Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Heimkehren ins Nicht-Wort
> Wer beim Thema Weltverschwörung die Massen erreichen will, schafft das
> nur in einer Blase mannigfaltiger Sichtweisen.
Unlängst fand in Stuttgart der „Erste große Kopp-Kongress“ statt. Neben
bekannten Rednern aus dem Spektrum alternativer Sichtweisen, trat zum
ersten Mal ein junger Religionswissenschaftler öffentlich in Erscheinung.
Der Szene-Neuling sagte nicht nur verblüffend genau den diesjährigen
Empfänger des Friedensnobelpreises voraus, er demonstrierte einem endlich
wachgerüttelten Publikum, wer – oder genauer was – hinter der größten
Verschwörung des Universums steckt. Hier der Exklusivbericht des Novizen
für die Wahrheit.
Die nüchtern anmutende Halle auf dem Stuttgarter Messegelände ist gut
gefüllt: Fast 800 Menschen haben sich zum ersten Kongress von Kopp
eingefunden. Der Verlag mit Sitz in Rottenburg am Neckar spezialisiert sich
seit Mitte der neunziger Jahre auf Nicht-Mainstream-Sichtweisen und ist
entsprechend umstritten.
Neben alternativen Barbecue-Bibeln wie „Dutch Oven – Kochen über Offenem
Feuer“ oder der extrem haltbaren „Sturmkanne“ Kelly Kettle führt der Ver…
auch ein Buch wie „Beuteland“. Darin wird Deutschland als beständig von den
Siegermächten geplünderter Vasallenstaat beschrieben. Das schmeckt
natürlich nicht jedem.
Udo Ulfkotte, der studierte Politkriminologe und hochproduktive Kopp-Autor,
steht jetzt am Rednerpult. Es ist immer einfach, sich in der
Gedanken-Matrix der Sieger einzurichten und auszublenden, dass man nur ein
ausgebeuteter Sklave ist. Ulfkotte ist solche Bequemlichkeit jedoch ebenso
fremd wie Furcht vor dem scheinbar übermächtigen Feind: „Wer die Fackel der
Wahrheit durchs Gedränge trägt“, sagt er weihevoll, „der kann nicht umhin,
dem einen oder anderen den Bart zu versengen.“ Ulfkotte zeigt in Büchern
wie „SOS Abendland – die schleichende Islamisierung“ (2008) oder „Mekka
Deutschland – die stille Islamisierung“ (2015), welche Bärte er genau damit
meint.
Wir notieren gerade Ulfkottes nachdenklich stimmende Ausführungen über die
Verdrängung der Deutschen durch Muslime und fragen uns, wie das dem
Weltjudentum nutzen könnte, als unser Handy klingelt. Die Redaktion. „Haut
die Idioten schön in die Pfanne“, dröhnt es aus der Chefredaktion. „Wenn
ihr neutral berichtet, kommt der Text höchstens auf die Satire-Seite.“ Wir
schlucken. Die ewige Zwickmühle der Journalisten: Schreiben sie die
Wahrheit, werden sie nicht gedruckt, schreiben sie, was gewünscht wird,
wachsen Selbsthass und die Kosten für Alkohol und andere Rauschmittel.
## Nicht so hackedicht wie die vom Spiegel
Wir für unseren Teil begeben uns erst einmal zur Bar und genehmigen uns ein
frisch gezapftes, gepflegtes Bier. Dann einen Wein. Hochprozentiges gibt es
leider nicht. Ein schwacher Trost: Wir saufen noch lange nicht so viel wie
die Kollegen vom Spiegel. Die wären um die Uhrzeit schon hackedicht und
würden nur noch Pointen in ihre Smartphones gackern. Saufen und einmal im
Monat bei der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrecht anrufen – quo
vadis Journalismus?!
Die Mehrheit geht den bequemen Weg, und es ist immer bequem, sich über
Menschen lustig zu machen, die aus der Konsens-Trance der Masse
ausgestiegen sind. Wer an der Sache mit der Mondlandung etwas fischig
findet, gilt als Hinterwälder, wer spekuliert, ob 9/11 nicht mal wieder ein
CIA/Mossad-Inside-Job gewesen ist, der wird als neurotischer
Modernisierungsverlierer pathologisiert. Kein Wunder, dass sich Menschen
mit andersgeartetem Wirklichkeitszugang ausgegrenzt fühlen. Es ist leicht
über Sex mit Außerirdischen zu lachen, wenn man ihn selbst noch nicht
erlebt hat.
