# taz.de -- Deutschlands erstes Weltkulturerbe: Aachen, Karl und Karlchen | |
> Vor 40 Jahren wurde der Aachener Dom Karls des Großen Weltkulturerbe. | |
> Karl ist Kult in der Stadt. Er bescherte Aachen 1.200 Jahre Wohlstand. | |
Bild: Karl der Große in Gold, aus der Schatzkammer des Aachener Doms | |
Wer Aachen verstehen möchte, der muss hier hinauf in den Dom kommen, findet | |
Kathrin Steinhauer-Tepütt. Mit einem dicken Schlüsselbund öffnet die | |
Historikerin, die über den Aachener Dom und seine Kapellen promoviert hat, | |
ein schweres Eisengitter. Dahinter eine Wendeltreppe rauf auf die Empore | |
des spektakulären Oktogons im Herzen der Stadt, das 1.000 Jahre die | |
Krönungskirche des Heiligen Römischen Reichs war. | |
Unten im Chor mit den 27 Meter hohen Glasfenstern hat Steinhauer-Tepütt | |
vorhin den goldenen Schrein mit Karls Gebeinen gezeigt. Darauf der Kaiser | |
mit seiner Kirche in Händen. Ein Reichseiniger und ein Mann Gottes. Und | |
Steinhauer -Tepütt hat erzählt, wie die Aachener im Gespann mit dem Kölner | |
Erzbischof Rainald von Dassel sich mühten, diesen Karl zum Heiligen zu | |
machen. Allerdings war das von einem illegitimen Papst autorisiert und ist | |
bis heute nicht kanonisches Recht. | |
Lange dachte man, der Dom mit seiner außergewöhnlichen Form sei als reine | |
Pfalzkapelle für den reisenden Frankenkönig und späteren Kaiser entstanden. | |
Doch hier oben auf der Empore erzählt Tepütt von neuesten Forschungen. Die | |
zeigten nicht nur: Der ursprünglich wohl eher schlichte Dom, den Kaiser | |
Wilhelm II. in Erinnerung an seinen großen Vorgänger neobyzantinisch | |
verschlimmbessern ließ, war auch eine normale Pfarrkirche für die | |
Stadtgemeinde. Der gesalbte Karl saß sogar mitten im Volk – oben auf der | |
Empore. „Der Kirchenraum unten war nur den Kanonikern des Domstifts | |
vorbehalten“, ist Steinhauer-Tepütt sicher. | |
Vielleicht ist es dieses Detail, diese Bescheidenheit des greisen, weisen | |
Regenten, der nebenan privat auf wenigen Quadratmetern im Granusturm seiner | |
Königshalle hauste, die Karl in Aachen auch 1.204 Jahre nach seinem Tod so | |
hohe Wertschätzung einbringt. In der überwiegend stilecht restaurierten | |
Altstadt begegnet er Besuchern auf Schritt und Tritt. | |
Im prächtigen, flämisch inspirierten Rathaus – aus der Königshalle | |
entstanden – wird seit 1950 der Karlspreis an entschiedene Europäer | |
verliehen. Im Wirtshaus Karl’s gegenüber servieren sie neben Aachener | |
Sauerbraten mit Printenmehl den Karlsburger. Eine Handpuppe namens Karlchen | |
führt Kinder durch die Altstadt. Die Museen der Stadt vermarkten sich – | |
allerdings mit mäßigem Erfolg – als Route Charlemagne. Und selbst das | |
kommunale Lastenrad zum Ausleihen heißt K.A.R.L. | |
## Zum Einiger Europas stilisiert. | |
Auch im Stadtmuseum, das vor einigen Jahren ins etwas abgerockte Centre | |
Charlemagne hinter dem Dom umgezogen ist, ist Karl allgegenwärtig. Man | |
wolle nicht wie alle alten Städte immer dasselbe zeigen, erklärt Direktor | |
Frank Pohle, der zugleich an der RWTH eine Professur für Regionalgeschichte | |
innehat. Die Stadtgeschichte verwebt er deshalb mit der Karl-Rezeption aus | |
1.200 Jahren. Schließlich habe sich jeder den Kaiser so zurechtgeformt, wie | |
er ins Weltbild passte. Napoleon ließ in der Krönungsstadt Prachtboulevards | |
bauen, die heute zu Autoschneisen verkommen sind. Die NSDAP gründete, sonst | |
ganz dem Germanentum verhaftet, eine SS-Division Charlemagne. Nach der | |
Befreiung, die in Aachen schon im Oktober 1944 kam und die erste freie | |
Zeitung des Landes brachte, wurde Karl dann zum Einiger Europas stilisiert. | |
Ein Mythos war der Mann schon zu Lebzeiten. „Karl war der Erste, der im | |
Alter nicht mehr reisen musste, um zu regieren“, erklärt Pohle. Lieber | |
blieb er in Aix-la-Chapelle, wie die vielen französischen Touristen sagen. | |
Die wissen dann mit der „Quelle an der Kapelle“ auch gleich, warum. „Ohne | |
