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# taz.de -- Der Fall Kimmich: Sag mir, wo du stehst!
> Die Aufregung um den Impfstatus von Joshua Kimmich ebbt nicht ab. Die
> Annahme, der Fußballer habe keine Wahl, ist falsch.
Bild: In der Schusslinie: Joshua Kimmich, 26 Jahre alt, FC Bayern München
Was ist eigentlich passiert in den vergangenen vier, fünf Tagen? Hat
Joshua Kimmich heimlich Blutdiamanten für seine Freundin gekauft? Hat er
sich große Aktienpakete von sinistren Waffenproduzenten gesichert? Wurde er
beim intimen Plausch mit Beatrix von Storch gesichtet? Ist seine
Mitgliedschaft bei Scientology aufgeflogen? Oder hat das Dopinglabor in
Köln etwas Verdächtiges im Urin des Bayern-Spielers entdeckt, Epo oder
Wachstumshormone?
In Wirklichkeit ist es viel, viel schlimmer: Joshua Kimmich ist nicht
geimpft. Die Republik ist in heller Aufregung. Empörungspartikel schwirren
nicht nur in den sozialen Netzwerken umher wie gefährliche Geschosse. Die
Causa Kimmich wird auch prominent auf Programmplätzen besprochen, die
reserviert sind für das hochpolitische Tagesgeschehen. Twitter
hyperventiliert. Köpfe werden geschüttelt, Anklagen erhoben, Urteile
gefällt.
Was ist eigentlich passiert? Nun ja, [1][der Nationalspieler mit der bis
dato untadeligen Vita] hat eine persönliche Gesundheitsentscheidung
getroffen, so wie er das in seiner Karriere, besser: in seinem Leben, wohl
schon dutzendfach getan hat. Nur hat es früher, in der vermeintlich guten
alten Zeit, niemanden interessiert, ob er sich etwas (legales) spritzen
ließ oder nicht, ob er Vorsorge gegen dieses oder jenes Zipperlein
getroffen hat – oder eben nicht. Von Interesse war, ob Kimmich gut in Form
war, ob er schöne Vorlagen gab oder Tore schoss.
Das ist seit der medialen Aufregung um das Coronavirus nun gänzlich anders.
Seit über 18 Monaten testen wir uns nicht nur auf ein Virus, wir testen uns
auch auf Compliance – und, wie es so schön heißt, auf solidarisches
Verhalten. Der Einzelne hat besser im Vorsorgekollektiv aufzugehen, sonst
könnte es ungemütlich werden. Selbst liberale Geister verkünden in diesen
Wochen apodiktisch: „Halt’s Maul und lass dich impfen!“
## Das Private ist radikal öffentlich geworden
Was ist eigentlich passiert? Das Private ist radikal öffentlich geworden,
und wo das Private sich noch ziert, wird es eben mit brutaler Vehemenz
unter den Spot der Öffentlichkeit gestellt. Wie sich der Einzelne mit den
strengen Regularien der Pandemie arrangiert, wird zum allgemeingültigen
Maßstab über die Satisfaktionsfähigkeit einer Person. Wer die hygienische
Norm erfüllt, ist wohlgelitten, wer Probleme hat, sich in den kratzigen
Mantel des neuen Normal zu hüllen, der bekommt das geballte Unverständnis
einer zunehmend unerbittlichen Mehrheit zu spüren.
Sag mir, wo du stehst, sag mir, welchen hygienischen Weg du gehst! Bist du
einer von uns oder gehörst du zum Spektrum der schrägen Vögel? Was bisher
so gut funktionierte, sprich die Dämonisierung selbst von respektablen und
bedenkenswerten Positionen, stellt sich im Fall von Kimmich als Problem
dar. Denn Kimmich ist kein Rechter, er ist kein Aluhut und kein
Verschwörungstheoretiker, er ist kein Querdenker und kein Schwurbler.
Kimmich ist ein angesehener Fußballspieler, ein durchaus nachdenklicher
[2][und sozial engagierter Typ]. Oder muss man nun sagen: „Er war ein
angesehener Fußballspieler“?
Was ist eigentlich passiert? Am Anfang der ganzen Aufregung stand die
Meldung, dass der Bayern-Trainer Julian Nagelsmann einen grippalen Infekt
habe und deswegen beim Champions-League-Spiel in Lissabon nicht an der
Seitenlinie stehen könne. Später wurde vermeldet, Nagelsmann sei trotz
zweifacher Impfung positiv auf das Coronavirus getestet worden. Dass
Nagelsmann zum größer werdenden Heer der Impfdurchbrüchler gehört, war
nicht wirklich von Interesse.
Man diskutierte auch eher nicht über die Wirksamkeit der Impfung, deren
langsam schwindende Effektivität, man sprach eher nicht über die immer noch
vorhandene Möglichkeit, sich selbst und andere anzustecken, sondern wartete
begierig darauf, wer wohl wegen eines Kontakts zum Trainer aus dem Kader
genommen werden müsse im nächsten Bayern-Spiel. Das sind dann bestimmt die
Ungeimpften, schlussfolgerte man erwartungsfroh, jederzeit bereit, das
Verfahren gegen den oder die Delinquenten zu eröffnen.
Was ist eigentlich passiert? Joshua Kimmich hat sich am vergangenen
Wochenende versucht zu erklären. Angesichts der Empörungswelle, die hart
über dem 26-Jährigen zusammenschlug, tat das die Offensivkraft des FC
Bayern München mit bemerkenswerter Ruhe. Er erklärte, dass er ein paar
Bedenken bezüglich der noch unerforschten Langzeitfolgen habe und sich
bislang nicht zu einer Impfung gegen Covid entschieden habe.
Der Nationalspieler machte deutlich, dass er weder ein „Impfgegner“ noch
ein „Coronaleugner“ sei, er versuchte also, seine Entscheidung auf ein
rationales Fundament zu stellen. Aber danach ging es nur noch
unnachgiebiger zur Sache. Ihm wurde sogar unterstellt, krebskranke Kinder
gefährdet zu haben – einen heftigeren Durchschwang mit der Moralkeule gibt
es wohl kaum. Dass er natürlich getestet in die Kinderklinik ging? Egal.
Dass Kimmichs Risiko, an Corona zu sterben, bei 1:500.000 liegt? Wurscht.
Dass er sich durchaus Sorgen über eine impfbedingte Herzmuskelentzündung
machen darf? Anscheinend nicht von Belang. Dass es bei fehlender
Impfpflicht ein Recht auf Risikoabwägung, ja auch auf Dummheit und
Selbstschädigung gibt? Spielt kaum eine Rolle.
Bedingungsloser Konformismus ist das Gebot der Stunde. In der Frage der
Corona-Impfung scheint das Mitmachen alternativlos zu sein. Was ist
eigentlich passiert, verdammt?
26 Oct 2021
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Joshua_Kimmich
[2] https://www.wekickcorona.com/
## AUTOREN
Markus Völker
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