Ich als junger Religionswissenschaftler komme in einem etwas zu eng
wirkenden Cordanzug auf die Bühne. Auch die eckige Hornbrille lässt mich
nicht unbedingt seriös wirken. Es braucht jedoch nur wenige Sätze und ich
habe die ungeteilte und volle Aufmerksamkeit der Anwesenden: „Lassen Sie
mich einmal ganz schonungslos beginnen“, sage ich und schaue kurz von
meinem Textblatt auf: „Wir Alternativforscher – und damit spreche ich für
viele hier – werden belächelt, verächtlich gemacht, ausgegrenzt und
bekämpft. Es ist bizarr: Junge Menschen, die Fächer wie
Animal-Gender-Rights-Studies belegen und Proseminare besuchen mit Titeln
wie ,Mann, Frau, Kind, Tier, Gott – akzidentielle Übergänge oder
existenzielle Setzungen?', die schauen auf uns Ältere herab, nur weil wir
Dinge in Frage stellen. Die protestieren gegen Chlorhühnchen, aber halten
uns für bekloppt, wenn wir über Chemtrails spekulieren.“
Anerkennendes Raunen und Nicken bei vielen. „Natürlich wird auch der
nächste Friedensnobelpreis an einen Echsen-Gestaltwandler gehen, um uns
Sand in die Augen zu streuen.“ Und tatsächlich wird es später der
kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos.
## Babylonian Brotherhood
Das Raunen in der Menge wird lauter. Ich warte, bis es still wird, dann
sage ich: „Die wichtigste Frage aber wird meist gar nicht gestellt: Wer
kontrolliert die Reptiloiden und damit ihre Babylonian Brotherhood? Und
womit kontrollieren sie euch?“ Angespannte Stille. „Ihr spürt die
dämonische Kraft im Internet, beim Lesen von Zeitschriften und Büchern,
auch im Gespräch. Ja, auch jetzt.“ Wieder Stille. Dann endlich lasse ich
die Katze aus dem Sack: „Es ist die Sprache. Worte sind Organismen, Viren
aus den Tiefen des Alls, die sich zu einem Mega-Meta-Virus
zusammenschließen und unsere Gedanken beherrschen.“
Mir stockt der Atem. Ich sehe: Die Botschaft ist angekommen, wenn auch
leider durch Worte. Was nun? „Ihr müsst in die Unsprache zurückkehren“,
raune ich betroffen, „heimkehren ins Nicht-Wort. Hört jetzt auch nicht mehr
auf mich. Lest nichts mehr, sagt nichts mehr, denkt nur noch in Bildern.
Total shut down!“
Schweigend verlassen Männer mit Funktionsjacken und Frauen mit
Survivalgesichtern die Halle. Am Ausgang steht der Autor „Jan van Helsing“
(„Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“) und bietet den
Geprüften sein neues Buch an: „Bevor du dich erschießt, lies dieses Buch.“
Viele wollen dankbar zugreifen, doch dann zucken ihre Hände zurück. Gut so.
31 Oct 2016
## AUTOREN
Anselm Neft
## TAGS
Verschwörungsmythen und Corona
Wissenschaftler
Esoterik
Kopp Verlag
Rechtspopulisten
Religion
US-Wahl 2024
Nazis
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Kopfnüsse für Arschlöcher
Noch immer werden ethisch Herausgeforderte gesellschaftlich benachteiligt.
Ein spezielles Gesetz soll das nun ändern.
Die Wahrheit: Glasklar und nüchtern
Nach dem staunenerregenden Facebook-Post eines 29-jährigen Laien müssen
sämtliche Weltreligionen als endgültig widerlegt gelten.
Die Wahrheit: Allerletzte Hoffnung
Alle fürchten sich inzwischen vor dem republikanischen
Präsidentschaftskandidaten. Kann nur Deutschland die Welt vor Donald Trump
retten?
Die Wahrheit: Bei Kubi und Kosi
Die Wahrheit-Homestory: Ein Besuch bei Deutschlands stilvollstem
Faschisten-Paar Götz Kubitschek und Ellen Kositza auf dem Rittergut
Schnellroda.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.