Sie, dass Sie | |
älter werden? | |
Zum Beispiel daran, dass ich nicht mehr andauernd Feiern gehe oder mich | |
nicht so oft mit Drogen abschieße. | |
Hatten Sie mal einen richtigen Drogen-K.o.? | |
Süchtig war ich nie. Das war mir auch wichtig. Das waren bei mir immer | |
Phasen. Ich bin Quartalsdrogist, aber im Alltag nehme ich keine Drogen und | |
trinke nicht mal. | |
Welches ist die beste Droge? | |
Das hat für mich immer gewechselt. Eine Zeit lang war’s Ketamin, jetzt ist | |
es lustigerweise Tilidin, ein Opiat. Man wird da ganz entspannt, ist eher | |
eine downende Droge. | |
Welche persönlichen Dinge waren für Sie bei der Entstehung des neuen Albums | |
wichtig? | |
Mein Leben hat sich dadurch verändert, dass ich eine Autoimmunerkrankung | |
bekommen habe, rheumatische Arthritis. Mein Körper führt Krieg gegen mich. | |
Ich bin auf Medikamente angewiesen. Das hat mich bestärkt, die Platte „Die | |
Natur ist dein Feind“ zu nennen. | |
Welches sind die Symptome der Krankheit? | |
Man hat starke Schmerzen und die Gelenke versteifen sich. Zwischendurch gab | |
es mehrere Monate, in denen ich keine Gitarre spielen und gar nicht an der | |
Platte arbeiten konnte. Im schlimmsten Fall könnte ich nicht mehr laufen. | |
Mit Medikamenten kann ich aber nun relativ normal leben. Es schränkt mich | |
trotzdem ein, ich habe kleine Schübe. | |
Wie hat Sie die Krankheit verändert? | |
Man merkt plötzlich, man ist kaputtbar. Als junger Mensch denkt man ja | |
immer, es kann einem gar nichts passieren. | |
Hat die Musik Ihnen dann geholfen, als sie wieder spielen konnten? | |
Musik hat für mich immer was Therapeutisches. Auch Konzerte zu spielen ist | |
ein Kick. Das war ja immer mein Ding, mich über Musik auszudrücken. | |
Können Sie in so einer Krankheit irgendetwas Positives sehen? | |
Oh nee. Positiv ist daran nichts. Da bin ich nicht der Typ für, der jetzt | |
was von „Krankheit als Chance“ erzählt. Nee. Ist einfach scheiße. | |
Aber den Titel und das Lied „Die Natur ist dein Feind“ kann man ja auch so | |
verstehen, dass die Natur sich mit Gewalt an der Menschheit rächt. | |
Es lässt viel Interpretationsspielraum, das finde ich gut. Natürlich habe | |
ich zu Naturgewalten auch so meine Feindschaft, wenn da ein Tsunami mal | |
eben 10.000 Menschen wegfegt oder so. Das ist ja ein ganz klarer | |
kriegerischer Akt. | |
Vielleicht haben wir’s nach den letzten 200 Jahren ja verdient. | |
Nee, das seh’ ich anders. Die Natur regeneriert sich von allem wieder. | |
Glauben Sie? | |
Spätestens, wenn der Mensch plattgemacht ist. Dann dauert’s halt ’ne | |
Million Jahre. Sie ist wesentlich besser bewaffnet als wir. | |
Ein ganz schön klarer Antagonismus, der Mensch hat nichts mehr zu tun mit | |
der Natur. | |
Nein, ganz so fatalistisch bin ich nicht. Ich bin trotzdem immer noch nicht | |
der Typ, der sagt, ich fahr jetzt gern ins Grüne oder so. | |
Zu natürlichen Feinden haben Sie auch noch einen Song geschrieben: Zu | |
„Frei.Wild.“ | |
Ja, obwohl es mich derzeit fast schon nervt, wie sie zum Konsensfeind | |
werden. Ich fand es zum Beispiel absurd, dass die Band Mia. die Ausladung | |
Frei.Wilds vom Echo gefordert hat. Gerade die standen ja auch mal für einen | |
Schlussstrich-Patriotismus, den ich mindestens genauso scheiße finde. | |
Trotzdem finde ich den Song wichtig, weil Frei.Wild | |
Blut-und-Boden-Ideologien vertreten und dann sagen, sie sind nicht rechts. | |
Schwachsinn. | |
4 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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Hamburg | |
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