unsere heißen Quellen wären wir nur ein dunkler Sumpf am Rand der Eifel“, | |
sagt Stefan Wagner aus Überzeugung. Bei Wagner ist das auch ein Stück | |
Berufsethos. Denn als Teamleiter Pool verwaltet er in den Carolus-Thermen | |
ein anderes Stück von Karls Erbe. | |
Von der Gicht geplagt, ließ der Monarch es sich in Aachens Heilwasser | |
vielleicht in alten Römerthermen 20 Jahre lang gut gehen. Vor allem im 19. | |
Jahrhundert tat es ihm Europas Hautevolee gleich. In den 1990er-Jahren ließ | |
die Stadt dennoch alle Traditionsbäder schließen und baute neu für die | |
Bedürfnisse der Wellness-Generation. | |
Ein weißer Quelltempel – technisch ein Fake, wie Wagner verrät – thront | |
seither im Kurpark über dem künstlichen Wasserfall, der in eines der | |
Außenbecken prasselt. Kneippgang, Strandbar, neuerdings auch ein Raum mit | |
echter Moostapete für kostenlos angebotene Meditationen und ein Oceanum, | |
das mit Salzluft, Möwengeschrei und wechselnder Beleuchtung einen Tag am | |
Meer simuliert, sorgen für immer neue Reize. Und dieses herrliche Wasser, | |
das von 46 auf angenehme 32 bis 36 Grad temperiert wird. Karl hätte seinen | |
Spaß daran. | |
## Noch ein Öcher Unikat | |
Und auch ein anderes Öcher Unikat verdankt die Stadt letztlich ihrem | |
größten Förderer: die Printe. „Wohl belgische Bronzegießer, die das | |
Karlsstandbild vor dem Rathaus fertigen sollten, brachten im 19. | |
Jahrhundert ein ähnliches Rezept aus ihrer Heimat hierher“, erzählt Andreas | |
Klein. Ihren Namen hat die Printe von den großen Holzmodeln, in denen sie | |
früher geprintet wurde. Kleins Bäckerei zählt – nomen est omen – in Aach… | |
zu den kleinsten der 40 Printenbäcker. | |
Doch als Einziger lässt Klein Touristen über seine Schulter schauen und | |
wirkt als Chef des Vereins zum Schutz der Aachener Printe auch als | |
Sachwalter des Süßgebäcks. Weizenmehl, Farinzucker, Kandis, Zuckersirup und | |
Gewürze wie Anis, Zimt und Nelken dürfen rein – sonst nichts. „Kein Fett, | |
kein Ei – das ist gesund“, sagt Klein und lacht ein unwiderstehliches | |
Lachen. | |
Schon in 4. Generation macht die Familie in Printen. Brot und Brötchen | |
können Kleins inzwischen gestohlen bleiben. Hart und weich, mit Zuckerguss | |
oder Nüssen, als Platte oder Konfekt – für Andreas Klein wird es trotzdem | |
nicht langweilig, nachdem sein Vater sich im Jahr 2001 gegen die | |
Filialisierung und für die Printe pur entschieden hat. Auf vier | |
Weihnachtsmärkten ist der 36-Jährige dagegen präsent und auch in Bonn hat | |
er sich schon umgeschaut. | |
Während die Kohle Vergangenheit ist und auch die Aachen-Münchener | |
Versicherung wohl vor dem Absprung in die Schweiz steht, ist auf die Printe | |
Verlass und Aachen eine richtig süße Stadt, die ein unglaublich | |
schokoladiges Stück Krippekratz im Café zum Mohren ohne ein Wimpernzucken | |
ausgerechnet mit einer Kugel Vanilleeis neutralisiert. Und die RWTH sorgt | |
mit ihren 50.000 Studierenden als größter Arbeitgeber der Region nicht nur | |
für verlässliche Jobs, sondern auch für viele Spin-offs und Jungunternehmer | |
in der wachsenden Stadt. | |
Da erscheint es als minder schweres Problem, dass der Thron, der im Dom als | |
Krönungsstuhl Karls des Großen präsentiert wird, womöglich als weitaus | |
jüngeres Möbel irgendwann aus dem Rennen fliegt. „Die meisten Archäologen | |
datieren ihn erst in ottonische Zeit“, sagt Steinhauer-Tepütt. Aber das | |
Domkapitel lasse sich von Zweifeln vorerst nicht beirren. Zumindest im | |
Jubiläumsjahr des Weltkulturerbes will man die 1,5 Millionen Dombesucher | |
nicht verunsichern. Und 2020 passt es auch nicht. Dann ist das 500. | |
Krönungsjubiläum von Karl V. Auch das nimmt Aachen mit – schließlich war da | |
schon wieder ein großer Karl in Aachen. | |
3 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Wein | |
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