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# taz.de -- Der Papst in Irland: Kein Heimspiel mehr
> In Dublin findet das Weltfamilientreffen statt, auch der Papst kommt
> vorbei. Er trifft auf ein Land, das der Kirche nicht mehr gefällt.
Bild: Wird als Wachsfigur durch Dublin getragen: Papst Franziskus
Papst Franziskus ist bescheiden. Er hat sich für seine Irland-Stippvisite
beim Weltfamilientreffen, das vorigen Dienstag begann, einen Skoda Rapid
als Papamobil gewünscht. Der Wagen bekommt ein besonderes Kennzeichen:
182D9093 – 182 für die zweite Jahreshälfte 2018, D für Dublin, und die Zahl
9093, die, liest man die einzelnen Ziffern spiegelverkehrt als Buchstaben,
mit einiger Fantasie das Wort „POPE“ ergibt.
Trotz des sparsamen Autos wird der Papstbesuch 32 Millionen Euro kosten – 1
Million pro Stunde. So lange bleibt er; sein Programm zieht er hektisch
durch. Gleich nach der Ankunft am Samstag in Dublin besucht er ein
katholisches Zentrum für Obdachlose, danach geht es zum Festival der
Familien in den Croke Park, Irlands größtem Sportstadion.
Am Sonntagmorgen fliegt Franziskus zu dem Wallfahrtsort Knock an der
Westküste, wo im 19. Jahrhundert Maria et al. Gläubigen erschienen sein
sollen. In der dortigen Basilika sagt er vor 45.000 Menschen geschwind das
Angelusgebet und fliegt zurück nach Dublin, wo er um 15 Uhr im Phoenix Park
vor 600.000 Menschen die Messe liest.
Die Zahlen sind beeindruckend, doch ein Besuch in Irland ist kein Heimspiel
mehr für Päpste. Die Insel ist zwar nach wie vor überwiegend katholisch,
aber Irland sei nun eher die Heimat von „kulturellen Katholiken“ und nicht
mehr von „Katholiken aus Überzeugung“, sagt der Bischof von Kilmore, Leo
O’Reilly. Seit dem Volksentscheid vom Mai, durch den das absolute
Abtreibungsverbot aus der irischen Verfassung gestrichen wurde, fühle er
eine „Mischung aus Schock und Trauer“.
Mehr als zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler haben für die
Legalisierung von Abtreibung gestimmt, und die katholischen Krankenhäuser,
die ja vom Staat finanziert werden, müssen sich daran halten. Das
Abtreibungsverbot war die letzte katholische Bastion in Irland, und kaum
jemand hatte erwartet, dass sie so deutlich fallen würde.
In den vergangenen Jahrzehnten sind bereits Homosexualität,
Verhütungsmittel und Scheidung legalisiert worden, 2015 stimmte die
Bevölkerung für die gleichgeschlechtliche Ehe – all das gegen den heftigen
Widerstand der Kirche. Sie sei nicht mehr länger „die dominante Stimme in
der Gesellschaft“, bedauerte O’Reilly.
Und im Herbst wird in einem weiteren Referendum der Blasphemieparagraf aus
der Verfassung gestrichen, daran bestehen kaum Zweifel. Dabei hat
Franziskus erst kürzlich betont, dass Gotteslästerung „unverzeihlich“ und
die „schlimmste Sünde“ sei. Irlands Justizminister Charlie Flanagan
hingegen sagte: „Indem wir den Paragrafen streichen, senden wir die
deutliche Botschaft an die Welt, dass Gesetze gegen Blasphemie nicht die
irischen Werte widerspiegeln.“
## Wer heißt noch Mary?
Welches irische Kind wird heutzutage noch auf den Namen Mary getauft?
Früher gab es in jeder Familie eine Mary, und wenn es keine Tochter gab,
bekam der Sohn eben den Namen. Fast alle gingen am Sonntag zur Messe, und
was der Pfarrer sagte, war Gesetz.
Die Macht der Kirche ging auf die Zeit der Kolonisierung Irlands zurück.
Nach fehlgeschlagenen Versuchen, die protestantische Kirchenordnung per
Gesetz durchzusetzen, schickte das englische Parlament 1641 den zum
Statthalter ernannten Oliver Cromwell mit einem Heer nach Irland. Ein
Viertel der katholischen Bevölkerung wurde ermordet, Tausende Iren wurden
als Sklaven in die Kolonien verkauft.
1690 erließ England Strafgesetzen, durch die der katholische
Bevölkerungsteil fast aller Grundrechte beraubt wurde. Das Vorhaben, den
Katholizismus in Irland ein für alle Mal auszurotten, scheiterte indes,
weil eine solche Zwangsherrschaft Widerstand herausforderte. Es entwickelte
sich ein katholischer Nationalismus.
Erst 1922 konnte Irland eine Teilunabhängigkeit erkämpfen. Anfangs hatte
der junge Staat kaum finanzielle Ressourcen, deshalb sprang die Kirche beim
Aufbau des Bildungs- und Gesundheitsbereichs ein und verteidigt diese
Bastion bis heute.
Als die Regierung 1937 eine neue Verfassung verabschiedete, wurde die
Sonderstellung der katholischen Kirche festgeschrieben, der Katholizismus
wurde zur Staatsreligion. In der Verfassung wurde die Familie zur Grundlage
des Staates erklärt, verheiratete Frauen wurden an den Herd verbannt.
