| # taz.de -- Der letzte Freiraum in Berlin-Mitte: Sehnsuchtsort Arkadien | |
| > Der Club Eschschloraque Rümpschrümp im Haus Schwarzenberg wird 24 Jahre. | |
| > Er ist eine letzte Oase der Selbstbestimmung im durchkommerzialisierten | |
| > Kiez. | |
| Bild: Mitten in Mitte: Kai Fuhrmann, Betreiber des Eschloraque Rümschrümp am … | |
| Zahlreiche pink illuminierte vietnamesische Restaurants, ein Chanel-Store, | |
| ein Katjes-Café, eine Filiale des taiwanesischen Teeunternehmens Comebuy, | |
| das derzeit die tot geglaubte [1][Bubble-Tea-Branche] reanimiert: Da, wo | |
| sie letztes Jahr eine zwanzig Jahre alte Seniorenresidenz für schicke | |
| Stadthäuser abgerissen haben, klafft noch immer eine Lücke. Der Kiez rund | |
| um den Hackeschen Mark unterscheidet sich immer weniger von ähnlichen Ecken | |
| in London oder New York. | |
| Außer, man biegt kurz ab. | |
| Zwischen dem Eingang zu den Hackeschen Höfen und den pervers kitschigen | |
| Rosenhöfen, in der Rosenthaler 39, geht es rechts rein. Auf einen Schlag | |
| ist man ein Vierteljahrhundert in die Vergangenheit katapultiert. | |
| Bröckelnde Hauswände, ein junges Pärchen tapeziert ein Bild eines heiligen | |
| indischen Manns zwischen bunte Tags, Wandmalereien und Schablonen-Graffiti. | |
| Touristen fotografieren sich, andere füttern ein Monster aus rostigem Eisen | |
| mit einem Euro, woraufhin es anfängt zu seufzen, zu ächzen, mit den Flügeln | |
| zu schlagen. | |
| Wir befinden uns im Haus Schwarzenberg, in der letzten Oase im tot | |
| gestylten Bezirk. Hier tickt die Zeit noch anders, die Leute tun noch, was | |
| ihnen gefällt: Weit, weit weg vom mühsamen Alltag und gesellschaftlichem | |
| Anpassungsdruck, der sie umgibt. An diesem Mittwoch feiert der schöne, | |
| düstere Club Eschschloraque Rümpschrümp, die Keimzelle des Hauses | |
| Schwarzenberg, ihren 24. Geburtstag – und das ist, auch wenn es nur ein | |
| krummes Jubiläum sein mag – ein ziemlich guter Grund, diese Institution, | |
| diese Bastion der Unangepassten, zu feiern. | |
| Es ist ein warmer Frühlingstag, also bittet Kai Fuhrmann, der sich nur KAI | |
| nennt, nach draußen. KAI, ein Mann mit liebevoll hochgestellter | |
| Zauselfrisur, ist Kneipier und Künstler, Mitgründer des Eschschloraque und | |
| Schöpfer des ächzenden Metallmonsters nebenan. Jetzt sitzt er an einen der | |
| Tische des Eschschloraque unter freiem Himmel, im letzten Hinterhof, trinkt | |
| einen Cuba Libre und raucht eine Zigarette. „Ich weiß auch nicht mehr, wie | |
| wir auf den Namen gekommen sind“, grinst er schelmisch. „Mich hat er immer | |
| an die lateinische Bezeichnung einer seltenen Pflanze erinnert.“ | |
| ## Die Chickens schufen Schrottskulpturen | |
| In den 1980er Jahren war es, als KAI mit ein paar Gleichgesinnten die | |
| Kreuzberger Künstlergruppe Dead Chickens ins Leben rief. Die Chickens | |
| schufen Schrottskulpturen, wie man sie eine Zeit lang öfter sah, wenn auch | |
| nie ganz so schön und so lustig: In der apokalyptischen Mauerstadt Berlin, | |
| aber auch bei Performance- oder Theatergruppen wie der britischen Mutoid | |
| Waste Company oder den katalanischen La Fura dels Baus. | |
| 1995 fanden die Dead Chickens wie viele Akteure der [2][Westberliner | |
