# taz.de -- E-Scooter-Boom in Berlin: Echt elektrisierend | |
> Das Geschäft mit E-Scootern floriert in Berlin. Dem Anbietern kommt dabei | |
> zugute, dass die Behörden an entscheidender Stelle ein Auge zudrücken. | |
Bild: Stehen und fahren fast überall herum: E-Scooter, hier ein Modell der Fir… | |
Es ist, als hätten all diese Menschen nie etwas anderes getan als | |
Rollerfahren: Es reicht, sich an irgendeiner Berliner Straße zu postieren, | |
spätestens nach ein paar Minuten zischt ein schwarzer oder roter | |
elektrischer Scooter vorbei. Wobei „zischen“ das Fahrgeräusch nicht exakt | |
beschreibt – es ist eher ein hohes Surren, um ein Vielfaches leiser als ein | |
Moped mit Verbrennungsmotor. Von Weitem betrachtet, gleiten die E-Roller | |
lautlos durch die Stadt, ganz anders als die nicht von ungefähr „Wespe“ | |
getauften Klassiker eines italienischen Herstellers. | |
Und die Leute haben offensichtlich großen Spaß an dieser relativ neuen Art | |
der Fortbewegung. Auf den kleineren Modellen des Anbieters „Coup“ meist | |
alleine, auf denen des Konkurrenten „Emmy“ oft zu zweit, rollen sie | |
innerhalb des S-Bahn-Rings hin und her, mal auf dem Weg zur Arbeit oder | |
zurück, oft schlicht zum Spaß, wie viele NutzerInnen berichten. Für den | |
sorgen die kräftige Beschleunigung auf knapp unter 50 km/h, das leise | |
Dahinsegeln im Fahrtwind, die Möglichkeit, den Roller fast überall wieder | |
abzustellen, und das gute Gewissen, mit Ökostrom unterwegs zu sein. | |
Die einzige Zahl, über die die beiden E-Platzhirsche öffentlich reden, ist | |
die ihrer Fahrzeuge, aber es scheint ihnen sehr gut zu gehen. Emmy, ein | |
Berliner Start-up, in das auch die landeseigene Investitionbank Berlin Geld | |
gesteckt hat, zählt zurzeit 600 Roller auf der Straße und will bis Ende des | |
Jahres auf 800 kommen, Coup, eine Tochter der Robert Bosch GmbH, hat von | |
200 Fahrzeugen im Jahr 2016 schon auf derzeit 1.000 erhöht. Man sei „sehr | |
happy“ mit der Entwicklung, lässt Coup-Sprecherin Julia Grothe | |
durchblicken. Beide Unternehmen bauen ihr Angebot in weiteren deutschen | |
Städten aus, Coup setzt auch auf Europa und zeigt Präsenz in Paris und | |
Madrid. | |
Während die Leihräder von Mobike, Ofo und Co. mit Vandalismus und | |
Diebstählen zu kämpfen haben, gehen die BerlinerInnen offenbar pfleglich | |
mit ihren neuen E-Lieblingen um: „Wir sind positiv überrascht“, sagt | |
Grothe. „Klar gibt es auch mal einen Kratzer oder jemand verewigt sich mit | |
dem Edding, aber insgesamt respektieren die Leute, dass es sich nicht um | |
ihr Eigentum handelt.“ Emmy-Mitgründer und Geschäftsführer Valerian Seither | |
bestätigt das und beteuert, Diebstahlversuche schlügen grundsätzlich fehl, | |
weil die Fahrzeuge elektronisch gesichert seien. | |
Schon problematischer ist da das Schwarmverhalten: Der Verleih wird über | |
Apps abgewickelt, in denen registrierte NutzerInnen das gewünschte Fahrzeug | |
auf einem Stadtplan lokalisieren und entsperren können. Beim Blick auf | |
diese Karten wird offensichtlich, dass trotz des vielbeschworenen | |
polyzentrischen Charakters von Berlin die meisten eben doch vormittags von | |
den Wohnbezirken am Rand der Innenstadt in die zentralen Bereiche strömen – | |
und abends wieder zurück. Das kann dann bedeuten, dass man am frühen | |
Nachmittag in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg erst einen Fußmarsch von 10 | |
bis 15 Minuten absolvieren muss, bevor das elektrisierende Objekt der | |
Begierde erreicht ist. | |
„Das ergibt sich halt aus dem Sharing-Prinzip“, sagt Julia Grothe, „wir | |
können darauf relativ wenig Einfluss nehmen.“ Aktiv umgeparkt werden die | |
Scooter nicht, die MitarbeiterInnen haben schon genug damit zu tun, die | |
leergefahrenen Roller abzuklappern und mit einer frischen Batterie zu | |
versehen – „Milkrun“ nennen sie das bei Coup in Anlehnung an den Milchman… | |
der seine Runden von Kanne zu Kanne dreht. | |
Viele Menschen, die den E-Roller-Boom beobachten, sorgen sich, dass die | |
flüsterleisen, aber schnellen Gefährte ein ernst zu nehmendes | |
Sicherheitsrisiko darstellen: „Man hört die ja gar nicht kommen“, heißt es | |
oft. Das trifft auf E-Autos nicht im selben Maße zu, weil diese durch ihre | |
Größe und ihr Gewicht mehr Rollgeräusche auf der Straße erzeugen. Außerdem | |
fahren viele Roller-NutzerInnen recht kreativ: Sie schlängeln sich an | |
wartenden Autos vorbei, was eigentlich gar nicht erlaubt ist. | |
## Keine Unfallstatistik | |
Der Polizei liegen dennoch keine Erkenntnisse über ein erhöhtes | |
Unfallrisiko vor, wie Clemens Frederking von der Verkehrsüberwachung | |
bestätigt. Das liege aber daran, dass bislang gar nicht automatisch erfasst | |
werde, ob ein an einem Unfall beteiligtes Fahrzeug elektrischen Antrieb | |
habe oder auf einen Sharing-Anbieter zugelassen sei. Das zu ändern, sei | |
Sache der Politik, so Frederking, der im Übrigen auf den Grundsatz des | |
defensiven Fahrens verweist. | |
Dem schließt sich Matthias Tang, Sprecher der Senatsverkehrsverwaltung, an. | |
Sollten sich Hinweise auf eine höhere Unfallträchtigkeit häufen, werde | |
seine Behörde „den Anbietern nahelegen, dass sie die Nutzer verstärkt auf | |
die Risiken hinweisen“, so Tang zur taz. Grundsätzlich begrüße man die | |
leisen und fast emissionsfreien Fahrzeuge. | |
Dass das Geschäft der Scooter-Sharer blendend läuft, hat übrigens noch | |
einen Grund: Das Parkplatzproblem tendiert gegen null. Die Roller werden | |
einfach auf dem sogenannten Unterstreifen des Gehwegs abgestellt, zwischen | |
Bordsteinkante und dem eigentlichen Fußgängerbereich. | |
Wie die Verkehrsverwaltung letztens auf eine AfD-Anfrage antwortete, ist | |
das Parken von Kraftfahrzeugen dort überhaupt nicht erlaubt, solange es | |
nicht explizit ausgeschildert wird. „Wegen der Parkraumnot in Berlin“, so | |
Staatssekretär Jens-Holger Kirchner, werde es aber „in Anwendung des | |
Opportunitätsprinzips“ geduldet, wenn niemand dadurch behindert werde. | |
20 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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