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# taz.de -- Diversität in Spanien: Eine Schule als LGBTI-Oase
> Ein Gymnasium in Madrid geht besonders offen mit sexueller und
> geschlechtlicher Vielfalt um. Doch nun droht ihm „ein totaler
> Rückschritt“.
Bild: Die Fahne am Stadtparlament von Madrid trügt: Rechtsextreme gewinnen an …
MADRID taz | Marco Antonio Theis denkt nur ungern an seine alte Schule
zurück. Vor zwei Jahren verließ der 16-Jährige eine religiöse, staatlich
subventionierte Privatschule im reichen Norden Madrids. Seither geht er auf
die San Isidro Oberschule in der Altstadt. Der Grund: „Ich war ständigem
Mobbing ausgesetzt. Zum Schluss wurde ich sogar verprügelt und erlitt dabei
eine Verletzung an der Wirbelsäule. Die Schulleitung unternahm so gut wie
nichts“, erinnert sich der Junge.
Marco Antonio war nicht etwa wegen seiner Piercings und den blau-grünen
Haaren ein Außenseiter. Sondern weil er als Mädchen auf die Welt gekommen
ist. Oder, wie er es ausdrücken würde, im Körper eines Mädchens. Er fühlte
sich aber als Junge – und kleidete sich entsprechend. „Es ist traurig, dass
ich als Opfer der Aggressionen schließlich gehen musste, und nicht die
Täter“, sagt er. Nach langen Recherchen im Internet, wechselte Marco
Antonio auf die Oberschule San Isidro.
„Ich konnte mich hier mit meinem neuen Namen anmelden, obwohl ich offiziell
im Ausweis noch immer als Frau gelte“, sagt Marco Antonio. Vor anderthalb
Jahren begann er mit der Hormonbehandlung, damit sein Körper endlich zu dem
wird, wie er sich fühlt: männlich. Bis auf ein paar kleinere Sticheleien
würden ihn die Mitschüler im San Isidro respektieren: „Kein Vergleich zur
alten Schule.“
„El San Isidro“ – wie die Schule kurz und bündig genannt wird – ist das
älteste Gymnasium im Lande. In den alten Gemäuern unweit der Plaza Mayor
von Madrid gingen neben vielen anderen bekannten Schülern Schriftsteller
wie Lope de Vega, Francisco Quevedo, der Dichter Antonio Machado, die
Literaturnobelpreisträger Jacinto Benavente oder Camilo José Cela oder der
französische Autor Victor Hugo zur Schule.
Das San Isidro mit seinen 1.400 Schülerinnen und Schüler und rund 100
Lehrerkräften ist altehrwürdig, aber dennoch modern. Es gibt hier eine
Gleichstellungsgruppe, die sich um die Gleichbehandlung der Geschlechter
und die Toleranz in Sachen sexueller und geschlechtlicher Diversität
kümmert. Egal ob der Frauentag am 8. März, der Tag gegen häusliche Gewalt
am 27. November oder der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und
Transphobie am 17. Mai, im San Isidro wird dessen gedacht, werden
Veranstaltungsreihen vorbereitet. Gleichheit und Toleranz steht in allen
Fächern ständig auf dem Lehrplan.
Das San Isidro wurde dafür staatlicherseits als Modellschule ausgezeichnet.
Demonstrativ hängt im Treppenhaus von ganz oben im 4. Stock bis hinunter
ins Erdgeschoss eine überdimensionale Regenbogenfahne, das Symbol der
LGBTI-Bewegung.
Auch für Paco Andrés war das San Isidro so etwas wie die Rettung im letzten
Augenblick. Der 21-Jährige, der sich als „queer“ definiert, kommt aus einem
Dorf bei Madrid. Als Homosexueller hatte er es dort nicht leicht. Er
verfiel in Depressionen, brach die Schule ab, musste in Behandlung. Seit
zwei Jahren geht er nachmittags in den Unterricht für Erwachsene, um jetzt
doch noch sein Abitur nachzuholen.