| Subkultur] eines jener Häuser in Ostberlin, bei denen die | |
| Besitzverhältnisse lange ungeklärt blieben. Mehr als viele andere hatten | |
| sie Zeit, ein konsistentes Konzept zu entwickeln, und das vor dem | |
| Hintergrund handfester Gentrifizierungserfahrungen. Die Dead Chickens waren | |
| vorher aus Räumen in Neukölln und Mitte vertrieben worden. | |
| Man gründete den Verein Haus Schwarzenberg, gleich nach dem Eschschloraque | |
| kam die Galerie Neurotitan ins Haus, die damals noch unbekannten | |
| KünstlerInnen wie Jim Avignon, Mawil und Danielle de Picciotto eine Bühne | |
| gab. Das Central, bis heute das beste Programmkino im Quartier, öffnete | |
| seine Türen, es folgte das Café Cinema, auch Ateliers entstanden. | |
| Und schließlich entdeckte eine Geschichtswerkstatt die Blindenwerkstatt | |
| Otto Weidt, die sich 1940 bis 1947 im Haus befand. Weidt hatte versucht, | |
| seine jüdischen Arbeiter vor der Deportation zu schützen, indem er die von | |
| ihnen hergestellten Bürsten und Besen als „wehrwichtig“ einstufen ließ. Er | |
| bestach die Gestapo, versteckte Arbeiter. Heute gibt es ein kleines Museum | |
| im Haus, das diese tolle Geschichte erzählt. Gleich daneben ist das | |
| Anne-Frank-Zentrum einzogen. | |
| Als das Haus Schwarzenberg wegen eines Streits zwischen den Erben und | |
| zunehmender Begehrlichkeiten von Investoren 2004 unter den Hammer kam, | |
| kaufte es wohl auch deshalb für knapp drei Millionen Euro die WBM, die | |
| städtische Wohnungsbaugesellschaft Mitte, zusammen mit der Stiftung | |
| Deutsche Klassenlotterie. Der aktuelle Mietvertrag geht bis 2026, und auch, | |
| wenn in Berlin eines Tages kein Mensch mehr nach der [3][Subkultur der | |
| wilden Neunziger] krähen sollte: Ein Anne-Frank-Zentrum rauszuschmeißen, so | |
| KAI, „das käme seltsam rüber.“ | |
| ## Die Touristen sehen sympathisch aus | |
| Der Abend schreitet rasch voran im und ums Eschschloraque, allmählich wird | |
| es nicht nur in den Höfen, sondern auch drin immer voller. An den Tischen | |
| wird Englisch und Französisch gesprochen, Japanisch und Chinesisch, die | |
| Leute sehen sympathisch aus. 50 bis 70 Prozent der Gäste, so schätzt KAI, | |
| sind inzwischen Touristen. Aber was soll man machen, wenn sich die | |
| Stammkunden [4][Mitte nicht mehr leisten können]? | |
| „Ich finde die Touristen eigentlich ganz nett“, sagt KAI. Trotzdem findet | |
| er nicht, dass das Haus nur noch ein Museum ist. Auch Touristen wollen | |
| träumen, sagt er. Und finanzieren so ganz nebenbei schöne Experimente mit. | |
| Demnächst will KAI beispielsweise mal wieder Musik machen im Eschschloraque | |
| – und das wird sicher eine jener Gelegenheiten, wo nur die echten Fans | |
| übrig bleiben. „Ich bin kein Musiker, aber mit Bob kann ich gut“, sagt er | |
| und setzt wieder die Pokermiene auf. | |
| Er meint Bob Rutman, den 1931 geborenen deutsch-amerikanischen Künstler, | |
| der nach wie vor live auf verbogenem Stahl und Styropor Cello spielt und | |
| damit eine Geräuschkulisse zwischen Flugzeugrauschen und Pottwalkreischen | |
| erzeugt. | |
| 9 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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