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# taz.de -- Dissident über Kubas Regierung: „Eine Maschinerie der Repression…
> Vor drei Jahren wurden in Kuba Antiregierungsproteste niedergeschlagen.
> Der Dissident Manuel Cuesta Morúa kämpft weiter für Wandel.
Bild: Warten auf Hühnerfleisch, das es einmal im Monat gibt: eine Frau in Sant…
taz: Herr Cuesta Morúa, Sie gehören zu den bekannten Dissidenten in Kuba
und haben auch nach der Niederschlagung der [1][Proteste vom 11. Juli 2021]
weitergemacht. Wofür treten Sie ein?
Manuel Cuesta Morúa: Wir treten für die Schaffung von Freiräumen von unten
ein, für die Demokratisierung Kubas aus einer Perspektive der
Menschenrechte und des Rechtsstaats und einer sozialdemokratischen Vision.
Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Dinge nur in Kuba und nicht
von außerhalb ändern lassen. Deshalb lebe ich hier und engagiere mich in
Havanna und spiele nicht mit dem Gedanken, wie so viele andere ins Ausland
zu gehen.
Woher nehmen Sie Ihren Optimismus nach der Kriminalisierung des Protests im
Anschluss an den 11. Juli 2021 und der [2][Unterbindung des Marsches für
den politischen Wandel in Kuba] am 15. November 2021?
Die Regierung agiert totalitär, sie kontrolliert das öffentliche Leben und
agiert aus einer patrimonialen Perspektive – als hätte sie dieses Land von
ihren Vorgängern geerbt. Das fördert nicht gerade die Bereitschaft zum
Zuhören und zur Auseinandersetzung mit der Bevölkerung. Die Regierung hat
eine überaus mächtige und omnipräsente Maschinerie der Repression
aufgebaut. Es gibt aus meiner Perspektive derzeit einen schwachen Arm, der
die Nation ernährt, und einen muskulösen Arm, der sie unterdrückt. Das
sorgt für enorme Widersprüche. Deshalb bleiben die Proteste nicht aus, wie
in Santiago de Cuba, wo am 17. März Hunderte auf die Straße gingen, um
friedlich gegen Stromabschaltungen und Mangelversorgung zu protestieren –
meist Jugendliche, die erst nach dem Beginn dieses Jahrtausends geboren
wurden und kaum etwas anderes kennen als die permanente ökonomische Krise.
Die Zahl dieser Proteste nimmt zu, aber sie scheinen wenig Erfolg zu haben.
Was ist Ihre Strategie?
Wir verfolgen die Vision des demokratischen Wandels innerhalb der
bestehenden legalen Strukturen. Wir versuchen, die Freiräume und Optionen
zu nutzen, die die Verfassung Kubas von 2019 bietet. Die Verfassung wurde
verabschiedet, um Kuba nach außen als demokratisches Land zu präsentieren,
obwohl es nach wie vor totalitäre Strukturen hat. Die Verfassung bietet
Optionen, die wir versuchen einzuklagen. Das sind langwierige Prozesse,
denn oftmals gibt es keine Vorgaben für die Umsetzung von Dingen wie dem
Recht auf Demonstration oder eines Referendums.
Warum glauben Sie, dass das funktionieren könnte?
Die Gesellschaft demokratisiert sich, trotz der repressiven Strukturen.
Heute sind die Kubaner:innen besser informiert, besser vorbereitet für
einen demokratischen Wandel, sie kritisieren, protestieren anders als
früher. Das ist ein Fortschritt. Kuba ist zwar eine Insel, aber durchaus
vernetzt. Jede und jeder hat heute ein Mobiltelefon. Früher gab es immer
wieder Leute, die uns sagten, wir teilen deine Ansichten, aber ich scheue
die Konsequenzen, wenn ich mich zu euch bekenne. Das ändert sich. Die Leute
sind müde, frustriert, aber für viele ist klar, dass sich etwas ändern
muss. Aber wir haben weiterhin eine schwache und systematisch geschwächte
Zivilgesellschaft, die wenig weiß über bestehende Gesetze und Optionen, die
die Verfassung bietet. Das versuchen wir zu ändern.
Aber erkennt die Regierung Kubas die eigene Verfassung an? Als am 15.
November 2021 die Aktivist:innen der Facebook-Gruppe Archipiélago zum
friedlichen Marsch für den politischen Wandel auf der Insel aufriefen und
versuchten, diesen Marsch offiziell anzumelden, war das unmöglich.
Das stimmt. Bei vielen Kubaner:innen ist nicht angekommen, dass die
Verfassung ihnen das Demonstrationsrecht zubilligt. Der Artikel 56 ist
eindeutig: „Das Recht auf Versammlung, auf Demonstration und Vereinigung
mit legalen und pazifistischen Zielen erkennt der Staat an“, heißt es da.
Darauf berufen wir uns, genauso wie auf die Erfahrung des Proyecto Varela,
das zur Jahrtausendwende dreimal mehr als die 10.000 Stimmen für ein
Referendum über die politische Zukunft der Insel sammelte. Damals wurde das
politische Projekt mit dem Argument ausgebremst, dass die Unterschriften
der Menschen notariell beglaubigt sein müssten. An diesem Punkt setzen wir
an, sammeln ebenfalls Stimmen für den politischen Wandel – und lassen die
beglaubigen.