Als er das San Isidro aussuchte, wusste er gar nicht, dass hier die
Gleichstellung und Toleranz gegenüber LGBTI ganz oben auf der Liste der
Werte steht. „Ich kam, weil es einfach eine für ihre Qualität bekannte
Schule ist“, sagt der junge Mann, der mehrere Jahre als Drag Queen im
Madrider Nachtleben gearbeitet hat.
Jetzt gehört Andrés zu den aktivsten Schülern, wenn es um Veranstaltungen
am Tag gegen LGBTI-Phobie geht. Dieses Jahr moderierte er eine
Podiumsdiskussion, an der ein Mathelehrer des San Isidros, eine Beamtin der
Stadtpolizei in Uniform, eine Schauspielerin, eine Trainerin, ein Aktivist
gegen Intoleranz und ein Rapper teilnahmen. Alle berichteten sie über ihre
Erfahrungen als Schwule, Lesben, Queer oder Trans. Hunderte Schüler und
Schülerinnen füllten die Aula, hörten zu, stellten Fragen. Selbst eine
Mutter meldete sich zu Wort und bat um Rat, wie sie mit „ihrer Kleinen“
umgehen solle, die sich plötzlich mit 15 Jahren als Junge definiert.
„Egal wer du bist, egal wie du dich definierst, hier wirst du so gut wie
keine Probleme haben“, berichtet Andrés von seinen Erfahrungen an der
Schule. „Und wenn doch einmal etwas vorfällt, dann schreiten die Vermittler
der Gleichstellungsgruppe ein.“ Naiara Olivar (14) und Lucia Moreno (13)
gehören zu diesen VermittlerInnen. Sie gehen in die Mittelstufe und sind
zwei von rund 40, die bei Streitigkeiten schlichten. „Es geht oft um
Machismus im Kleinen oder um homophobe Beleidigungen“, erklärt Olivar.
Die Beteiligten werden dann zusammen in einen Raum gebeten und dort wird
geredet, bis es zu einer Einigung kommt. Das funktioniere gut, es gebe
immer weniger Klagen, berichten die beiden Mädchen und ziehen einen
Vergleich mit anderen Bildungseinrichtungen. Bei ihnen in den Stadtteil
seien an den dortigen Schulen, auf die ihre Freundinnen gehen, Mobbing und
Beleidigungen in den sozialen Netzwerken an der Tagesordnung. „Solche
Probleme, oder etwa Schlägereien gibt es bei uns nicht“, sagt Moreno.
Elizabeth Luna, die mittlerweile an der Sorbonne-Universität in Paris
studiert, war eine der ersten Trans-Personen am San Isidro. Sie kam mit 14,
nachdem sie es auf ihrer katholischen Stadtteilschule nicht mehr
ausgehalten hatte. „Es waren sehr gute Jahre für mich“, berichtet sie. Als
eine Art „Oase“ hat sie das San Isidro in Erinnerung: „Ich habe dort sehr
gute Jahre verbracht. Die Beziehung zu Schülern und Lehrern war
ausgezeichnet. Dank dem San Isidro hatte ich eine normale Jugend.“ Sie war
Vertreterin im Schulrat, Leiterin der Klassensprecher und Vorsitzende der
Studierendenversammlung.
Die Jugend im Freiraum San Isidro habe ihr „geholfen, mich zu entwickeln
und stark genug zu sein, um alleine in ein anderes Land zu gehen“, fügt sie
hinzu. „Sicher, ich habe das Privileg, kein sichtbarer Transsexueller zu
sein und ein mehr oder weniger normatives Erscheinungsbild zu haben.
Deshalb leide ich in meinem Alltag nicht an Transphobie.“ Die Erfahrung an
der Universität sei dennoch nicht leicht.
