# taz.de -- Die Folgen der Kriegskredite der SPD: Hundert Jahre im Bruderkrieg | |
> 1914 sagte die SPD Ja zum Krieg. Es folgte die Spaltung der | |
> Arbeiterbewegung. Ist das 2014 noch relevant? Eine Spurensuche bei SPD | |
> und Linkspartei. | |
Bild: Die Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Beide scheiterten 191… | |
Gregor Gysi sitzt im sechsten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses. Von dort | |
schaut man auf den Reichstag, wo Hugo Haase am 4. August 1914 das Ja der | |
SPD zu Kriegskrediten und dem Krieg des Kaisers begründete. Das ist lange | |
her. Es ist vergessen, überblendet von dem, was folgte: Hitler, DDR, | |
Wiedervereinigung. Und Gysi hat eigentlich Wichtigeres zu tun, als über den | |
4. August 1914 nachzudenken. | |
Aber nicht nur topografisch hat das Ja der SPD vor hundert Jahren auch | |
etwas Nahes. Denn damit begann das epochale, blutige Zerwürfnis der | |
deutschen Arbeiterbewegung. 1917 spaltete sich die linkspazifistische USPD | |
ab, aus der 1918 die KPD hervorging, der Urahn der Linkspartei. | |
Gysi erinnert sich an Freunde seiner Eltern, die den „Verrat“ der SPD 1914 | |
noch erlebt hatten. Verrat, das war die kommunistische Vokabel für das Ja | |
der SPD zum Krieg, der die Bewegung in zwei verfeindete Kirchen spaltete. | |
Das letzte, harmlose Echo dieses Bruderkrieges ist 2014 das gestörte | |
Verhältnis von SPD und Linkspartei. Damit hat Gysi dann doch etwas zu tun. | |
Die SPD-Netzwerker haben ihn gerade wieder ausgeladen. Eine Folge der | |
Krimkrise, in der die Linkspartei mal wieder der bad guy ist. Für | |
Rot-Rot-Grün sieht es mal wieder gar nicht gut aus. Dabei wäre Rot-Rot-Grün | |
2017 nicht nur krönendes Finale von Gysis politischer Biografie. Es wäre | |
auch Symbol für das Ende der Selbstblockade der deutschen Linken, die auch | |
ein Resultat des 4. August 1914 ist. | |
## Kapitulation der Sozialdemokratie | |
Helga Grebing ist 83 Jahre alt, klein und wirkt irgendwie kompakt. Sie | |
steht vor ihrem übervollen Bücherregal in ihrer Wohnung in | |
Berlin-Charlottenburg. Grebing ist Historikerin, Sozialdemokratin und hat | |
sich ein halbes Jahrhundert mit der SPD befasst. Ende der 40er Jahre floh | |
sie vor der SED nach Westberlin. Sie hat etwas Resolutes an sich. Grebing | |
berlinert, das verstärkt den Eindruck des Zupackenden noch. | |
Beim Thema SPD und 1914 klingt Grebing verhalten, differenziert. „Die | |
Sozialisten haben 1914 überall klein beigegeben, auch in Paris und London“, | |
sagt sie. Es war eine komplizierte Lage damals. | |
Ende Juli 1914 herrschte in der SPD Verwirrung. Auch Rosa Luxemburg, damals | |
noch Sozialdemokratin, später Mitbegründerin der KPD, war am 28. Juli noch | |
sicher, dass „die deutsche Regierung nicht kriegsbereit“ ist. Doch mit der | |
russischen Mobilmachung am 31. Juli kippte die Stimmung abrupt: | |
Hunderttausende Sozialdemokraten, die ein paar Tagen zuvor noch gegen den | |
imperialistischen Krieg protestiert hatten, zogen willig an die Front. | |
Wie das? | |
Das Nein der SPD zum Krieg verdampfte innerhalb von Stunden, weil man | |
glaubte, die Heimat gegen den Zarismus schützen zu müssen. Russland | |
verkörperte damals alles, was Arbeiterbewegung und aufgeklärtes Bürgertum | |
verachteten: Es war reaktionär, imperial, rückständig. Das klingt 2014 | |
nicht ganz unvertraut. | |
## Lektion gelernt? | |
Ein Freitagabend im Deutschen Historischen Museum. Frank-Walter Steinmeier | |
diskutiert mit Historikern über 1914. Eliten, Militär und Diplomatie hätten | |
damals versagt, sagt der SPD-Außenminister. Heute gehe man bei Sanktionen | |
gegen Russland viel geschickter vor. Lektion gelernt – also alles bestens. | |
Über seine Partei sagt Steinmeier nichts. | |
Das ist nicht untypisch. Als die SPD im vergangenen Jahr ihren 150. | |
Geburtstag feierte, fiel kein einziges Wort über die Kriegskredite. „Es | |
gibt in der Partei“, sagt die Historikerin Grebing, „da eine schamhafte | |
Verlegenheit“. | |
Peter Brandt ist Historiker und Sohn von Willy, dem berühmtesten | |
Sozialdemokraten. „Der Burgfrieden war ein Fehler“, sagt er. Aber es war, | |
gibt er zu bedenken, nicht nur Rosa Luxemburg, die Nein zum Krieg sagte und | |
deshalb aus der SPD ausgeschlossen wurde. Auch Eduard Bernstein, | |
Theoretiker des Reformismus, wechselte zur kriegskritischen USPD. Brandt | |
wägt seine Worte, rollt Argumente hin und her, bis sie rund und abgewogen | |
sind, um Kurzschlüssiges zu vermeiden. Viele in der SPD, sagt er, „wollten | |
