# taz.de -- Debatte Solarenergie: Dumm wie Ananas | |
> Die Kritik an der angeblich übersubventionierten Solarenergie zielt ins | |
> Leere. Wichtiger ist die Frage, wie die Kosten der Energiewende gerecht | |
> verteilt werden können. | |
Bild: Manches, was glänzt, ist Gold wert. | |
Es ist Jürgen Großmann zu verdanken, dass die Debatte um die Energiewende | |
in den letzten Wochen auch lustig war. Die Förderung der Solarenergie in | |
Deutschland sei so sinnvoll "wie Ananas züchten in Alaska", sagte der Chef | |
des Energiekonzerns RWE. | |
Momentan ist das Solarenergiebashing besonders beliebt bei denjenigen, die | |
im vergangenen Jahr die wohl schlimmste politische Niederlage ihrer | |
Karriere einstecken mussten: den Atomausstieg, vollzogen von einer | |
schwarz-gelben Bundesregierung, also von den eigenen Parteien. Plus | |
Energiewende. Mein Gott, die Ökos haben gewonnen. | |
Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und der Wirtschaftsflügel tun | |
alles, um die Energiewende hinauszuzögern. Stoppen können sie sie ja nicht | |
mehr. Schützenhilfe erhalten sie allen voran vom Spiegel, der in seiner | |
jüngsten Ausgabe einen Text über Solarenergie druckt, in dem nicht ein | |
Argument für diese Technik aufgeführt wird und nicht ein Befürworter zu | |
Wort kommt. Über solche Texte schreibt man eigentlich "Meinung". | |
Und das hat den gegenwärtigen Sturm auf die Solarenergie ausgelöst: Im | |
vergangenen Jahr sind in Deutschland 7,5 Gigawatt Solarmodule aufgestellt | |
worden, deutlich mehr als erwartet. Ihre Förderung ist den Betreibern der | |
Anlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz über zwanzig Jahre garantiert. | |
Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, ein Institut | |
in Diensten der alten Atomkonzerne, rechnete sogleich aus: Allein das | |
verschlingt binnen 20 Jahren 18 Milliarden Euro an Förderung. Dabei | |
produziere die Solarenergie für jeden Euro, der zu ihrer Förderung | |
eingesetzt wird, weniger Strom als etwa ein Windrad. Ergo: ein | |
Milliardengrab? Überfördert? Lohnt sich nicht? | |
Diese Fragen stellen sich im Jahr 2012 eigentlich nicht mehr. Kürzen kann | |
man die Subventionen kaum noch, und billig genug sind Solarmodule für den | |
Verbraucher ohnehin bereits. Zwar werden die schon aufgestellten Anlagen | |
mit rund 8 Milliarden Euro im Jahr gefördert. Das Geld kommt von den | |
Stromkunden, sie zahlen mit ihrer Stromrechnung die sogenannte EEG-Umlage. | |
Ein Vierpersonenhaushalt mit 4.500 Kilowattstunden Jahresverbrauch zahlt | |
momentan im Jahr rund 85 Euro an die Betreiber von Solarkraftwerken in | |
Deutschland. Sieben Euro im Monat, also eineinhalb Schachteln Zigaretten. | |
Bei dem momentan von den Netzbetreibern erwarteten Zubau werden es 2 | |
Milliarden Euro im Jahr mehr sein. Lediglich an diesem Betrag ließe sich | |
noch etwas kürzen. Der Rest genießt Bestandsschutz. Daran kann kein Gesetz | |
mehr etwas ändern. | |
## Das Hartz-IV-Argument | |
Trotzdem, ja, es gibt bei der Solarenergie ein Problem: De facto werden der | |
Netzausbau, die Offshorewindkraft und steigende Kosten für fossile | |
Energieträger die Strompreise steigen lassen. Doch gerade die | |
Anti-Solar-Krieger haben die bereits unter Rot-Grün eingeführten | |
Privilegien für die Industrie im Sommer 2011 massiv ausgeweitet. | |
Immer mehr Unternehmen können sich nun von den Kosten der Energiewende | |
