| # taz.de -- Die Wahrheit: Kopfnüsse für Arschlöcher | |
| > Noch immer werden ethisch Herausgeforderte gesellschaftlich | |
| > benachteiligt. Ein spezielles Gesetz soll das nun ändern. | |
| Bild: Nicht alle moralischen Andersbegabungen sind kennzeichnungspflichtig. | |
| Dass es sich bei chronisch rücksichtslosem Verhalten um eine | |
| diagnostizierbare geistig-seelische Beeinträchtigung handelt, wird | |
| hierzulande von den wenigsten anerkannt. Auch die Betroffenen selbst | |
| betrachten sich oft nicht als behindert. Dabei sehen sich sozial | |
| ungewöhnlich Agierende mit einer Reihe von gesellschaftlichen Problemen | |
| konfrontiert. Nun wurde das Antidiskriminierungsgesetz um den sogenannten | |
| „Arschloch“-Paragrafen erweitert. Der Kampf gegen die Herabsetzung von | |
| ethisch herausgeforderten Menschen hat damit allerdings gerade erst | |
| begonnen. | |
| Sie verwenden online Grußformeln wie „Mögest du von aidskranken Asylnegern | |
| vergewaltigt werden“, hinterziehen Steuern in Hunderterhöhe, pfeifen auf | |
| Mülltrennung, verstecken Rasierklingen in Halloween-Süßigkeiten und parken | |
| scheinbar widerrechtlich auf Behinderten-Parkplätzen – Menschen, die | |
| landläufig als „Arschlöcher“, „Vollnazis“ oder „Fickfehler“ bezei… | |
| werden. Damit soll nun Schluss sein, wie eine zum 1. Januar 2017 | |
| verabschiedete Novelle des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes | |
| formuliert. | |
| Federführend für die Gesetzeserweiterung waren die Veröffentlichungen der | |
| Heidelberger Psychologieprofessorin Heide Jäckl. Seit zwei Jahrzehnten | |
| forscht die heute 57-Jährige auf dem Gebiet „soziale | |
| Teilleistungsstörungen“ und konnte bereits 2009 in einer | |
| Moralisch-Doppel-Blind-Langzeitstudie nachweisen, dass es sich bei | |
| asozialem Verhalten und den damit verknüpften Ansichten um Symptome einer | |
| sozialen Behinderung mit erblicher Komponente handelt. Seitdem kämpft die | |
| Wissenschaftlerin gegen die Diskriminierung moralisch Andersbegabter, kurz | |
| MAB. | |
| „Wir gehen von einem ethischen Standard aus, den MAB nicht leisten können“, | |
| sagt Jäckl. Laut der Psychologin sind die hohen moralischen Anforderungen | |
| im 21. Jahrhundert schon für viele normal Begabte eine Herausforderung. | |
| „Weil sich die Mehrheit auf die Gültigkeit universeller Menschenrechte | |
| geeinigt hat“, so Jäckl, „dürfen MAB anziehenden Frauen nicht auf den | |
| Hintern und nölenden Kindern nicht ins Gesicht schlagen, ohne dass es | |
| sofort großes Geschrei gibt. Ja, in vielen Zusammenhängen gilt bereits ein | |
| daher gesagtes ‚Fotze‘ oder ein nicht regional gekaufter Apfel als | |
| gesellschaftlicher Fauxpas mit nachhaltigen Folgen.“ | |
| ## Selbsthilfegruppe „PI-News“ | |
| In einer mehr und mehr vom Über-Ich beherrschten moralischen | |
| Leistungsgesellschaft würden selbst harmlose Gedankenspiele über | |
| „Kopftuchmädchen“, die zu viele minderbemittelte Kinder „produzieren“ … | |
| damit Deutschland abschaffen, längst nicht mehr achselzuckend hingenommen, | |
| sondern zögen einen Rattenschwanz an Interviews, Talkshow-Einladungen und | |
| millionenschweren Buchveröffentlichungen nach sich. Gleichzeitig würden | |
| Online-Hilfsangebote wie die Blogs „Pi-News“, „Breitbart“ oder „Der k… | |
| Akif“ noch immer nicht staatlich subventioniert. Stattdessen müssten sich | |
| solche Websites, auf denen sich moralisch Andersbegabte einmal anonym | |
| austoben könnten, durch Werbeanzeigen, Spenden und viel ehrenamtliche | |
| Arbeit über Wasser halten. | |
| Jäckl sieht durchaus Parallelen zur „klassischen Behindertenbewegung“: „… | |
| wie es für Gehbehinderte erst nach langen Kämpfen zunehmend barrierefreie | |
| Räume gab, müssen wir solche Räume auch für MAB schaffen. Und zwar auch | |
| jenseits von Rockerclubs, Kindergärten, Schulen, Universitäten, | |
| Krankenhäusern, Behörden, Ämtern, Betrieben, Parteien, Vereinen, | |
| Kleinfamilien und organisierten Fernreisen.“ | |
| ## Geringe Heilungschancen | |
| Der Psychologin ist es wichtig zu betonen, dass kein MAB dem anderen | |
| gleicht: „Abgesehen von ihrer Behinderung sind ethisch Herausgeforderte | |
| sehr unterschiedlich. Es gibt unter ihnen kluge, dumme und durchschnittlich | |
| Intelligente. Sie finden MAB unter den kleinen Drogendealern im Stadtpark | |
| ebenso wie unter Millionärsgattinnen oder den Präsidenten der USA. Die | |
| Diagnose ‚MAB‘ betrifft Konservative wie Alice Schwarzer genauso wie | |
| Sozialisten wie François Hollande.“ | |
| Die Gesetzesnovelle ist für Jäckl ein Anfang. Es sei wichtig, MAB nicht wie | |
| bisher als Fieslinge zu beschimpfen, sondern ihre Behinderung als | |
| verhaltensoriginelle Bereicherung zu begreifen, zumal die Heilungschancen | |
| ziemlich gering seien. „Die hierfür nötige Krankheitseinsicht ist bei MAB | |
| oft nicht vorhanden“, gibt die Psychologin zu Protokoll. „Sie halten sich | |
| in der Regel für gesund und alle anderen für behindert, was in ihrer Sicht | |
| häufig ‚minderwertig‘ oder ‚lebensunwert‘ bedeutet. Sie kennen ja den … | |
| mit dem Autofahrer, der Radio hört: Achtung, Achtung, auf der A7 kommt | |
| Ihnen ein Geisterfahrer entgegen. Sagt der Autofahrer: Was heißt hier | |
| einer? Ganz viele!“ | |
| Dennoch ist Jäckl verhalten optimistisch: „Auf moralisch Herausgeforderte | |
| wirken sich Wertschätzung, Zuneigung, eine sinnvolle Betätigung und ein | |
| Platz mitten in der Gesellschaft positiv aus. Auf ihr Umfeld allerdings | |
| weniger.“ Hilfreich seien für die Betroffenen darüber hinaus kalte Wickel | |
| und Kopfnüsse. | |
| 10 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Anselm Neft | |
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