Aber wer gibt Ihnen die Sicherheit, dass die Regierung von Miguel
Díaz-Canel das auch respektieren wird?
Gute Frage, wir berufen uns auf die Verfassung des Landes und haben das
Recht auf unserer Seite. Und wenn 100.000 vom Wahlrat akzeptierte
Unterschriften vorliegen, dann kann die Regierung das nicht mehr einfach
ignorieren und die Menschen auch nicht kriminalisieren.
Zumindest in der Theorie …
Genau, die Kriminalisierung von friedlichen Demonstrant:innen wie in
Santiago im Anschluss an die Proteste vom 17. März hat zumindest rechtlich
keine Basis. Da wurden 17 Menschen im Anschluss festgenommen und müssen
sich nun auf einen Prozess einstellen. Das entbehrt jeder rechtlichen
Basis, denn allen Berichten zufolge ist es nicht zu Gewalt gekommen. Es
wurden keine Scheiben eingeworfen, keine staatlichen Läden geplündert.
Derartige friedliche Proteste sind das eine, das andere ist die
Auswanderung Tausender oft junger Menschen, die keine Hoffnung mehr auf
einen Wandel des politischen und ökonomischen Systems haben. Auswanderung
ist das bestimmende Thema in den Straßen Havannas, die Insel verliert ihre
Zukunft und die Regierung reagiert darauf nicht einmal – wie ist das zu
erklären?
Die Regierung und der staatliche Sektor verhalten sich wie eingefroren. Sie
fürchten den Moment, in dem sich große Bevölkerungsgruppen – 100.000, eine
Million oder mehr – offen für den Wandel aussprechen. Sie wissen aber auch
sehr genau, dass der Alltag die Leute auffrisst. Alle sind so mit dem
Besorgen des Lebensnotwendigen beschäftigt, dass für konkrete Aktionen, für
politische Arbeit kaum Zeit bleibt. Zudem dämpft das repressive Vorgehen
der letzten Jahre die Hoffnung, eigene Rechte einzufordern.
Viele Menschen, vor allem jüngere, protestieren nicht mehr, sondern wandern
aus.
Ja, es sind die Rentner der Revolution, die ganz unten in der
Sozialpyramide angekommen sind, die in meiner Nachbarschaft auf den
Bauernmärkten auf den Verkaufsschluss warten, um Lebensmittel günstiger zu
kaufen oder umsonst zu bekommen. Allerdings hat auch die Kriminalität
zugenommen, das Auftauchen von Jugendbanden ist in Havanna und Santiago de
Cuba ein neues Phänomen, dass es früher nicht gegeben hat. Kuba war früher
Synonym für tragfähige soziale Strukturen. Doch sie erodieren immer weiter
– wir sinken auf das lateinamerikanische Niveau herab.
Wie regiert die Regierung, wie Präsident Miguel Díaz-Canel, der 2018 als
Mann des Dialogs gehandelt wurde?
Diese Hoffnungen haben sich zerschlagen. Heute ist klar, [3][dass Miguel
Díaz-Canel als Mann Raúl Castros an die Macht gekommen ist] – er hat weder
die Macht noch die Unterstützung von oben, einen Dialog zu initiieren.
Heute ist er dafür auch nicht mehr der richtige Mann.
Weil er nicht mehr glaubwürdig ist?
Genau, seine Reden erinnern an die 1980er Jahre. Die Leute winken ab, vor
allem die Jugend. Sie können nicht mehr hören, wer für die Probleme in Kuba
angeblich verantwortlich ist und Miguel Díaz-Canel wird als Vertreter eines
repressiven Flügels wahrgenommen.
Stehen Sie auch unter Beobachtung, dürfen Sie ausreisen oder nicht?
Ja, ich stehe unter Beobachtung und bin regulado, darf nicht ausreisen.
Mein Name steht auf einer Liste von Menschen, denen das Recht auszureisen
vorenthalten wird.
Trauen Sie sich eine Prognose für die kommenden Jahre zu?
Ich gehe davon aus, dass in den nächsten zwei, drei Jahren strukturelle
Reformen kommen werden. Allerdings nicht mit dieser Regierung, die
ausgelaugt wirkt, ihre Glaubwürdigkeit verloren hat, wofür auch die
Absetzung des Finanzministers wegen Korruption vor einigen Wochen steht,
aber mit einer Folgeregierung. Ich halte es für wahrscheinlich, dass der
derzeitige Staatschef Miguel Díaz-Canel spätestens auf dem nächsten
Parteikongress abgelöst wird.
Kann man so lange warten angesichts der Auswanderung von 600.000
Kubaner:innen allein in die USA zwischen dem November 2021 und dem
Januar 2024?
Die aktuelle Krise ist für viele gravierender als die zu Beginn der 1990er
Jahre, als sich das sozialistische Lager auflöste. Aber der Druck scheint
nicht auszureichen, um die Herrschenden zum Agieren zu zwingen. Zumindest
habe ich den Eindruck.
Aber angesichts dieser Auswanderungszahlen verspielt die politische Führung
doch auch die eigene Zukunft?
Ja, aber sie verfolgt eine Perspektive des Machterhalts. Sie denkt nicht
an die gesellschaftliche Zukunft.
15 Jul 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Daniel Diverso
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