das Stigma des vaterlandslosen Gesellen abstreifen“. Eine Illusion. 1918 | |
kehrte dieser Vorwurf als Dolchstoß-Legende noch bösartiger zurück. | |
Die Burgfriedenspolitik, die Unterstützung des Krieges des Kaisers, ist die | |
Nachtseite der SPD-Erfolgsgeschichte vom Aufstieg der entrechteten Arbeiter | |
ins Kleinbürgertum. Deshalb ist es der SPD peinlich, daran erinnert zu | |
werden. | |
## Wo war Lenin? | |
In Diether Dehms Abgeordnetenbüro hängen viele Bilder, Zeitungsausschnitte, | |
Fotos, auf denen er zu bewundern ist. Eine Montage in einer Ecke zeigt ihn | |
mit Che Guevara und Brecht. Ein Mangel an Selbstbewusstsein ist nicht das | |
Problem von Diether Dehm. | |
Er war bis 1998 in der SPD, 33 Jahre lang. In der Linkspartei zählt er nun | |
zum Fundiflügel, der die SPD zu hassen liebt. Er zieht an seiner Zigarre | |
und sagt: „Ein Teil der deutschen Arbeiterschaft wollte im August 1914 | |
endlich dazugehören. Was damals fehlte, war eine Führung wie Lenin oder | |
Bebel.“ Ob Lenin die SPD gerettet hätte, mag man bezweifeln. | |
Für Dehm führt eine Linie von 1914 bis ins Heute. „Eine unanständige | |
Entscheidung zieht unanständige Charaktere nach sich“, sagt er. Zu einem | |
SPD-Spitzenpolitiker fällt ihm ein Adjektiv ein, das er lieber doch nicht | |
gedruckt sehen will. Um so heller leuchtet für Dehm das Licht von Rosa | |
Luxemburg, die er in intimer Ansprache nur „Rosa“ nennt. Auch Karl | |
Liebknecht, der im Dezember 1914 als erster im Reichstag mit Nein stimmte, | |
umrankt Größe: „Diese Einsamkeit beim ’Nein‘ adelt ihn für alle Zeit�… | |
Dehm. | |
Brandt sieht das kühler. „Liebknecht ist für die Linkspartei eine | |
Luther-Figur, die sagt: Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Und damit | |
das Schisma moralisch begründet. | |
## Der Burgfrieden der SPD | |
Franz Walter ist seit 42 Jahren SPD-Mitglied. Der Politikwissenschaftler | |
ist einer der eloquentesten Analytiker der Partei, deren Dilemmata er genau | |
beschreibt. „Der Burgfrieden“ sagt er, „hat die SPD mehr geprägt, als sie | |
es wahrhaben will.“ | |
Am 4. August 1914 erklärte Parteichef Hugo Haase im Reichstag, seine SPD | |
werde „das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich zu lassen“. | |
Die bürgerlichen Fraktionen, Zentrum, Liberale, Konservative applaudierten | |
frenetisch. Das war, so Walter scharfzüngig, „einer der wenigen glücklichen | |
Moment in der Geschichte der SPD“. Endlich dabei sein. Und es war noch mehr | |
– eine tragische Pointe. Haase, deutscher Jude, linker SPD-Mann, hatte | |
vergeblich gegen das Ja zum Krieg gestritten. Er sah, was kam. Und stimmte | |
aus Parteidisziplin zu. | |
1914 bis 1918 hat die SPD, so Walters These, die falsche Lektion gelernt. | |
Die Deklassierten sehnten sich danach, von den Eliten anerkannt zu werden. | |
Und mehr noch. Die Kriegswirtschaft war ein verlockendes Testfeld für die | |
Arbeiterbewegung. Es gab einen starken Staat, der in die Wirtschaft | |
regierte, die Gewerkschaften waren akzeptierte Tarifpartner. Rechte | |
SPD-Leute hielten das für die Vorstufe des Sozialismus. Und das war mehr | |
als Wunschdenken. „Kriege“, sagt Walter, „sind die Lokomotiven des | |
Sozialstaats.“ | |
Aber damals sei „die SPD etatistisch geworden“. 1917 bekämpfte sie wilde | |
Streiks. „Sie fürchtete Chaos, wo keines war“, sagt Walter. Die Partei | |
verinnerlichte die wilhelminische Ordnung, die sie doch ablehnte. Sie wurde | |
übervorsichtig. Seitdem hat sie etwas habituell Unsicheres, das bis ins | |
Heute ragt. Bis zu Gerhard Schröder, der mit Brionianzug und Agenda 2010 | |
etwas beweisen musste. | |
„Das Ja zu den Kriegskrediten war“, sagt Gysi, „der schwerste Fehler, den | |
die SPD je gemacht hat.“ Damit habe sie sich „als Friedenspartei | |
aufgegeben“. Es ist kein Zufall, dass Gysi nicht die Kumpanei der SPD mit | |
den alten Eliten 1918 für den größten Schaden hält. Das Label | |
Friedenspartei reklamiert die Linkspartei für sich. 1914 war ja auch | |
Geburtsstunde des Linkspazifismus. Der ist 2014 vielleicht der letzte, alle | |
Flügel der Linkspartei verbindende Kitt. Und die einzige Wand, die | |
Linkspartei und SPD, zwei im Kern reformistische Parteien, wirklich trennt. | |
SPD und Linkspartei verhalten sich wie Magneten, die sich abstoßen, wenn | |
sie sich nahe kommen. Und es trennt sie sogar ihre gemeinsame Wurzel. | |
28 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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