Da Luna ihren Namen nicht hat offiziell ändern lassen, stehe sie nun nicht
mehr – wie im San Isidro – mit Elizabeth auf den Listen. An der Uni in
Paris werde sie nun wieder erst mal mit ihrem offiziellen Namen
angesprochen. In ihrer freien Zeit schreibt und veröffentlicht sie
Kurzgeschichten und diesen Sommer wird ihr erstes Theaterstück auf einer
der bekanntesten experimentellen Bühnen Madrids zu sehen sein. Der Titel:
„Und der Körper wird zum Namen“. Elizabeth Luna spielt darin selbst die
Hauptrolle.
Es sind Lehrer wie Ángel García, die Schülerinnen und Schülern wie Marco
Antonio Theis, Paco Andrés oder Elizabeth Luna bestärken, offen zu ihrer
Identität zu stehen. Der 29-jährige Mathelehrer ist „bekennender Schwuler�…
wie er das nennt. Und er ist nicht der einzige an der Schule. „Rund 15
Prozent der Lehrkräfte sind ganz offen LGBTI“, sagt er. Immer wieder kämen
Jugendliche auf ihn zu, um Rat zu suchen.
Auch er lobt die allgemeine Toleranz an der Schule. Nach einer kurzen Pause
fügt er dann hinzu: „Die Schülerinnen und Schüler sind sicher toleranter
als so mancher Lehrer oder Lehrerin. Zum Beispiel sind wir angehalten,
immer inklusive Sprache zu nutzen. Das sehen bei Weitem nicht alle ein.“
## Erfolg im Kampf gegen „Genderterrorismus“
„Den ersten Trans-Schüler hatten wir vor fünf Jahren“, erinnert sich Mari…
Villalba. „Wir hatten damals schon ein Programm für sexuelle Diversität und
damit einen guten Ruf in der homosexuellen Gemeinschaft.“ Die 56-jährige
Villalba ist die psychopädagogische Beraterin am San Isidro und begleitet
seit sechs Jahren die Gleichstellungs- und Vermittlergruppe. „Heute sind es
13 Transschüler und -schülerinnen, die sich geoutet haben.“
Das San Isidro ist die Referenzschule schlechthin in der LGBTI-Gemeinschaft
und damit Vorbild für andere Schulen in der Region Madrid. Wenn die
konservative Regionalverwaltung etwa Broschüren zur Gleichstellung und
gegen sexualisierte Gewalt druckt, werden diese genau gelesen. Die letzte
ergänzte die Gleichstellungsgruppe mit einem Beilegeblatt zu sexueller und
geschlechtlicher Diversität.
Seit den Wahlen Ende Mai fürchtet Villalba jedoch um ihr Schulprojekt, das
bisher von der nun abgesetzten linksalternativen Bürgermeisterin Manuale
Carmena mit Subventionen für Seminare und einer Teilzeitstelle für einen
Sozialarbeiter unterstützt wird. Stattdessen [1][regiert nun ein
konservativer Bürgermeister, der mit den Stimmen der rechtsextremen Partei
Vox gewählt worden ist]. Und die möchte laut ihrem Wahlprogramm unbedingt
alle Subventionen für LGBTI- und Gleichstellungsprojekte beenden. Jüngst
forderten sie die Herausgabe aller Namen, die an Schulen
Informationsveranstaltungen abgehalten haben.
Einen Erfolg im Kampf gegen den „Genderterrorismus“ hat Vox schon erreicht:
die „Reform“ des Gesetzes gegen LGBTI-Phobie, das die Regionalregierung von
Madrid 2016 beschlossen hat. Nun wird es gestutzt, darauf einigten sich
vergangene Woche konservative Volkspartei (PP), liberale Ciudadanos und
Vox. Das Dreierbündnis wird künftig auch in der Region paktieren.
Für die Vorzeigeschule San Isidro sind das schlechte Neuigkeiten. Und viele
fürchten, dass noch mehr folgen werden. So warnt Betreuerin Marisa
Villalba: „Uns droht ein totaler Rückschritt“.
18 Jul 2019
## LINKS
[1] /Neuer-Buergermeister-in-Madrid/!5603091
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Madrid
Spanien
LGTBI
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Konversionstherapie
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