| # taz.de -- Dokumentarfilm „Bestiaire“: Kräftemessen mit dem Wasserbüffel | |
| > Wie schaut der Mensch auf Tiere im Zoo? Wie schauen die zurück? | |
| > „Bestiaire“ von Denis Côté legt ein Blickregime frei. | |
| Bild: Der Wasserbüffel tut genau das, was man einem Laienschauspieler als Alle… | |
| Tiere scheren sich nicht um Kadrierungen. Das ist das Problem von | |
| Filmemachern. Dieses Dilemma sorgt in Denis Côtés Dokumentation „Bestiaire�… | |
| für einige schöne Interferenzen. Tiere betreten und verlassen den | |
| Bildausschnitt, wie es ihnen passt. Manchmal verschwindet der Kopf aus dem | |
| oberen Bildrand, einmal huscht ein Emu unten links durch das Bild und | |
| taucht von rechts wieder auf. | |
| Es steckt eine unfreiwillige Komik im Eigenwillen der Tiere, die ahnungslos | |
| grundlegende filmische Regeln ignorieren. Ein Wasserbüffel im Close-up tut | |
| genau das, was man einem Laienschauspieler als Allererstes austreibt: Er | |
| starrt direkt in die Kamera – und damit dem Zuschauer ungerührt in die | |
| Augen. | |
| Und weil sich Côté beim Filmen selbst strenge Regeln, was Kadrierung und | |
| Montage angeht, auferlegt hat, halten die Tiere der Neugier des Kameramanns | |
| (Vincent Biron) auch schon mal eine halbe Minute stand. Ohne eine Miene zu | |
| verziehen. | |
| Kurios wird es immer, wenn Vogel, Affe oder Hornvieh anfangen, gute Miene | |
| zum bösen Spiel zu machen. Dann setzen beim Betrachter die üblichen | |
| Projektionen ein. Sind die zusammengekniffenen Augen nun ein abschätziger | |
| Blick oder eine Abwehrreaktion gegenüber einer lästigen Fliege? Ist das | |
| ausdruckslose Stieren ein „Anstarrwettbewerb“ mit dem Kameramann oder bloß | |
| Trägheit? In der Unmittelbarkeit der Beobachtung bleiben uns die Tiere auf | |
| bizarre Weise fremd, und zugleich versuchen wir ständig, etwas Vertrautes | |
| in ihrem Verhalten zu erkennen. | |
| ## Tiere bleiben unergründlich | |
| Dabei hat Côté an der Vermenschlichung ihrer Eigenheiten kein Interesse. | |
| Sie bleiben in ihrem Wesen etwas Eigenes, Unergründliches, das | |
| gewährleistet schon die nüchterne Komposition der Bilder: Biron filmt die | |
| Tiere in statischen Einstellungen, auf der Tonspur ist außer den originalen | |
| Umweltgeräuschen nichts zu hören. | |
| Der kanadische Regisseur hat für seinen Film einen ganz speziellen Drehort | |
| gewählt: den Safari-Park in Quebec. Zu wissen, dass die Tiere in | |
| Gefangenschaft sind, verändert das Verhältnis von Betrachter und Tier | |
| zwangsläufig. Es geht bei den Blicken tatsächlich um ein heimliches | |
| Kräftemessen, um Machtverhältnisse. | |
| Der Mensch ist in Birons Bildern ständig präsent, sei es durch die Käfige, | |
| Gebäude und Zäune oder als Pfleger und Gast. Die blickfreundliche | |
| Architektur des Zoos dient der Unterhaltung der Menschen. Ein Löwe döst auf | |
| dem Dach eines Plexiglastunnels, durch den eine Familie schlendert. Ein | |
| Gorilla sitzt unbewegt in seinem Gehege, während im Hintergrund ein | |
| Familienvater affenartige Faxen macht (und von seiner Frau zur Ordnung | |
| gerufen wird). | |
| ## Im Studio des Tierpräparators | |
| In Interviews hat Côté wiederholt betont, dass es ihm nicht um eine Kritik | |
| an der Institution Zoo geht. Dennoch sind die Begegnungen von Mensch und | |
| Tier in „Bestiaire“ durch die Zoo-Architektur definiert. Es geht eine | |
| strukturelle Gewalt von den Bildern aus, bis hinein in das Studio des | |
| Tierpräparators, der mit routinierten Handgriffen eine Ente ausstopft. Die | |
| Tierköpfe an den Wänden (und die Kamera) sind seine stummen Zeugen. | |
| Dieses Blickregime strukturiert Côtés Film. „Bestiaire“ eröffnet mit ein… | |
| Einstellung, in der das Verhältnis von Mensch und Tier auf ironische Weise | |
| zugespitzt wird. Côté zeigt eine Zeichenklasse bei der Arbeit mit einem | |
| Model. Die Kamera hält zunächst auf die konzentrierten Gesichter, | |
| registriert – genau wie später bei den Pflegern oder dem Präparator – die | |
| Handgriffe und Bewegungen der Zeichner. Erst allmählich offenbart die | |
| Einstellung das Model der Sitzung: ein ausgestopftes Reh. Ein flüchtiger | |
| Blick auf die Zeichnungen entlarvt nicht nur die stark divergierenden | |
| Talente innerhalb der Klasse, sondern auch die unterschiedliche Wahrnehmung | |
| von dem toten Tier. Eine Zeichnung zeigt das Reh als „Bambi“-ähnliche | |
| Abstraktion. | |
| Jeder Mensch macht sich also sein eigenes Bild von den Tieren, das ist in | |
| etwa die Quintessenz von „Bestiaire“ – einem Film, dessen vermeintliche | |
| Indifferenz sich als eigentliche Stärke entpuppt. Weil Côté seine Bilder | |
| nicht als starre Argumentationsketten angelegt hat, bleibt der Blick offen | |
| für überraschende Erkenntnisse. Etwa der, dass der Mensch der eigentliche | |
| Fremdkörper in diesem Arrangement ist. | |
| ## „Bestiaire“. Regie: Denis Côté. Dokumentarfilm. Frankreich/Kanada 2012, | |
| 72 Min. | |
| 25 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Busche | |
| ## TAGS | |
| Dokumentarfilm | |
| Bodybuilding | |
| Holocaust | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Dokumentarfilm über Bodybuilder: Die Sprache des Muskelzuckens | |
| Denis Côté begleitet in seiner Doku „A Skin So Soft“ Bodybuilder in ihrem | |
| Alltag. Dem Regisseur gelingt die Konzentration auf das Vieldeutige. | |
| Filmstart „Schnee von gestern“: Eine zerbröselte Familie | |
| Nach dem Krieg geht die Schwester nach Israel, der Bruder bleibt in | |
| Deutschland. Yael Reuvenys neuer Film führt die Familie posthum zusammen. | |
| Ausblick auf die 63. Berlinale: Ein Ende den Eintrübungen | |
| „The Grandmaster“ von Wong Kar-Wai eröffnet die 63. Berlinale. Das | |
| diesjährige Programm ist vielversprechend, die Flaute der letzten Jahre | |
| scheint vorbei. | |
| Berlinale Forum: Regisseur über "Bestiaire": "Käfige sind ein ästhetisches M… | |
| Heute stellt man Tiere auf verschiedene Arten dar. Der kanadische | |
| Filmemacher Denis Côté über seine lebenden Organismen im Zoo in "Bestiaire" | |
| im Berlinale Forum. |