befreien lassen - also ausgerechnet die, die den meisten Strom verbrauchen. | |
Absurdestes Beispiel dafür ist der Braunkohlebergbau. Diese Befreiungen | |
gehen in die Milliarden, und die Kosten tragen dafür die Gewerbe- und | |
Dienstleistungsbetriebe sowie die privaten Haushalte. | |
Angebracht wäre also eine Diskussion darüber, wie die hohen | |
Anfangsinvestitionen in die Energiewende sozial gerecht verteilt werden | |
können. Rösler skandalisiert zwar gern, dass arme Hartz-IV-Empfänger die | |
Solaranlage reicher Schwaben und Bayern mitfinanzieren. Nur, warum schlägt | |
er dann kein Gesetz vor, das sozial Schwache von der EEG-Umlage befreit? | |
Die Antwort ist simpel: Weil es ihm gar nicht um soziale Gerechtigkeit | |
geht. Rösler interessiert allein die politische Profilierung, er möchte die | |
Energiewende-Verlierer um sich scharen. Solarbashing ist das | |
Stammtischthema der Energiepolitik. | |
## Die Monopole aufbrechen | |
Aber vielleicht lohnt ja die Mühe, die populärsten Argumente gegen die | |
Solarenergie zu widerlegen. Solarenergie ist teuer, also absurd wie | |
Ananasanbau in Alaska? Bereits in diesem Jahr wird die Kilowattstunde in | |
Deutschland produzierten Solarstroms je nach Anlagengröße mit 15 bis 21 | |
Cent vergütet werden. Nach gegenwärtigen Plänen werden es 2015 noch 10 bis | |
15 Cent sein. So billig, dass es sich nicht mehr lohnt, die staatliche | |
Vergütung in Anspruch zu nehmen. Neue Anlagen kommen dann theoretisch ohne | |
Förderung aus. Wer dann noch bei Großmanns kauft, statt selbst Solarstrom | |
zu produzieren, zahlt über das Doppelte. Solarförderung war dazu da, den | |
Sonnenstrom konkurrenzfähig zu machen - und das hat funktioniert. | |
Deutschland subventioniert mit dem EEG chinesische Solarhersteller? Ja, | |
aber obwohl die meisten Modulen aus Fernost kommen, bleiben im Schnitt 40 | |
Prozent der Wertschöpfung in Deutschland, zum Beispiel beim Handwerk. Im | |
vergangenen Jahr mussten zwei deutsche Solarmodulhersteller Insolvenz | |
anmelden, also ist die Industrie hierzulande am Ende? | |
## Emanzipation von industrieller Macht | |
Es hat auch chinesische und amerikanische Hersteller erwischt, das nennt | |
sich Wettbewerb. China ruiniere, so zumindest Umweltminister Norbert | |
Röttgen und das amerikanische Wirtschaftsministerium, mit unlauteren | |
Subventionen deutsche und amerikanische Hersteller. Wäre es da nicht | |
angezeigt, dass Philipp Rösler sich für die heimische Solarindustrie | |
einsetzt, statt sie zu verdammen? | |
Ein Wirtschaftsminister, der nur die Kosten und nie den Nutzen der | |
Solarenergie aufzählt, hängt offenbar an dem alten Modell von | |
Energieversorgung: als einzelne Konzerne, die Energieriesen, den Markt | |
monopolartig beherrschten. Genau die würden von seinen Reformvorschlägen | |
wieder profitieren. | |
Die Konzerne, die über Jahrzehnte Milliarden an Subventionen für | |
Atomkraftwerke und Kohlebergbau kassierten und den Bürgern überhöhte | |
Strompreise diktierten. Jetzt fangen Hunderttausende an, ihre Energie | |
dezentral selbst zu produzieren. Solarförderung ist keine soziale | |
Ungerechtigkeit - sondern Emanzipation von staatlich-industrieller Macht | |
und von Konzernen wie der von Jürgen Großmann geführten RWE. | |
21 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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