Fortan verloren Lehrerinnen, Sekretärinnen, weibliche Angestellte am Tag
ihrer Hochzeit den Job.
## 1979 war die Welt noch in Ordnung
Noch 1979 war in Irland die katholische Welt in Ordnung. Damals kam
Johannes Paul II. nach Irland, und anderthalb Millionen Menschen strömten
zur Messe. Bevor der Papst abreiste, sagte er, dass „jede neue Generation
ein neuer Kontinent“ sei, der „für Christus erobert werden“ müsse.
Aber: „Irland ist jetzt missionarisches Gebiet“ sagt Bischof O’Reilly
traurig. Darauf müsse sich die Kirche einstellen. Hat Irland in der
Frühzeit Missionare entsandt, um den Kontinent zu christianisieren, so hat
man heute Nachwuchssorgen.
Gründe für den rasanten Abstieg der irischen katholischen Kirche seit den
neunziger Jahren gibt es viele. Da war etwa ein Bischof, der als Vater
eines 17-Jährigen Sohnes geoutet wurde; dann häuften sich Berichte über
Pfarrer, die Kinder vergewaltigt hatten und von der Kirche gedeckt wurden;
Schüler und Schülerinnen von Ordensschulen klagten, weil sie vom
geistlichen Lehrpersonal über Jahre gequält worden waren; immer mehr ledige
Mütter meldeten sich, die man in Nonnenklöster weggesperrt hatte. Sie
mussten schwer arbeiten, ihre Babys wurden verkauft. Oder umgebracht. Auf
dem Gelände eines ehemaligen katholischen Kinderheims wurden mehr als 800
Kinderleichen in einem Abwassertank gefunden.
An diesen Realitäten kann auch ein Papstbesuch nichts ändern. Nun kam noch
der Bericht aus Pennsylvania, wonach sich mehr als 300 Priester in den
vergangenen 70 Jahren an mindestens tausend Kindern vergingen und die
Kirchenoberen das vertuschten.
Eine Gruppe von Opfern klerikaler Übergriffe in aller Welt wollte, dass
drei Kardinäle von dem Weltfamilientreffen ausgeladen werden: Kevin
Farrell, Präfekt des Familiendikasteriums im Vatikan, Óscar Maradiaga aus
Honduras, Mitglied des Rats der Kardinäle von Franziskus; und Kardinal
Donald Wuerl, der frühere Bischof von Pittsburgh und jetzige Erzbischof
von Washington. Die drei sollten nicht geehrt werden, sagte ein Sprecher
der Gruppe. Vielmehr müsse man ihre Rolle bei der Vertuschung des
Kindesmissbrauchs untersuchen. Wuerl sagte seine Teilnahme am Dienstag von
sich aus ab.
## Eine rechte Kundgebung?
Der Vatikan hat vorige Woche „Scham und Bedauern“ ausgedrückt. Das reiche
nicht, sagt selbst der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin. Und die
frühere irische Präsidentin Mary McAleese hatte gehofft, Franziskus sei
anders. „Aber auch er verteidigt die Kirche gegen die Interessen von
Missbrauchsopfern.“ Sie sagte, das Weltfamilientreffen sei eine „rechte
Kundgebung“, um Gläubige für den Kampf gegen die gleichgeschlechtliche Ehe
sowie das Recht auf Abtreibung und Verhütungsmittel zu motivieren.
Grainne McNamara findet das nicht. Die 18-Jährige aus der Grenzgrafschaft
Cavan ist zum Weltfamilientreffen gekommen, um Gleichgesinnte zu treffen.
„Wenn du als Teenager gläubig bist und in die Kirche gehst, bist du bei den
meisten deiner Freunde unten durch“, sagt sie. „Das Weltfamilientreffen ist
eine gute Gelegenheit, andere in deinem Alter zu treffen, denen es ähnlich
geht. Es sind ja nicht nur Greise hier.“
Cara Derwin ist mit 48 keine Greisin, aber auch aus ihrer Altersgruppe sind
nicht viele da. „Ich hatte meinen Glauben jahrelang nicht praktiziert“,
sagt sie. „Als Anfang der neunziger Jahre herauskam, dass Bischof Casey aus
Galway einen 17-jährigen Sohn hat, verbot der Pfarrer uns, Zeitung zu
lesen. Das war für mich das Ende.“
Es war nur vorübergehend. Bei der Beerdigung ihres Schwiegervaters in
Dublin lernte sie Pfarrer John kennen, und er beeindruckte sie so, dass sie
seitdem wieder zur Messe geht. „Er ermutigt uns, Dinge zu hinterfragen“,
sagt sie. „Er hat mich auch nicht verurteilt, als ich gesagt habe, dass ich
für die gleichgeschlechtliche Ehe stimmen würde.“
Aber Fotos von fünf gleichgeschlechtlichen Paaren wurden im Januar aus der
Broschüre des Weltfamilientreffens entfernt, das Video des Hilfsbischofs
von Los Angeles, David O’Connell, wurde zensiert: Er hatte erklärt, dass
alle beim Weltfamilientreffen willkommen seien – auch gleichgeschlechtliche
Paare. Franziskus hingegen sagte im Juni, dass „im Angesicht Gottes nur
Mann und Frau eine Familie bilden“ können. Die Mehrheit in Irland teilt
diese Meinung nicht mehr.
25 Aug 2018
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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